Weimar. Jörn Arneckes „Der Eisblumenwald“ wird im Studio des Nationaltheaters Weimar uraufgeführt. Das junge Publikum fordert gar eine Zugabe.

Darauf waren sie dann wohl doch nicht vorbereitet: dass ihr sehr junges Publikum zwar während der Aufführung durchaus nicht „Da capo!“ rief, dafür aber nach dem Finale umso fordernder „Zugabe!“.

Glücklicherweise hatte Jörn Arnecke seiner neuen Kinderoper, die er als Musiktheater für Menschen ab fünf Jahren ausweist, aber eine eingängige, launige Melodie verpasst, die man – in geradezu alter Operntradition – noch auf den Gassen weiter pfeift: „Geschenke für König Lars“ heißt die Nummer, auf die sich das Ensemble in der Zugabe dann auch kurzerhand zu verständigen wusste.

Danach trampelte das Publikum.

Wie zu erwarten gewesen war, bestand es im Kern aus Grundschulkindern. Bei ihnen kam diese moderne, alles in allem tonal gehaltene, zwischen Klang- und Geräuschwelten navigierende Oper sehr gut an. Sie fanden dazu einen unmittelbaren Zugang: mit neugierigen, von Hörgewohnheiten unverstellten Ohren.

Der Komponist beförderte das zusätzlich. Er instrumentierte sein Werk nicht nur für Violine, Viola, Kontrabass, Flöte und Posaune, sondern auch für „fest verschlossene, durchsichtige Becher, in denen sich Eiswürfel befinden.“ Es wurden dann Gläser mit Schraubverschluss, die man vor der Studiobühne im Weimarer Nationaltheater in die Hand bekam. „Mit diesem Instrument wirken die Kinder an fünf Stellen des Stückes auf Zeichen des Märchenerzählers musikalisch mit“, notierte Arnecke. „Zugleich verändert sich das Instrument im Verlauf der Vorstellung durch das Schmelzen der Eiswürfel und macht so einen Handlungsstrang des Stückes erfahrbar.“

Klingende Sand- und Eiswüste, keine Klangwüste

Ewiges wie unbeständiges Eis, aber auch die Seele des Wassers, von der im „Eisblumenwald“ die Rede ist, haben es dem Komponisten angetan. Arnecke, seit zehn Jahren Professor für Musiktheorie an Weimars Liszt-Hochschule, schrieb nicht nur den Zyklus „Auf dem Wasser zu singen“ für Tenor und Streichorchester und vertonte Heines „Das Fräulein stand am Meere“ für Chor. Er schuf Musiktheater wie „Das Fest im Meer“, mit Falk Richter „Unter Eis“ sowie „Kryos“ („Eis“). Letzteres entstand 2011 für die Oper Bremen, wo er den heutigen Weimarer Opernchef Hans-Georg Wegner kennenlernte. Der beauftragte ihn mit einem Werk, für das Arnecke das ökologie-kritische Märchen „Der Eisblumenwald“ aussuchte, einst vom Schweizer Schriftsteller Jörg Steiner (1930–2013) verfasst.

Darin geht es um Salicha, Prinzessin im orientalischen Amun, die sehr traurig ist über ihr im Wortsinn verwüstetes Land. Wo einst Wald war, rieselt jetzt, nachdem man Ölvorkommen ausbeutete, Sand. Samir, ein kluger Junge vom Basar, der sich viel mit der Natur beschäftigt, kommt auf die Idee, am Südpol einen Eisberg zu holen, um die Wüste zu bewässern. Mit einem Märchenerzähler treten sie also eine lange Schiffsreise an und holen das Eis ...

Die fünf Musiker der Staatskapelle bringen, nach Arneckes Notierung, die Wüste wie auch den Südpol zum Klingen. Eine Klangwüste entsteht aber weder im Sand noch im Eis, dafür aber dichte Atmosphären für ein sinnliches Erleben: durchsetzt von der Dramatik der Naturgewalten – und all das eingebettet in die moderne Variante einer komischen Oper.

Kinderoper wird nicht dogmatisch

Niuniu Miao Liu dirigiert’s gleichsam aus der Eisscholle, die wie die gesamte wandelbare Bühne aus hellem Holz besteht. Ausstatter Alexander Grüner manifestiert hier sozusagen den abgeholzten Wald und möbliert eine geheimnisvolle, mit lauter Türen und Türchen sowie Klappen versehene, geheimnisvolle Märchenwelt.

Darin etabliert Regisseurin Clara Kalus einen so kecken wie verschlagenen Märchenerzähler mit „fliegendem Teppich, den Schauspieler Julius Kuhn zum motivierenden Bindeglied zwischen Bühne und Tribüne macht, in aller Verbindlichkeit. Dabei bleibt in der Schwebe, ob nicht letztlich jener Junge, der dann zu Samir wird, sich diesen Erzähler wie die gesamte Geschichte imaginiert.

Mezzosopranistin Juliane Bookhagen (Samir) und Sopranistin Giulia Montanari (Prinzessin) finden jedenfalls stimmlich wie spielerisch gut zusammen – auch dann, wenn Streit sie entzweit. Andreas Kochs Bass greift als doppelter König – der in Amun, der vom Südpol – so sanft- wie auch demütig ins Geschehen ein.

„Der Eisblumenwald“, der in der Wüste entstehen soll, ist ein Märchen, das den Klimawandel auf die Opernbühne bringt: ohne pädagogisch oder gar dogmatisch zu werden, aber auch ohne aus ihm ein Märchen zu machen. „Ist es eine Geschichte oder die Wahrheit“, fragt Amuns König einmal. „Die Wahrheit ist eine Geschichte“, antwortet ihm der listige Märchenerzähler. Und diese rieselt uns langsam, aber sich aus den Händen, so wie diesem König und seiner Tochter der Sand.

Zur Sache:

Nächste Aufführungen am Mittwoch, 29. Mai , Dienstag, 11. Juni, und Dienstag, 2. Juli, jeweils um 10 Uhr, sowie am Montag, 10. Juni , um 16 Uhr.