Weimar. Das DNT Weimar feiert Goethes 250-jähriges Jugendwerk „Die Leiden des jungen Werthers“ mit wilder Kostüm-Party und Political Correctness.

Hoch! Hoch! Hoch! Eine Dame in Rot mit einer 250 auf dem Kopf und ein pfeifender Bartmann im goldenen Cocktailkleid eröffnen die Jubiläumsparty. Vor zweieinhalb Jahrhunderten verfasste Johann Wolfgang Goethe im Studentenalter „Die Leiden des jungen Werthers“. Der Briefroman schlug seinerzeit ein wie gleich das Klopstock-Gewitter auf der Bühne. Aber ist er heute noch lesenswert? Die Angestellten der Weimarer „W250-GmbH“ Charlie und Bert (Nadja Robiné und Nahuel Häfliger) nehmen das Werk am DNT Weimar unter die Lupe und lassen dabei viel Political Correctness walten.

Auf tritt ein diverser Werther in dreifacher Gestalt: als Naturschützer in gelber Regenjacke, blauer Arbeitshose und gelben Gummistiefeln, als Maler mit Petticoat und blauen Haaren und als todessehnsüchtiger Punk. Die Werthers begegnen Lotte, einem stupsnäsigen Girl mit rosa Perücke, roter Jogginghose und gelber Krawatte, das eine Tüte Toastbrot für ihre jüngeren Geschwister in der Hand hält, und sind hin und weg. Nein, nicht weg. Das liebestrunkene Trio kehrt immer und immer wieder, obwohl doch Lotte mit Albert verlobt ist. Werther mag ja ein bezauberndes, umweltbewusstes und gesellschaftskritisches Kerlchen sein, doch in der Liebe ist er übergriffig, ein Stürmer und Bedränger. Prompt ergeht eine Triggerwarnung ans Publikum: Vorsicht, männliche Dominanz! Vorsicht, Selbsttötung – nicht zur Nachahmung empfohlen!

Szenenfoto mit (von links): Janus Torp, Fabian Hagen, Calvin-Noel Auer, Marcus Horn
Szenenfoto mit (von links): Janus Torp, Fabian Hagen, Calvin-Noel Auer, Marcus Horn © DNT Weimar | Candy Welz

Um es abzukürzen: Die Regisseurin Swaantje Lena Kleff, die mit Eva Bormann und Beate Seidel auch die Zitatauswahl für den Abend besorgte, demontiert die Werther-Figur nach Strich und Faden und kriegt sie am Ende nur mühsam wieder zusammen. Das ist zuweilen lustig, zumal mit Effekten, englischen Popsongs und Tanzeinlagen nicht gespart wird, nur bringt es einem diesen leidenschaftlichen Quer- und Sturkopf, der die Lotte-Welt auf den Kopf und Albert ins Abseits stellt, kein bisschen nahe. Die Charaktere und Konflikte werden größtenteils an der quietschbunten Oberfläche (Kostüme: Anne Horny, Bühne: Philip Rubner) ausgestellt, da gibt es für die Mimen kaum was zu spielen. Einmal latscht Calvin-Noel Auer als Umwelt-Werther vor einem CO2-frei geknüpften Landschaftsteppich versehentlich auf einen Regenwurm. Ein andermal hüpft Häfliger als stempelnde Beamtenkarikatur auf einem Sitzball herum. Von Zeit zu Zeit wird die Vorführung vom „W250“-Moderatoren-Duo unterbrochen, um das Gesehene korrekt einzuordnen oder flapsig durch Quiz-Fragen zu vertiefen. Zum Beispiel: Wie viele Sätze beginnen in Goethes „Werther“ mit „Ach“? – Richtige Antwort: 54. Eingestreute Videos (Urheber: who-be) peppen das Ganze noch zusätzlich auf. Statt dass die Werthers ihren Konflikt ausfechten, stehen sie die meiste Zeit, Lotte anhimmelnd, neben sich oder äffen einander nach, um am knalligen Ende mit riesigen Schaumstoff-Colts ins Nirwana zu reiten.

Emotionen? Tragik? – Fehlanzeige. Mutiger wäre es gewesen, sich auf Goethes Text einzulassen und zu schauen, was er heute noch bewirkt.

Aufgewertet wird allerdings die Figur der Lotte, die bei Goethe durch die Werther-Brille als liebenswertes Geschöpf und Objekt der Begierde erscheint. Raika Nicolai nimmt sie ernst und verleiht ihr erfrischendes Selbstbewusstsein. Ihre Lotte zeigt Werther die Grenzen auf und fällt bei der Nachricht von seinem Tode nicht in Ohnmacht.

Die Inszenierung gewinnt im letzten Drittel an Intensität und Dichte. Da gehen Textzeilen von Goethe als melancholisches Lied unter die Haut, und mit dem Vogelkuss gelingt eine berührend (Triggerwarnung!) erotische Szene. Auch Marcus Horn als dritter und Janus Torp als vierter Werther im Originallook (und vorher als Knecht) vervollständigen das Ensemble. Lustig wiederum, wenn die Generation der Selfie-Poster und narzisstischen Selbstdarsteller dem im 18. Jahrhundert geborenen Goethe „männliche Egomanie“ vorwirft.

Ach ja. Die beiden Quiz-Master*innen Bert und Charly sind…, na, na? Richtig: Albert und Charlotte. Sie leben immer noch, denn langweilige Ehepaare gibt es ja auch heute. Eines hat die von einem zu großen Teilen jungen Premierenpublikum umjubelte Werther-Show bereits geschafft: Man redet über sie.

Nächste Vorstellungen: Donnerstag, 22. Februar und Sonntag, 3. März