Erfurt. Das Erfurter Puppentheater blickt im Herbst auf 40 Jahre zurück. Es programmiert imaginäre und auch ganz konkrete Reisen.

Schätzungsweise 1,2 Millionen Besucher, eintausend Puppen auf der Bühne, Gastspiele in 28 Ländern (Deutschland inklusive) – das ist grob die Bilanz nach vierzig Jahren Puppenspiel in Erfurt, auf deren Vollendung sich das Theater Waidspeicher gerade zubewegt. „Vom Katerchen, das Stiefel trug“ hieß am 7. November 1979 die erste Vorstellung der Sparte, die Intendant Bodo Witte soeben an den Städtischen Bühnen gegründet hatte.

Ein Grimm-Märchen, für Kinder. Natürlich!? Dabei, diese Märchen waren dem Ursprung nach ebenso wenig Kinderkram wie das Puppentheater, obschon Intendantin Sibylle Tröster gesteht, die Dreijährigen seien ihr inzwischen fast das liebste Publikum, weil sie sich dem Zauber dieser Kunst unverstellt öffnen. Dreiviertel seiner rund 350 Veranstaltungen jährlich spielt das Ensemble vor Kindern und Jugendlichen.

Wenn sich in der kommenden Saison der Auftakt des Premierenreigens dem Menschen im Tier und dem Tier im Menschen widmet, dann ist das gleichwohl allenfalls aus der Ferne eine Erinnerung an die Anfänge und richtet sich vornehmlich an Ältere: Der international renommierte Marionettenspieler Frank Soehnle aus Tübingen organisiert eine „skurril-theatralische Versuchsanordnung“, die unter dem Titel „Animalisten“ am 13. September uraufgeführt wird – und zugleich ein Festwochenende zum Vierzigjährigen eröffnet.

Das bezieht sich auf eine gleichnamige Künstlergruppe, 1928 in Darmstadt gegründet, die sich von „Anima“ (die Seele) wie auch von „Animal“ (das Tier) leiten ließ, um das Tierwerden des Menschen durch die „Traumwerdung der Welt in Kunst und Ekstase“ zu überwinden. So ließe sich problemlos auch der tiefere Sinn des Puppentheaters fassen. Soehn­le fragt aber mit fünf Menschen und ihren liebsten Haustieren danach, „warum wir das Fremde im Tier so umstandslos akzeptieren“.

Fünf Monate später inszeniert Christian Georg Fuchs in einer medialen Bühne von Raphael Köhler und Christian Scheibe aus Weimar ein bibliophiles Werk von Judith Schalansky, das bereits mehrfach den Weg auf die Bühne fand: den literarisch-kartografisch angelegten „Atlas der abgelegenen Inseln“. Darin beschrieb die Autorin „Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde“: Reisen zu imaginären Inseln zu verschiedenen Zeiten, zu fernen Menschen und – seltsamen Tieren(!).

Das soll, wie „Animalisten“ auch, zu ganz konkreten Reisen des Ensembles führen, mit denen man den Namen Erfurts zuverlässig in die Welt trägt: USA, Russland, Israel, überall gastiert der Waidspeicher.

„Je mehr Wirkung das Haus erreicht, umso komplizierter wird die Organisation“, sagt Intendantin Sibylle Tröster aber auch. Anno 1986, als die Sparte den Waidspeicher bezog, verfügte die Sparte über 45 Mitarbeiter; das heutzutage vereinsgetragene Privattheater zählt noch 27.

Sieben davon sind Spieler, die pro Saison fünf Neuproduktionen und dreizehn Repertoirestücke stemmen, die Gastspiele inklusive. Das Land Thüringen erkennt das insofern an, als es seit 2017 jedes Jahr 20.000 Euro mehr dafür zahlt, zur Dynamisierung der Gehälter. Die Stadt Erfurt steigt jetzt mit dem Doppelhaushalt 2019/20 in dieses Prinzip ein.

Ausgestiegen sind beide Förderer derweil aus dem alle zwei Jahre stattfindenden Festival Synergura. Der Waidspeicher finanziert es aus dafür gebildeten Rücklagen, was laut Tröster für die dreizehnte Auflage im September 2020 noch mal funktioniert.

„Ich habe aber eindeutig signalisiert, dass das für 2022 nicht mehr machbar sein wird“, so Tröster. Land und Stadt müssten wieder einsteigen. „Das weiß der Kulturminister, und das weiß auch der Kulturdezernent.“

Mit Letzterem, Tobias J. Knoblich, habe es aber zuletzt „konstruktive Gespräche“ gegeben. Tröster unterbreitete demnach Vorschläge, wie man mit dem Theater Erfurt künftig effektiver kooperieren kann, ohne die Eigenständigkeit zu verlieren. Knoblich hatte zum Amtsantritt zu Jahresbeginn das alte Konzept der „Reintegration“ des Waidspeicher-Ensembles ins große Theater wieder ins Spiel gebracht; davon sei zuletzt aber keine Rede mehr gewesen.

In gewisser Weise reintegriert werden unterdessen ehemalige Spieler des Hauses: Kristine Stahl kehrt als Autorin und Regisseurin zurück; ihre Uraufführung „Abends zieht der Mond die Strümpfe aus“ begibt sich ins Zwischenreich des Einschlafens. Eva Noell und Paul Olbrich gastieren derweil am Festwochenende (15. September) als Compagnie Les Voisins mit „Die Königin der Farben“. 2001 im Waidspeicher entstanden, war das eine der erfolgreichsten Inszenierungen des Hauses überhaupt.

Theater Waidspeicher Erfurt: Fünf Premieren in der Saison 2019/20:

  • Animalisten– Stück nach einer Idee von Frank Soehnle (Uraufführung); Regie: Frank Soehnle; 13. September.
  • Kasper Mütze: Wie man einen Riesen foppt – Puppentheater nach dem Kinderbuch von Janosch; Regie: Annette Gleichmann; 23. November.
  • Atlas der abgelegenen Inseln – Stück nach Judith Schalansky; Regie: Christian Georg Fuchs; 21. Februar.
  • Abends zieht der Mond die Strümpfe aus – Puppentheater on Kristine Stahl (Uraufführung); Regie: Kristine Stahl ; 4. April.
  • Der Tag, an dem die Oma das Internet kaputt gemacht hat – Puppentheater nach dem Kinderbuch von Marc-Uwe Kling; Regie: Matthias Thieme; 22. Mai.