Jena. Mit „Bach – Tanztheater zu den Goldberg-Variationen“ eröffnet das Theaterhaus Jena sein Festival.

Schlaflosigkeit kann viele Ursachen haben: Lärm oder Stress, Schmerz, Angst und Krankheit, übergroße Freude oder grenzenlose Trauer.

Warum der Schlaf einen weiten Bogen um den Grafen Hermann Carl von Keyserlingk schlug, ist nicht überliefert, wohl aber eine Anekdote, die der Musikforscher Johann Nikolaus Forkel in seiner frühen Bach-Biografie aufgeschrieben hat. Danach soll von Keyserlingk beim befreundeten Komponisten Johann Sebastian Bach für seinen Kammermusicus Johann Gottlieb Goldberg einige Klavierstücke in Auftrag gegeben haben, „die so sanften und etwas muntern Charakters wären, daß er dadurch in seinen schlaflosen Nächten ein wenig aufgeheitert werden könnte“. Immer also, wenn von Keyserlingk nicht zur Ruhe kam, spielte ihm Goldberg aus Bachs „Clavier Ubung bestehend aus einer Aria mit verschiedenen Veränderungen vors Clavicimbal mit 2 Manualen“ vor.

War es so? Wir wissen es nicht.

Die Goldberg-Variationen, posthum benannt nach diesem überaus begabten Kammermusicus, gelten als Meisterwerk barocker Variationskunst und beeinflussen bis heute Künstler unterschiedlicher Genres zu immer neuen Interpretationen. Das Theaterhaus Jena zum Beispiel, das mit „Bach – Tanztheater zu den Goldberg-Variationen“ sein kleines, feines Festival „Theater in Bewegung“ eröffnete. Premiere war Mittwochabend im Jenaer Theaterhaus.

Traumreise alsmutiges Experiment

Die Idee, Forkels Anekdote als Vehikel zu nutzen und damit eine Traumreise durch Bachs streng komponiertes Werk mit Aria am Anfang und Ende und 30 Variationen zu unternehmen, klingt spannend. Zumal Lizzy Timmers (Konzept und Regie) den ambitionierten Anspruch hat, dabei Geschichte und Gegenwart, Tanz und Theater zu verbinden. Mit den Musikern George van Dam (Konzept und Cembalo), Simon Lenski (Konzept, Cello und Performance) und der Schauspielerin Henrike Commichau holt sich Timmers famose Künstler an die Seite, die dieses Experiment mutig wagen. Ein Experiment, das leider nur in Teilen funktioniert.

Das Cembalo steht auf einsamer Bühne, ein prächtiges Instrument. Noch bevor der erste Ton erklingt, plaudert Commichau charmant und mit viel Witz aus dem Leben des genialen Komponisten. Über 7000 Biografien gebe es über den Musiker, und dennoch wisse man wenig über ihn. Er soll in Leipzig seine Perücke nach einem Schüler geworfen haben, liebte Alkohol und Ehebett, war als Querdenker berühmt-berüchtigt. Commichau erzählt auch, dass ihr Mitstreiter, der Cellist Simon Lenski, seit seinem sechsten Lebensjahr davon träumt, zu den Goldberg-Variationen zu tanzen. Die Traumreise beginnt: Lenski steht neben dem Cembalo, dehnt und streckt seinen Körper und blättert das Notenbuch um. Er greift sich eine Taschenlampe, die Bühne wird dunkel, wie Irrlichter sind seine wilden Bewegungen sichtbar. Was folgt, wieder im Licht, sind nonstop bewegte Traumbilder, die Commichau und Lenski solistisch oder gemeinsam gestalten.

Manche Bilder erschließen sich, wenn Lenski verzweifelt den Mund aufreißt und schweißgebadet aus einem Alptraum erwacht beispielsweise. Wenn Commichau und Lenski hoffnungsvoll in inniger Umarmung das Miteinander suchen. Wenn die Schauspielerin mit Bachperücke aus einer Luke im Bühnenboden klettert oder sich die Performer am Cembalo um George van Dam einfinden, dem die Tücken der hoch komplizierten Komposition zuweilen anzumerken sind. Leider aber sind die Traumbilder über weite Strecken nicht zu entschlüsseln, wirken beliebig und berühren selten das Herz.

Nach gut 70 Minuten jubelt ein Teil des Publikums, der andere bleibt etwas ratlos zurück.

Weitere Vorstellungen im Theaterhaus Jena am Freitag, Samstag und Sonntag, 27., 28. und 29. Dezember, jeweils 20 Uhr.