Weimar. Das Premierenpublikum reagiert auf „Hoffmanns Erzählungen“ in Weimar sowohl mit Applaus als auch Ablehnung.

Ganz und gar fantastisch ist die Premiere von „Hoffmanns Erzählungen“ am Sonntag im Deutschen Nationaltheater Weimar geraten. Jacques Offenbachs später Fünfakter wurde den konventionellen Sphären einer „Opéra comique“ unsanft entrissen und vom Regieteam in ein schillerndes, postmodernes Vexierspiel überführt.

In sich schlüssig und getragen von einer starken Ensem­bleleistung fesselte die Inszenierung durch ihre kühnen Brüche im Erzählstrang, ihre hyperbolischen Referenzen an E.T.A. Hoffmanns phantasmagorische Welten – und eine klug choreografierte Personen­regie.

In Buhs und Bravos gespalten reagierte das Publikum auf ein quirliges, mitunter zotiges Spiel in den überbordenden Bildwelten von Bühnenbildnerin Paula Wellmann, die sich gleich zu Beginn in einer expressionistischen Barszene im Stile Karl Schmidt-Rottluffs offenbarten.

Von Anfang an wurde Hoffmann – geschmeidig und charaktervoll gesungen vom leicht angeschlagenen Tenor Chris Lysack – von einem Doppelgänger in Gestalt des famosen Schauspielers Jan Krauter auf Schritt und Tritt begleitet.

Der agile Pantomime als Projektionsfläche und Spiegelbild, mal Kontrahent, mal geliebtes Alter Ego, verkörpert denn auch das Kernthema von Regisseur Christian Weise: Die vergebliche Suche des Dichters Hoffmann nach seiner Identität, seinem wahren Ich beziehungsweise Über-Ich. Treu begleitet von seiner Muse, der bezaubernd spielenden und singenden Sayaka Shigeshima, will Hoffmann von seiner Liebe zur Opernsängerin Stella mittels dreier Geschichten ablenken, die von verfehlten Romanzen mit der Automaten-Braut Olympia, der schwindsüchtigen Sängerin Antonia und der Kurtisane Giulietta erzählen.

Im Olympia-Akt verkauft ihm der gruselige Coppelius, mit nachtschwarzem Bass und großer Bühnenpräsenz in all seinen diabolischen Inkarnationen auf den Punkt gebracht von Oleksandr Pushniak, ein „Taschenperspektiv“. Sein frisch getrogener Augen-Schein als Grundmotiv der Inszenierung entflammt Hoffmann für das seelenlose Kunstwesen Olympia, am DNT eine virtuos geführte Puppe. Die anspruchsvolle Koloraturpartie der Olympia wird, verborgen in den Reihen des roboterhaft sich wiegenden Chores, eindrucksvoll von Ylva Stenberg gemeistert.

Staatskapelle bietet Esprit und feine Soli

Nachdem dieser Schwindel aufgeflogen ist, entführt der folgende Antonia-Akt vollends ins Reich der Fantasie: Hoffmann erliegt den Reizen der überirdisch schön singenden Sopranistin Antonia (Emma Moore), die als Niki-de-Saint-Phalle-Figur in einer neonfarbenen Muschel haust (Kostüme: Lane Schäfer). Antonia singt sich um ihr Leben, schleichend vergiftet von Dr. Mirakel, während die Choristen in von Jeff Koons inspirierte Pudel-Outfits schlüpfen und Haushälter Franz mit urkomischem Klagelied „Ja, wenn ich’s könnt, ich singen könnte“ für Heiterkeit sorgt, augenzwinkernd verkörpert von Bariton Alexander Günther.

Doch Jacques Offenbachs in die Oper hineinkomponierter Humor und seine melodienselige Leichtigkeit werden vom Team um Christian Weise und Dramaturg Hans-Georg Wegner stets bewusst gebrochen und in Brecht’scher Manier verfremdet: So erläutern und kommentieren schnarrende, vorproduzierte Sprechstimmen aus dem Off in der Akustik eines knisternden Grammophons die Handlung, und im Giulietta-Akt wird die venezianische Bordell-Szene zu einem Shakespeare’schen Sommernachtstraum überhitzt.

Da baumelt der schönen Giulietta, lasziv interpretiert von Heike Por­stein, die Manneskraft unter dem Glitzerkleid, während in „Tableaux vivants“ an den Wänden Botticelli-Szenen oder der französische Nippel-Griff von Gabrielle d’Estrées in den Bilderrahmen nachgespielt werden. In all diesen fantastischen Welten, im „Green Screen“-Bühnenraum deutlich als rein imaginär ausgestellt, spiegeln sich die Facetten von Hoffmanns Seele und seine lüsterne Libido. Librettogetreu verschenkt der Dichter zu guter Letzt sein Spiegelbild in Gestalt seines Doppelgängers an Giulietta und kehrt reumütig zu seiner nun lorbeerbekränzten, siegreichen Muse zurück.

Im Graben dirigiert Stefan Lano eine schmissig aufspielende Staatskapelle, die mit Eleganz in der berühmten Barcarole, rhythmischem Esprit und feinen Soli etwa in den Streichern und Hörnern zu glänzen vermag. Der von Jens Petereit einstudierte Opernchor zeigt sich sängerisch und auch tänzerisch in den Choreografien von Alan Barnes gut aufgelegt. Der Schlusschor „Macht die Liebe doch groß, macht doch größer der Schmerz“ wird dann ins gnadenlose Flutlicht einer Inszenierung getaucht, die – wie der finstere Coppelius – ins Auge sticht.

Nächste Vorstellungen: 12. September, 19.30 Uhr 29. September, 16 Uhr