Erfurt. Fritz Pleitgen und Michail Schischkin analysieren bei der Erfurter Frühlingslese schonungslos und kontrovers ein schwieriges Verhältnis.

Der Westen, sagt Fritz Pleitgen, hat im Umgang mit Russland Fehler gemacht und Chancen verspielt. Russland, sagt Michail Schischkin, ist ein Land der Lügen, der mafiösen Strukturen, das sich in einem hybriden Krieg mit dem Westen befindet. – Die ersten Positionsbestimmungen der Gäste klingen schon mal wenig einträchtig. Zusammen haben sie ein Buch geschrieben („Frieden oder Krieg“, Ludwig Buchverlag). Ein deutscher Journalist, ein russischer Schriftsteller und ein Thema, das vor allem im deutschen Osten heftige Emotionen schürt: Russland und der Westen. Für die Moderation haben die Veranstalter mit dem Publizisten und einstigen Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, Sergej Lochthofen, einen weiteren Russlandkundigen zwischen die Diskutanten platziert. Vielleicht, dass es Vermittlung braucht.

Um es vorweg zu sagen: Wirklich gegensätzlich waren die Positionen schon deshalb nicht, weil sie nach innen blickten. Bestandsaufnahmen der eigenen Reihen, stets kritisch, oft schonungslos manchmal schmerzhaft. Für verklärte Außenblicke auf Mütterchen Russland eine harte Probe. Das kann man kontrovers nennen. Da ist zum Beispiel Schischkins biografischer Exkurs. Die Erinnerung an den Veteranen-Vater, der jedes Jahr zum 9. Mai seine Orden trug und für den die deutschen Care-Pakete in der Chaoszeit der 90er eine Demütigung waren. Wer hat diesen verdammten Krieg gewonnen? Das war symbolhaft für Generationen und man kann vieles vom heutigen Russland nicht verstehen, ohne das zu wissen. Doch so einfach macht es uns Schischkin mit der Empathie dann doch nicht. Der Vater, erfahren wir, hat seine Orden für das Versenken deutscher Flüchtlingsschiffe in der Ostsee erhalten.

Noch gnadenloser wird er mit seinem Psychogramm der fatalistischen russischen Seele. Die über Jahrhunderte hindurch schmerzhaft darauf trainiert wurde, sich zu biegen, um nicht von der Macht zerbrochen zu werden. Ergebenheit als Überlebensstrategie, die sich durch die Jahrhunderte zieht, ganz egal wie diese Macht hieß. Harter Tobak. Und als sich später eine Frau aus dem Publikum über Schischkins Respektlosigkeit Putin gegenüber beschwert, ahnt man, dass den Autor in Russland nicht alle lieb haben.

Nicht weniger hart geht Fritz Pleitgen mit „den Seinigen“ ins Gericht: „1990 war das Jahr der größten Chancen sie wurden nicht genutzt“. Für ein gemeinsames Europäisches Haus vor allem, wie es Gorbatschow damals vorschlug. Russland wurde kurzsichtig außen vor gelassen, dabei hatte Moskau mit seinem Ja zur deutschen Einheit vorgelegt. Hilfe blieb aus, die Russland so dringend gebraucht hätte als alles auf Anfang stand. Wirtschaft erschien wichtiger als das Rechtssystem, ein fatales Versäumnis. Und heute? Keine Partei weit und breit, resümiert er, die ernsthafte Vorschläge macht, wie es mit uns und Russland weitergehen soll.

Für diese Analyse gab es Applaus. Und für den Funken Optimismus am Ende besonders: Nichts ist Unmöglich, das gilt auch für das Gute.

Am Donnerstag (21.März) ist ab 19.30 Uhr Rafik Schami im Kaisersaal Erfurt zu Gast