Weimar. Jedem Ende wohnt ein Anfang inne: Mit dem Finale des einen Thüringer Festivals beginnt in der Weimarhalle zugleich das nächste.

Auf wie üblich verschlungenen Musikerwegen vom niederösterreichischen Liebnitz nach Berlin und Lissabon, nach Mailand, Kopenhagen und Den Haag macht das Miguel-Zenón-Quartett aus New York an diesem Wochenende in Weimar Station. Dort lockt eine durchaus nennenswerte Gage: 11.000 Euro aus dem Etat der Achava-Festspiele.

So hoch ist das Preisgeld für „ein transkulturelles Gesamtkunstwerk, das weit über die üblichen Möglichkeiten jazzender Gestaltung hinausreicht.“ Derart hatte die Jury begründet, dass der aus Puerto Rico stammende Saxofonist Miguel Zenón mit seinem Quartett den zweiten „Achava Jazz Award“ zugesprochen bekam. Er wird am Samstagabend in der Weimarhalle überreicht.

Sein Thüringen-Debüt gab Zenón bereits 2003, damals in der legendären „Rising Stars“-Reihe im Jazzclub Eisenach. Aus diesem aufgehenden Stern am Musikhimmel wurde inzwischen „ein Meister des Subtilen mit der profunden Kraft reflektierter Tradition.“ So hat es der Jazz-Journalist Ralf Dombrowski für die siebenköpfige Achava-Jury formuliert.

Dem Weimarer Bassisten und Jazzprofessor Manfred Bründl war Zenón dem Namen nach ein Begriff, musikalisch hatte er ihn aber „nur peripher auf dem Schirm“. Nachdem er sich in der Jury mit ihm beschäftigte, war für ihn allerdings „ziemlich eindeutig, dass er es werden müsste.“

Zenón atmete in New York allerorten Jazz ein und vergaß darüber die musikalischen Wurzeln seiner Heimat. Als ihm das bewusst wurde, holte er sie umso stärker in seine Musik.

„Achava Jazz Award“ sorgt für überregionales Interesse

Gewiss ist Jazz transkulturelle Musik seit Anbeginn, wie Peter Schulze meinte, als er 2017 im Erfurter Heizwerk die erste Preisverleihung moderierte. Das hörbar zu machen und gleichsam über Herkunft und Identität zu improvisieren, ist aber doch etwas anderes. „Nicht jeder hat diese Affinität“, sagt Manfred Bründl auch über das Jazzinstitut an Weimars Musikhochschule. Dabei weiß diese mit Tiago de Oliveira Pinto auf dem Unesco-Lehrstuhl für transkulturelle Musikstudien sowie dem Jazzforscher Martin Pfleiderer entsprechende Koryphäen unter den ihren. Miguel Zenón besitzt diese Affinität auf jeden Fall, so wie der armenische Pianist Vardan Ovsepian und die brasilianische Sängerin Tatiana Parra, die als Fractal Limit den ersten „Achava Jazz Award“ erhielten.

Der Bassist Bründl leitet seit zwanzig Jahren den Internationalen Jazzmeile-Workshop, der jährlich an der Musikhochschule stattfindet: mit durchwachsenem Erfolg, sofern es die überregionale Aufmerksamkeit für hiesiges Jazzwirken betrifft. Mit Achava-Chef Martin Kranz zündete er deshalb die neue Rakete namens „Award“. Sie schlug schon eher ein.

Diesmal kommt sogar eins zum anderen. Das Miguel-Zenón-Quartett gibt nach der Preisverleihung den Meisterkurs, bei dem auch der israelische Jazzvisionär Avishai Cohen auftritt. Dieser Weltstar am Bass beschloss mit seinem Trio 2015 bereits die ersten Achava-Festspiele, damals im Heizwerk Erfurt. Beim Preisträgerkonzert in der Weimarhalle ist er nun für den zweiten Teil gebucht.

Cohen hat, so wie Zenón, die Ochsentour durchs New Yorker Jazzgelände hinter sich. Beide spielten einst beim aus Panama stammenden Latinjazz-Pianisten Danilo Pérez. Nun treffen sie sich also in Weimar.

Und dort trifft sich noch viel mehr. Einem Prinzip folgend, wonach jedem Ende ein Anfang innewohnt, ist das finale Achava-Wochenende zugleich Auftakt für die Jazzmeile Thüringen, unter deren Dach dann bis in den Dezember hinein Konzerte in 25 Städten des Landes stattfinden.

„White City Jazz“ ist das Konzert überschrieben, weil die Jazzmeile das Bauhaus-Jubiläum musikalisch forciert, in dem sie gedanklich die Brücke nach Tel Aviv schlägt: in jene weiße Stadt also, an deren Entstehung viele Bauhäusler mitwirkten. Jazzmeile-Chef Thomas Eckardt gehört inzwischen ohnehin dem Kuratorium des „Achava Jazz Award“ an , ebenso wie Professoren der Musikhochschule oder auch die Preisträgerin Tatiana Parra. Das Kuratorium traf aus sechzehn Vorschlägen die Vorauswahl zum Preis.

Die Jury selbst, die beim ersten Mal mit fünfzehn Mitgliedern noch ausuferte, wurde derweil neu zusammengesetzt und verfügte etwa mit Günther Huesmann, Musikredakteur bei SWR 2, über einen „ausgewiesenen Fachmann auch im transkulturellen Bereich“, so Bründl.

Die offizielle Staffelübergabe von Achava zur Jazzmeile in der Weimarhalle ereignet sich unterdessen am Sonntag: im Konzert „Das Bauhaus spielt auf – Klingende Utopien“ mit dem Bundesjazzorchester, mit neuen Kompositionen und alten Filmen.

Das Transkulturelle im Jazz hörbar werden zu lassen, hat sich Manfred Bründl, soeben Sechzig geworden, unterdessen auch „persönlich auf die Fahne geschrieben.“ Mit jungen Musikern , die Studenten seiner Hochschule waren, gründete er das Quartett „Double Image“, das am 6. November im Mon Ami Weimar die Jazzmeile bereichert. Darin verbindet Sängerin Tasíya aus Odessa (alias Nastja Volokitina) osteuropäische Tradition mit modernem Jazz. Zudem steht Professor Bründl steht vor einem Sabbatical: In diesem Freisemester will er mit Musikern aus Lemberg, Kiew und Tiflis sowie aus Weimar „einen Klangkörper bilden“.

Konzert mit Miguel-Zenón- Quartett & Avishai-Cohen-Trio am Samstag, 28. September; „Das Bauhaus spielt auf – Klingende Utopien“ mit Bundesjazzorchester & Film am Sonntag, 29. September; jeweils um 20 Uhr, Weimarhalle.