Frank Quilitzsch über Heil und Fluch unseres Kunststoff-Zeitalters.

Die Nachricht hat mir auf den Magen geschlagen: Der Mensch nehme wöchentlich bis zu fünf Gramm Mikroplaste in sich auf, besagt eine neue wissenschaftliche Studie. Die Menge entspreche in etwa der einer Kreditkarte. Ich zog meine Mastercard aus dem Portemonnaie und überlegte, ob ich die runter bekäme. Wohl nicht in einem Stück. Und nur mit viel Wasser.

Aber im Wasser sei ja gerade der größte Teil der künstlichen Mikroteilchen enthalten, den unsereiner täglich aufsaugt, besagt die Studie. Der Rest gelange über die Luft, die Nahrung und die Haut – vor allem durch Kosmetika, in unseren Körper. Ehrlich gesagt, auch wenn ich das nicht spüre, ist mir doch unwohl, allein bei dem Gedanken, im Jahr 52 Kreditkarten zu verbrauchen. Wenn man derart viele Chipkarten übereinander legte, ergäbe das einen ganz schönen Batzen.

Aber ich will unsere schöne, neue Plastewelt nicht verteufeln. Ohne den variabel verwend- und unglaublich haltbaren Kunststoff lebten wir heute noch im Eisen- und Blechzeitalter. Weder Luft- und Raumfahrt noch die moderne Medizin sind ohne Plaste denkbar. Ja, Sie hören richtig. Schon seit meiner Jugend heißt das bei uns Plaste – und nicht Plastik –, und ich bleibe dabei.

„Plaste und Elaste aus Schkopau“ stand an der Autobahnbrücke, wenn wir mit unserem himmelblauen Trabbi von Potsdam nach Bitterfeld knatterten. In Schkopau waren die Buna-Werke, in denen die DDR in Ermangelung von Naturkautschuk synthetischen Kautschuk erzeugte. Mein Großvater lehnte alles Synthetische ab, seit er nach dem Krieg in Igelitschuhen hatte herumlaufen müssen. Igelit war der Handelsname für Weich-PVC und wurde im Nachfolgebetrieb des IG-Farben-Konzerns, dem VEB Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld, produziert. Großvater hat dort quasi seine eigenen Latschen geschustert. Igelitschuhe sahen toll aus und waren absolut wasserdicht, aber man bekam dennoch feuchte Füße – von innen her. Schweißfüße, genauer gesagt. Vielleicht stammt aus dem Igelit-Zeitalter auch Großvaters Lieblingsspruch, wonach ein schöner Männerfuß so zu sein habe wie ein Frauenauge: groß, schwarz und immer ein wenig feucht.

Aber ich schweife ab. Leider weiß die Wissenschaft noch nicht, was das Mikroplaste in uns anrichtet. Wie viele Kreditkarten verbleiben in meinem Körper, und wie viele scheide ich, übers Jahr gesehen, wieder aus? Deshalb ist die beste Direktive, so viel Plaste wie möglich zu vermeiden. Vor allem unnütze Verpackungen, die von Fischen verspeist werden. Plastegeschirr kommt bei uns ohnehin nicht auf den Tisch, das ist eine Frage der Ästhetik. Aber Nahrung und Wasser braucht der Mensch. Vielleicht auch ein gewisses Maß an synthetischer Kleidung.

Übrigens gibt es einen Popsong, mit dem die Kinks schon 1969 vor einem übermäßigen Plasteverbrauch gewarnt haben. „Er isst Plastikessen mit Plastikmesser und -gabel“, heißt es in „Plastic Man“. „Er mag Plastikbecher und -untertassen, weil sie niemals zerbrechen / Und er mag es, den Bratensaft von einem Plastikteller zu lecken.“