Weimar. Die Schauspielerin Katrin Sass verkörpert starke Frauenfiguren, oft unbeirrbare DDR-Charaktere, mal linientreu wie in „Good Bye, Lenin!“, mal rebellisch wie in „Weissensee“, unnahbar in ihrer aktuellen Rolle im „Usedom-Krimi“. Auch im Spiegelzelt ist sie stark, unbeirrbar und unnahbar.

Sie ist eigenwillig. Sie hat Kanten. Katrin Sass ist ein Kind des Ostens, aber mit verklärter Ostalgie hat sie nicht viel am Hut. Die DDR war ein „Scheiß Land“, sagt sie. Die DDR war auch ihre Heimat, hat sie geprägt. Dieses Leben, Kindheit, Jugend, Erfolge, Liebe, will sie sich nicht schlechtmachen lassen. Den Mauerfall empfindet sie auch nach 30 Jahren als Wunder. Er war das Tor zur Freiheit. Und zum Kapitalismus. Den mag sie nicht, nutzt ihn aber. Zwischen diesen Polen, schöne Zeiten, schlimme Zeiten, will sich ihr neuer Liederabend „So oder so ist das Leben“ bewegen, der gestern Premiere im Weimarer Spiegelzelt hatte. An ihrer Seite Bene Aperdannier, Professor für Klavier, versiert und preisgekrönt.

Vor 30 Jahren fiel die Mauer. Mit ihrem West-Pianisten holt Sass die Ost-Zeit davor zurück: In original Redeschnipseln von Ulbricht („Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“), Honecker, Mielke oder Schabowksi („Das tritt nach meiner Kenntnis ... ist das sofort, unverzüglich“), die sie in ihre spitzen Kommentare einbaut. In Liedern, die fast alle aus der DDR stammen. Sie singt vom „Reichtum der Welt“ für und von Holger Biege, das Pionierlied „Unsere Heimat“, das sie ironisch interpretiert, „Wer sperrt Menschen ein?“ aus der Serie „Weissensee“, das nach einem Leben ohne Mauer, Schuld und Angst schreit. Die Sehnsucht nach Freiheit findet in „Über den Wolken“ von Reinhard Mey ihren Ausdruck. Dazwischen plaudert sie, von Gemeinsamkeit, vom grünen Pfeil, von Dederon. Sie erinnert an die Stasi, an Verrat, an Enttäuschung. Sie liest aus ihrem Buch, weiß es zu vermarkten. Sie kalauert, piesackt neckisch Pianist und Publikum, löst Diskussionen aus.

Die Schauspielerin Katrin Sass verkörpert starke Frauenfiguren, oft unbeirrbare DDR-Charaktere, mal linientreu wie in „Good Bye, Lenin!“, mal rebellisch wie in „Weissensee“, unnahbar in ihrer aktuellen Rolle im „Usedom-Krimi“. Auch im Spiegelzelt ist sie stark, unbeirrbar und unnahbar. Locker überspielt sie Textlücken, verpasste Einsätze, abgegriffene Pointen mit ihrer charismatischen Ausstrahlung. Sie zelebriert gemeinsame Vergangenheit und schafft dabei den unglaublichen Spagat, frech und ehrlich zu sein. Dabei prangert sie niemanden an, tritt weder dem Osten noch dem Westen auf die Füße. Schonungslos wie angekündigt ist ihr Liederabend allerdings nicht, vieles bleibt im gut gemeinten Ansatz stecken. Das Programm funktioniert dennoch hier wie dort: Das ostdeutsche Publikum erinnert sich seiner Wurzeln und seiner Identität, die westdeutschen Zuschauer könnten begreifen, dass auch eine kritisierte Heimat eine Heimat ist.