Michael Helbing über einen 109. „Faust“ in Weimar, dem bald darauf ein erster folgt.

Viele mögen heftig genickt haben, damals. Ich bin innerlich erst mal eingenickt: Als Hasko Weber in Weimar ante portas stand und raunte, im Nationaltheater könnte man ja jede Saison einen neuen „Faust“ auf die Bretter zimmern.

Dann eröffnete er mit der Tragödie erstem Teil seine Intendanz und meinte, dieses wie eine Drohung klingende Versprechen betreffend: „Na, mal sehen.“ Uff!

Heute sehen wir: Sein „Faust“ hat sechs Jahre lang durchgehalten, bevor er sich an diesem Samstag endgültig richten oder retten lässt, in der 109. Vorstellung.

Das ist ein Rekord. Zwar stand die dritte und letzte Weimarer „Faust“-Inszenierung von Fritz Bennewitz seit 1981 mehr als doppelt so viele Jahre auf dem Plan, brachte es aber nur auf 96 Aufführungen. Es folgte, vor zwanzig Jahren, Michael Gruners langer Abend mit beiden Teilen sowie kürzerer Verweildauer: 58 Mal. Thomas Thieme spiegelte sich dann an 80 Abenden im alten Heinrich, von den Neulingen Julia von Sell und Karsten Wiegand angerichtet. Dafür gab‘s dann sogar den Bayerischen Theaterpreis.

Buhrufe gab‘s für Tilmann Köhler, dessen Inszenierung von 2008 mir immer noch die liebste ist. Stellte sie doch arg in Frage, was Hasko Weber acht Jahre später postulierte, als er der Tragödie zweiten Teil anging: „Wenn man in Weimar Theater macht, muss man sich mit Goethe und Faust beschäftigen. Man sollte es auch wollen. Und zwar dauerhaft.“

Wütendes Wedeln mit dem Reclam-Heft reklamierte bei Köhler (34 Mal) die „Faust“-Verweigerung. Selten meinte er die Figur, immer das Stück in Weimar: „Den sollt ihr noch verlieren“, hieß die wie ein Versprechen klingende Drohung.

Es kam anders, kommt anders. Nach dem „Faust“ ist vor dem „Faust“. Vierzehn Wochen nach der Dernière am Samstag feiert das Nationaltheater Premiere: mit Goethes „Faust in ursprünglicher Gestalt“, ein Fragment, das sich nur erhielt, weil Luise von Göchhausen, aus Eisenach stammend, es einst abschrieb.

„Die Hauptsache ist, dass es geschrieben steht“, soll Goethe später gesagt haben. Sagt Eckermann. Das betraf nicht das Fragment, sondern „Faust“ in Gänze. Ein Lesedrama. Fürs Kopftheater. Goethe besuchte keine einzige der Aufführungen, die es zu seinen Lebzeiten gab. Auf Beerdigungen ging er ja auch nicht.