Jena. Jenaer Theatercollage unterzieht die boomende Branche einer kritischen Analyse. Dafür waren die Schauspieler selbst auf Reisen.

Unaufhörlich sprudelt das Tagesprogramm aus dem Lautsprecher: Ob „Urlaub für die Füße“ in der Wellnessoase oder „Schlagerabend – 100 Prozent Deutsch“ mit DJ Lederhose: Die euphemistischen Werbebotschaften wollen so gar nicht zu den projizierten Bildern passen, die den fremdbestimmten Alltag an Bord des Kreuzfahrtschiffes Aida prima widerspiegeln. Da wird etwa für Romantik am Valentinstag geworben, während auf der Leinwand ein älteres, wohlgenährtes Paar erscheint; die zwei sind von romantischem Prickeln so weit entfernt wie die Aida vom Individualtourismus.

Die niederländische Theatertruppe „Wunderbaum“, die 2018 die Leitung des Theaterhauses Jena übernahm, unterwirft in ihrer Inszenierung „Schrecklich amüsant – Aber in Zukunft ohne mich“ die boomende Kreuzfahrtindustrie einer kritischen Analyse. Premiere hatte das Stück bereits 2017 beim Festival „Theater der Welt“ in Hamburg. Nach zahlreichen internationalen Gastspielen erlebte es am Mittwochabend seine Jenaer Premiere.

Inspiriert wurden die Holländer von Autor David Foster Wallace. 1995 unternahm der US-Amerikaner eine Luxuskreuzfahrt durch die Karibik, die er im gleichnamigen bissigen Reisebericht festhielt. Die Wunderbaum-Akteure taten es ihm gleich und gingen selbst auf Kreuzfahrt, allerdings auf der Nordsee. Aus ihren Erlebnissen und Beobachtungen entwickelten sie eine großartige Theatercollage, die teils sehr komisch ist, teils aber auch melancholisch stimmt. Sie flochten zudem Wallaces Text und eigene Dichtung mit ein, so dass die Realitäten und Fiktionen verschwimmen.

Grandios gerät z.B. die Clownsnummer, in der unechte griechische Kapitäne ihre Tricks verraten, wie sie an Bord für Kreuzfahrtstimmung sorgen. Die Szene offenbart zugleich die Klassengesellschaft, die auf den schwimmenden Luxus-Resorts weiterlebt. Denn während die zahlenden Urlauber aus der westlichen Hemisphäre stammen, kommen Küchen- und Putzpersonal von den Philippinen.

Obwohl die Inszenierung wirkt, als sei sie wahllos zusammengesetzt, entwickelt das Schauspielerensemble von Szene zu Szene eine ganz eigene Spannung, die das Stück trägt. Da taucht etwa die 18-jährige Mona aus Wallaces Essay auf, gespielt von einer brillanten Maartje Remmers. Sie erklärt dem Publikum, dass sie mit ihrer oberflächlichen Darstellung im Buch gar nicht einverstanden ist.

Ein Highlight ist auch Wine Dierickx, die als griechischer Kapitän eine wunderbare Charlie-Chaplin-Parodie hinlegt. Nicht weniger genial sind die Arrangements von Livemusiker Jens Bouttery. Er sorgt für mitreißende Coversongs; da wird sogar Helene Fischers „Atemlos“ zu einem tiefgründigen Lied.

Weitere Vorstellungen: Freitag und Samstag sowie 16., 17. und 18. April