Meiningen. Ansgar Haag inszeniert Lessing-Lustspiel „Minna von Barnhelm“ am Meininger Staatstheater.

„Guten Morgen Herr Just“, trompetet fröhlich der Wirt, er hat was gutzumachen. Doch der Diener des Herrn von Tellheim brummelt nur mürrisch zurück, auch wenn gleich der Bestechungslikör ausgeschenkt wird. Die beiden Herren begegnen einander im Berliner Wirtshaus „Zum König von Spanien“ seit 1767, dem Jahr der Uraufführung, immer wieder mit dem schönsten Erfolg. Jetzt allerdings liegt der Siebenjährige Krieg schon etwas länger zurück, und selbst der Weltkrieg, den wir zur Introduktion als Projektion gesehen haben, ist nicht mehr frisch. Jetzt sind auch Ehre und Preußen anders beschaffen als damals, nur männliche Eitelkeit ist es vielleicht nicht. Jetzt, will das sagen, ist Lessing noch immer ein Autor, dessen „Minna von Barnhelm“ noch immer zur Unterhaltung taugt, zur bürgerlichen Aufklärung indessen taugt sie nicht mehr. Man muss, wenn man ihn bewahren will, Lessings Text wohl beschützen vor Lessings Pädagogik. Und seinen Tellheim vor seinem Text. Denn so wie die Rolle geschrieben ist, so ehrpusselig steif, so humorfrei pathetisch, ist sie todsterbenslangweilig. Und die Frage ist, was ein Regisseur damit macht, machen lässt. Der Tellheim von Ansgar Haag, dem Intendanten, ist Björn Boresch.

So tritt er auf, das Haar offen, ungepflegt, manchmal wird er mit seiner Handprothese werfen. Der abgedankte Offizier ist auf dem absterbenden Ast, Humor wird man von ihm nicht erwarten wollen. Da kommt die Dame in Trauer, die Witwe eines gefallenen Kameraden. Er tut ihr Gutes, aber er tut es kalt, er tut es wie einer, der sein Programm abarbeitet, kein Hauch von Wärme, nichts, was uns sein Tun und sein Wesen erklärte.

Vom Regisseur allein gelassen

Und dann die Minna. Er nervt nicht nur sie, das muss so sein, er nervt – pardon – auch uns, das muss nicht so sein. Der Schauspieler hat keinen Millimeter Distanz zu seinem Text, er führt den Tellheim nicht vor als einen Menschen mit einem albernen Ehrbegriff, als einen auch eitlen Kerl, der die Vorstellung mag, die er von sich hat, er macht da keine Nummer daraus, die es doch sein könnte heute: Er lässt ihn einfach nölen und nörgeln, er begräbt alles, was diesen Mann, der im Kern doch ein wackrer Kerl sein soll, ausmacht unter seinem – pardon – Gequengel.

Björn Boresch entwickelt die Emotionalität und den Charme eines preußischen Ladestockes. Nicht einmal, wenn er schließlich wirbt, wenn er kniet vor der Frau, ist da auch nur im Ansatz ahnbar, warum diese attraktive und kluge Frau sich in Umstände begibt und Umstände wünscht von und wegen dem. Wenn er das königliche Handschreiben liest, dann grinst er blöde wie ein Pennäler, der erfährt, das Abitur doch bestanden zu haben, drei Minuten später schwört er den Großen ab. Am Ende fällt er tatsächlich um, er ist wirklich zu blöde. Ansgar Haag würde es vielleicht Konzeption nennen und womöglich Parodie, dass sein Tellheim ein Tropf ist und ein Trottel. Aber die Folge davon ist, dass die Figur verblasst und verschwindet. Die Folge davon ist, dass der Schauspieler von seinem Regisseur allein gelassen wird.

Und die Minna im Grunde auch.

Dagmar Poppy hat natürlich auch, wie alle Minnas, die bessere Rolle, und sie kann, accompagniert von Nora Hicklers Frauenzimmerchen, etwas anfangen damit. Sie beginnt müde, mürrisch maulend und nimmt dann mit Charme und Kraft freudig den Kampf auf um und ein wenig auch gegen den Mann. Der aber ist kein Gegner und schon gar kein Partner. Für alles, was irgend mit Liebe, mit Gefühl zu tun hat, findet Dagmar Poppy kein Gegenüber, und wenn sie mit Björn Boresch spielt, dann spielt sie im Grunde allein gegen die Wand. So wird Nora Hicklers Franziska ihr auf der Bühne zur Partnerin, der Abend lebt, wenn er denn lebt, von den beiden Frauen. Und das Buffo-Paar, Nora Hickler und Yannick Fischers Wachtmeister, hat mit wenig Raum, wenn die Kammerkatze den Kriegskater mit dem „20 Ringe, ei, ei, Herr Wachtmeister“ aufzieht, deutlich mehr Partnerbeziehung als das andere Paar mit dem bedeutenden Text. Und manchmal fragte ich mich, ob der Werner vielleicht hätte der Tellheim sein sollen.

Bleibt Renatus Scheibe, der die klassische Spitzennummer des Leutnant Riccaut mit seinem „Corriger la fortune“ als Kammerherr, nicht als Soldat absolviert und mit Szenenapplaus abgeht, bleiben Georg Grohmann als etwas tumber Just und Peter Bernhard als beflissener Wirt. Und, natürlich, die Pianistin Fiona Macleod, die auf der offenen Bühne von Annette Mey, die ein wenig an Menschen im Hotel erinnert, viel zur Atmosphäre beiträgt.

Mag ja sein, dass ein Besen schießt, wenn Gott es will. Aber ein Ladestock wird weder eine Frau noch ein Publikum gewinnen. Selbst wenn ein halber Gott, ein Intendant, es will.

Nächste Vorstellungen: Mittwoch, 26. Juni, 19.30 Uhr Freitag, 5. Juli, 19.30 Uhr Weitere Infos und Tickets unter www.meininger-staatstheater.de