Heiligenstadt (Eichsfeld). Dem Eichsfeldplan der SED hat das thüringische Eichsfeld neben dem Ausbau des einstigen Dorfes Leinefelde zu einer Stadt mit Industrie und vielen Wohnungen sowie dem Bau des Zementwerkes Deuna auch das Eichsfelder Kulturhaus in Heiligenstadt zu verdanken, das weit und breit seinesgleichen sucht.

"Es ist unter den Kulturhäusern vergleichbarer Landkreise in Thüringen und weit darüber hinaus eine Ausnahme", sagt die künstlerische Leiterin Cathleen Köchy. Im Gegensatz zu allen anderen, in der DDR als Mehrzweckhallen errichteten Kulturhäuser wurde von 1960 bis 1964 in Heiligenstadt ein richtiges Theater gebaut - mit Orchestergraben. Bereits 1955 war mit der Planung begonnen worden.

Das Haus sollte dazu beitragen, wie Cathleen Köchy der Chronik entnimmt, das "kulturell rückständige" Eichsfeld zu bereichern. Aufgrund der Grenznähe habe dafür auch eine "politische Notwendigkeit" bestanden. Die SED wollte den Menschen etwas bieten, damit sie nicht flüchteten. Bis zur Deutschen Einheit dürften im "Kreiskulturhaus Dr. Theodor Neubauer" alle Musikgrößen der DDR gewesen sein, meint Cathleen Köchy. Und ständiger Kooperationspartner war das Theater Nordhausen. Und weil Betriebe in den Abo-Ringen viele Karten fest gebucht hatten, wurden auch Besucher in Bussen herangefahren, die sonst nicht gekommen wären.

Beispiel der modernen Architektur der 60er

Das untere Foyer wurde auch oft für Tanzveranstaltungen genutzt. Dann wurde um die Säulen herum getanzt.
Das untere Foyer wurde auch oft für Tanzveranstaltungen genutzt. Dann wurde um die Säulen herum getanzt. © zgt

Außerdem war das Kreiskulturhaus - ein einfacheres Gegenstück gab es in der anderen Eichsfelder Kreisstadt Worbis - auch Stätte für politische Tagungen und Jubelfeiern der Einheitspartei. Ironie der Geschichte: Architekt Franz Ollertz, nach dessen Plänen mit der Schaffung eines markanten Beispiels der modernen Architektur der 60er Jahre begonnen wurde, flüchtete während der Bauarbeiten in den Westen. Andere setzten seine Arbeit fort.

Einen richtigen Theatersaal gebe es in der näheren Region noch nicht einmal in Göttingen - da das dortige Deutsche Theater auch keinen Orchestergraben besitze, weshalb für das Göttinger Orchester eigens die Stadthalle gebaut wurde -, auch nicht in Duderstadt, Eschwege, Bad Sooden-Allendorf und Witzenhausen, wo für die Kultur Multifunktionsgebäude zu finden sind. Und so ist es auch verständlich, dass Kulturfreunde aus diesen Nachbarregionen der alten Bundesländer Niedersachsen und Hessen heute zu den Stammkunden des Eichsfelder Kulturhauses gehören.

Das aus Gründen des Machterhalts der SED, der Zufriedenstellung und Beeinflussung der Eichsfelder errichtete Kreiskulturhaus, betrieben und staatlich finanziert vom Kreis Heiligenstadt, hat den Sprung über den Untergang der DDR hinweg in die Deutsche Einheit geschafft. (Zu seiner ganzen Geschichte werden wir kurz vor dem 50-jährigen Jubiläum am Jahresende noch berichten.)

Auftritt des Staatlichen Orchesters Heiligenstadt vor dem damaligen Kreiskulturhaus Dr. Theodor Neubauer in den 80er Jahren: Das heutige Eichsfelder Kulturhaus wurde dann ab 1993 umfassend saniert und ist heute ein weithin bekanntes und beliebtes Gastspieltheater.
Auftritt des Staatlichen Orchesters Heiligenstadt vor dem damaligen Kreiskulturhaus Dr. Theodor Neubauer in den 80er Jahren: Das heutige Eichsfelder Kulturhaus wurde dann ab 1993 umfassend saniert und ist heute ein weithin bekanntes und beliebtes Gastspieltheater. © zgt

Die letzte große Veranstaltung vor dem Mauerfall war das "Festprogramm zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR" am 7. Oktober 1989. Das Kulturhaus wurde von Staatssicherheitsleuten, von Volkspolizisten mit Hunden sowie mit Wasserwerfern abgeriegelt. An dem Tag hatte Gorbatschow in Ostberlin gesagt: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben." Nur bestimmte Bürger durften ins Kulturhaus. "Das brodelnde Volk wollte man nicht da haben", berichtet Cathleen Köchy.

Hatten die Besucherzahlen der zehn Mal als "Hervorragendes Kulturhaus im Leistungsvergleich" ausgezeichneten Musenstätte schon in den 80er Jahren in Reaktion auf den diktatorischen Einfluss nachgelassen, gab es nach der Grenzöffnung am 9. November wie in vielen DDR-Kulturhäusern einen drastischen Einbruch.

Manfred Nitz traf die richtige Programmwahl

Dass der Übergang glückte, sei dem Festhalten des Kreises an dem Haus sowie klugen Entscheidungen ihres Vorgängers Manfred Nitz bei der Programmwahl zu verdanken, der das Haus von 1966 bis 1989 leitete, weiß Cathleen Köchy. Nitz habe natürlich in der DDR-Zeit kaum etwas selber bestimmen können, weil die Konzert- und Gastspieldirektion alle Gastspiele von oben her zuwies, aber nun habe er freie Hand gehabt und sich praktisch um jeden einzelnen Besucher bemüht.

Nitz setzte erfolgreich auf Schlagerstars wie Rex Gildo und Bata Illic, volkstümliche Musik zum Beispiel mit den "Wildecker Herzbuben" oder dem jungen Florian Silbereisen, Künstler wie Heidi Kabel, Manfred Krug und Freddy Quinn oder die Travestieshow "Chez Nous". Und es gastierten viele ostdeutsche Theater, die heute, 25 Jahre nach dem Mauerfall, nicht mehr existieren. Die Besucherzahlen des Gastspieltheaters ohne eigenes Ensemble, abgesehen vom damaligen Kreiskulturorchester, erholten sich langsam, wozu nun auch der Zuspruch aus dem "Westen" beitrug.

"Ich denke, dass unsere damalige Leitungsrunde insgesamt gar nicht auf den Gedanken gekommen war, das Kulturhaus in Frage zu stellen", erinnert sich Werner Henning, im Dezember 1989 zum Vorsitzenden des Rates des Kreises und 1990 zum Landrat des Kreises Heiligenstadt gewählt und seit Juli 1994 Landrat des Landkreises Eichsfeld. Solche Häuser aufzugeben "war nicht der Geist der damaligen Zeit, obgleich wir uns auch schmerzvoll von unserem Kreiskulturorchester haben verabschieden müssen", so Henning.

In besonderer Weise gebühre aber Alban Günther ein Kompliment. Der heutige Heiligenstädter Kurdirektor war damals Baudezernent und 2. Beigeordneter neben Manfred Grund "und hat sich sehr für die hochwertige Sanierung engagiert". Hinzu gekommen sei die glückliche Fügung, dass der Kreis später sein EAM-Aktienvermögen mit dem Kulturhaus und der Musikschule kombinieren konnte, womit in den Eichsfelder Kulturbetrieben "ein zukunftsfestes Geschäftsmodell" möglich wurde.

Von 25 Mitarbeitern reduziert auf acht

Zu DDR-Zeiten war das kulturelle Zentrum mit verschiedensten Veranstaltungen ausgelastet, auch in den Clubräumen beim Restaurant unter anderem mit Zirkeln und Tanzkursen. Für die Tanzkurs-Abschlussbälle wurde dann das untere Foyer genutzt, mit Tanz um die Säulen und der Treppe als Bühne für die Kapelle. Täglich habe irgendwo im Haus etwas stattgefunden, entnimmt die heutige künstlerische Leiterin der Chronik.

Dafür wurden 25 Mitarbeiter benötigt - vom Hausmeister über den Heizer, drei Elektriker, die Garderobenfrau, den Platzanweiser und den Wachmann sowie das Verwaltungspersonal bis zum Dekorateur und den Bühnenarbeitern. Auch Plakate wurden gemalt und Bühnenbilder selber gestaltet. Mit der politischen Wende musste das Personal auf acht Mitarbeiter drastisch reduziert werden. Anfang 1990 wurde das "Kreiskulturhaus Dr. Theodor Neubauer" erst in "Kulturhalle" umbenannt, aber bereits im März 1990 erhielt es den Namen "Eichsfelder Kulturhaus".

Schon ab Februar 1990 appellierte Manfred Nitz an den Rat des Kreises, dass das Haus dringend saniert werden müsste, und veranschlagte insgesamt 15"Millionen (DDR-)Mark. Die Sanierung konnte dann aber erst im Juli 1993 starten, mit erst einmal rund einer Million Mark vom Kreis und dem Thüringer Wissenschafts- und Kunstministerium, und wurde in Abständen von jeweils mehreren Jahren bis 2012 fortgesetzt.

Seit der Eingliederung in die Eichsfelder Kulturbetriebe 1999 zählte das Haus bis Ende 2013 bereits 315"279 Besucher. "Heute bietet das Eichsfelder Kulturhaus den Bürgern der Region und auch darüber hinaus mit einem vielgelobten, festlichen Theaterambiente ein vielfältiges, buntes, aber auch künstlerisches Angebot an Veranstaltungen", sagt Cathleen Köchy und blickt auf Auftritte von Laienkünstlern des Kreises ebenso zurück wie beispielsweise auf die Auftritte von Richard Claydermann, "Die Prinzen" und "Karat", dem "London Musical Theatre", und Gastspiele mit der Wagner-Oper "Lohengrin" oder dem Ballett "Der Nussknacker".

Immer wieder höre sie von Besuchern, dass es unglaublich sei, in einer ländlichen Region solch hochwertige Kunst erleben zu können, sagt die künstlerische Leiterin. Und sie erwähnt auch, dass weniger gut besuchte Gastspiele durch die "Kassenschlager" ausgeglichen werden. Und dazu gehören nach wie vor Volksmusik-Veranstaltungen.