Henryk Goldberg über die Schwierigkeit, sich zu entspannen.

Das Postfach ist voll, jeglichen Tag, alles mögliche Zeugs. Manchmal bekomme ich auch Sprüche als Mail geschickt, goldene Worte und so. Und just heute, das ist für mich gerade der Donnerstag, kommt eine Empfehlung, wie ich mich abgrenzen soll zu fremdem Ärger, von Problemen, die mich nicht betreffen. Ich soll dann nämlich murmeln „Nicht mein Zirkus. Nicht meine Affen.“

Mit der Haltung hinter diesem Satz, einer gewissen gesunden Ignoranz, habe ich die letzten 60 Jahre ganz gut überstanden, sogar den Unterricht in der sozialistischen Produktion, sogar die Rechercheaufträge wechselnder Chefredakteure. Aber dieses Mal hilft der Satz nicht. Denn es ist mein Zirkus, es sind meine Affen.

Mein Leben, meine Familie, mein Land. Und meine Politiker.

In den sozialen Netzwerken werden Menschen, die die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie verteidigen, gern „Schlafschafe“ genannt, „regierungshörig“ auch, das gilt in Sonderheit Menschen, die in und für Medien arbeiten. Und, zugegeben, ich bin in diesem Sinne ein „Schlafschaf“, in gewisser Weise auch, jenseits meiner politischen Ansichten, „regierungshörig“.

Ich würde jetzt nie auf die Straße gehen und „Diktatur“ grölen, weil dies entweder dumm, ignorant oder bösartig ist, mehrheitlich wohl alles zusammen.

Beinahe, das ist jetzt rhetorisch gemeint, beinahe also wäre es mir lieber, ich wäre einer von denen. Die sind zwar dumm oder ignorant etc., aber sie haben es leichter. Denn „die Politik“ anzugreifen, zu verspotten, ist im Augenblick einfacher als sie zu verteidigen, sie ernst zu nehmen.

Heute, also am Donnerstag, melden verschiedene Medien, Angela Merkel wolle nun tatsächlich die Länder bei der Corona-Bekämpfung „entmachten“, also ein Weisungsrecht des Bundes in das Infektionsschutzgesetz schreiben. Die Initiative einiger Bundestagsabgeordneter der CDU verfolgt das gleiche Ziel. Kann sein, wenn Sie das am Sonnabend lesen, hat sich das schon wieder erledigt. Oder auch nicht. Kann auch sein, die Ministerpräsidenten beraten in ihrer Runde mit der Kanzlerin am Montag darüber und beschließen etwas. Oder auch nicht. Oder sie beschließen einige Maßnahmen und setzen sie dann in den Ländern um. Oder auch nicht.

Ist doch ein schöner Gedanke: Deutsche Politiker tun, was gut ist für Deutschland. Oder sie tun, was sie für gut halten für ihr jeweiliges Land – und ihre jeweilige Situation.

In Saarbrücken zum Beispiel, da regiert Thomas Hans, CDU, könnten Sie heute Abend ins Theater gehen, mit einem negativen Test, oder in ein Fitnessstudio. In Bayern hat Markus Söder, CSU, gerade alle geplanten Lockerungen bis Ende April auf Eis gelegt.

In Nordrhein-Westfalen hat Armin Laschet, bis vor kurzem noch der aussichtsreichste Kandidat für die große Kandidatur, unlängst den „Brücken-Lockdown“ erfunden. Das war ein etwas alberner Begriff für einen ernsthaften Vorschlag. Allerdings verdankt sich der Impuls wohl dem Umstand, dass Markus Söder mit seiner härteren Corona-Politik deutlich punkten konnte. Laschet forderte ein Vorziehen der MPK vom Montag, wogegen sich sofort Peter Müller, SPD, der Regierende Bürgermeister von Berlin, aussprach.

Stephan Weill, SPD, Ministerpräsident in Niedersachsen, polemisierte umgehend gegen den kurzen, harten Lockdown. Schließlich benötige man keinen „kurzatmigen Aktionismus“. Es bedarf einer sehr besonderen Art von Humor, in diesem Zusammenhang von „kurzatmigem Aktionismus“ zu sprechen. Oder hat er das ernst gemeint?

Für die Linke erklärte Dietmar Bartsch schon das Nichteinverständnis mit einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes, und auch Bodo Ramelow meint, das derzeitige Infektionsschutzgesetz biete genügend Voraussetzungen für einen Stufenplan, der allerdings bundeseinheitlich sein müsste.

Eben. Derweil warnen die Fachleute vor einer krisenhaften Situation auf den Intensivstationen.

Natürlich, man braucht diese langwierige und die politische Kultur berührende Gesetzesänderung nicht, es ginge auch anders. Die Ministerpräsidenten müssten dazu nur am Montag ein einheitliches, verbindliches Handeln in der und gegen die Krise verabreden.

Wie gesagt, mein Zirkus, meine Affen.

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