Frank Quilitzsch über eine, die mit ihm auszog, das Gruseln zu lernen.

Ob T. das Märchen von dem Jungen, der auszieht, das Fürchten zu lernen, kannte? Ich glaube schon. Doch sprach sie nie zu mir: „Ach, wenn mir’s nur gruselte!“ Stattdessen fragte sie: „Wann gehen wir mal wieder in einen Horrorfilm?“

T. liebte düsteres Kino, und wenn sie mich rumkriegte, hatte das für sie einen doppelten Vorteil: Zum einen zahlte ich ihr Ticket und zum anderen brauchte sie im Dunkeln nicht allein nach Hause zu gehen. Aber auch ich genoss die gemeinsamen Ausflüge in die Gruselfilmwelt.

Als T. mich zum ersten Mal fragte, dachte ich: Also gut, schauen wir uns den „Poltergeist“ an. Nicht den Klassiker von 1982, sondern die Neuverfilmung von Gil Kenan. Ich fand sie fad und musste mitunter lachen, doch der Sechzehnjährigen standen die Haare zu Berge. Ich spürte es, denn immer wenn sich etwas Furchtbares anbahnte, drehte sie sich zur Seite oder hielt sich die Augen zu.

So war es auch bei „Es“ und bei der „Mumie“, die T. unbedingt sehen wollte, auch wenn ihr – wie soll ich es anders nennen? – dabei ganz schön gruselte. Wenigstens behielt sie nun die angstgeweiteten Augen offen, während ich mich manchmal wegdrehte und unauffällig gähnte.

Was mich bei diesen Remakes – auch sie erreichten nicht annähernd die Wirkung ihrer berühmt gewordenen Vorgänger – langweilte, war das Übermaß an Effekten. Die modernen Filmemacher können nicht an sich halten, sie müssen immer gleich ihr ganzes digitales Pulver verschießen. So jagt eine Schreckensszene die nächste, und spätestens nach der fünfzehnten hat man die Nase voll.

Sie sollten sich mal „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ von Nicolas Roeg aus dem Jahre 1973 anschauen, um zu lernen, was ein Spannungsbogen ist und wie man ein Publikum auf subtile Art in Atem hält. Eben hat man noch gelacht, und im nächsten Moment gefriert einem das Blut in den Adern.

Darin war Alfred Hitchcock ein Meister. Ich war ungefähr in T.’s Alter, als ich als Helfer im Ferienlager anheuerte. Eines Abends, als die Kinder im Bett lagen, saßen wir Erwachsenen noch vorm Fernseher und sahen „Psycho“. So lange wir beisammen waren, ging es. Doch auf dem einsamen Gang in den Waschraum pochte mein Herz. Ja, mir gruselte.

Okay, dachte ich, Hitchcock ist genau das Richtige für T., das ist Grusel auf höchstem Niveau – ohne Blutsauger, Männer mit Scherenhänden oder Hände abbeißende Clowns. Also schenkte ich ihr zu Weihnachten „Die Vögel“.

Wunderbar, dachte ich, als wir vor dem Videoschirm saßen, diese schon leicht verblassten Retrofarben, und wartete darauf, dass sich die Krähen und Spatzen auf den Stromleitungen sammelten. Ich weiß bis heute nicht, wie sie das geschafft haben, nur mit Futter und Dressur. Doch T. amüsierte sich. „Was ist das denn für ein komischer Film? Schau mal, die Möwen! Die hängen doch an Fäden!“

Das hatte ich bis dahin nicht bemerkt. T. verstand auch nicht, wie man vor einem Schwarm pickender und pochender Piepmätze in Panik verfallen konnte.

„Ach“, rief sie lachend, „wenn mir’s nur gruselte!“