Erfurt. Erfurter Sommerkomödie spielt „Diener zweier Herren“ in Carlo Goldonis Gewand, aber mit neuem Text. Das ist ein großes Vergnügen.

Neun Figuren spielen Komödie, voreinander zum Zweck der Verstrickung sowie uns zum Vergnügen. Nur eine Rolle aber spielt noch eine ganze Rolle, eine Hosenrolle: in der Beatrice, Frau in Nöten, den toten Bruder wieder auferstehen lässt, als Karikatur. Ein Mann mit dicken Klöten. Ein arroganter Drecksack.

„Federico Rasponi aus Turin“, so stellt sie sich vor. „Is’ klar“, antwortet Dottore Lombardi, der das gar nicht glauben und auch überhaupt nicht gebrauchen kann gerade, „und ich bin Carlo Goldoni aus Venedig“.

Sie ist Rasponi, aber eben eine, nicht einer. Er ist nicht der, aber doch irgendwie ein Goldoni, so wie alle hier. So, wie der mit dem Erfolgsstück „Der Diener zweier Herren“ (1743) oft als Paradebeispiel für die Commedia dell‘arte gilt, obwohl er sie damit hinter sich ließ, darf dieser Abend als Goldoni in Reinform (und übrigens auch in Reimform) gelten, obwohl er den alten Text entsorgte.

Wir sehen in der Sommerkomödie Erfurt ein Stück neu auferstehen und dem alten zum Verwechseln ähneln, indem es sich dessen Gewand überstreift. Wir sehen: eine Maskerade.

Aber eine ohne Masken. Die riss ja schon Goldoni den Stegreiffiguren der Commedia dell‘arte vom Kopf. Fabian Hagedorn und Tim Röder, die Regisseure, setzen sie nur Lukas Bergmann und Eric Seehof, den Musikern („Crepes Sucette“) auf, die an der Seite spielen – und nörgeln. Sonst ersetzt oft die Grimasse die Maske.

Knittelverse als Stilmittel: Reim dich, oder ich fress dich

Das beginnt mit einem Knautschgesicht Felix Voigts, der als Wirt Tebaldo in der Barfüßerruine die Taverne „A Piedi Nudi“ (Bar-Füßig) betreibt. Ihre Terrasse ist die Szene, über und hinter der mehrgeschossig die venezianische Fassadenbühne von Ausstatterin Coco Ruch hinauf ragt.

Verschlafen trottet Tebaldo heran, er reckt und streckt sich, dann geht’s munter los und hört fast zwei Stunden lang nicht mehr auf. Sodass wir am Ende, mit Truffaldino, dem Diener zweier Herren („doppelte Fron, doppelter Lohn“) werden sagen können: „Das lief ja wie geschmiert!“

Tempo- und pointenreich surren die Rädchen im Theatergetriebe, vollendet schauspielerisches Handwerk überhöhter Figurenzeichnung, endloser Statusspiele, vielfacher emotionaler Brüche liefert Schmiermittel.

Zum Motor wird eine „Reim dich, oder ich fress dich“-Maschine, von Regie und Ensemble gewiss herbei improvisiert; insofern ein Rückgriff zum Stegreif. Knittelverse durchsetzen und durchdringen den Abend. So etwa: „Ich brauch ein Zimmer, gut versteckt. – Ihr habt soeben eingecheckt. Numero due. Schlüssel steckt!“ Das ist das Stilmittel, im Einfältigen das Lustige aufzusuchen.

Und Truffaldino ist der lustige Spielmacher, der sich in Verlegenheiten bringt. Kevin Körber macht aus ihm den Sympathieträger, einen mit allen Wasser gewaschenen Hans Dampf in venezianischen Gassen. Er dient Federico alias Beatrice ebenso recht und schlecht wie Florindo, ihrem Geliebten, verdächtig, seinen Schwager in spe gemeuchelt zu haben. Beide nehmen, ohne sich zu begegnen, in derselben Herberge Quartier, Tür an Tür, Fenster an Fenster.

Erst das Fressen, dann die Moral – auf die heitere Tour

Die Herren teilen große Herzensnot, der Diener denkt an seinen Magen. Erst das Fressen, dann die Moral – auf die heitere Tour. Körbers Diener entwickelt, in großer Bildungsferne, höchste Beredsamkeit: um keine Ausrede verlegen, naiv, spontan, aufbrausend, großspurig, kleinlaut.

Dieser Truffaldino ist schlagfertig. Verschlagen ist er eher nicht.

Und insofern steht er pars pro toto für einen Goldoni, „der aus nichts den angenehmsten Zeitvertreib gebildet hat“, wie Goethe einst notierte. Es geht turbulent und spritzig zu. Jubel, Trubel, Heiterkeit. Interessant wird’s indes selten. In ein Zwischenreich der Gefühle vorzudringen vermag allein Julia Maronde, weil sie als Beatrice eben zwei Rollen spielt.

Der Abend bleibt, auf hohem Niveau, nicht nur bei sich, sondern in sich gefangen. Er dekliniert durch, was der geldgeile Kaufmann Pantalone, den Matthias Herold hier zielstrebig am Stock gehen lässt, im Originaltext über Truffaldino befand: „Ist der Mensch ein Narr!“ Das sind hier alle: herrliche und dienende Narren.

Was sie treibt, ist im Grunde dasselbe: Hunger. Der nach Speise, nach Liebe, Anerkennung, Geld, Rache. Unter ihnen fällt Markus Fennerts egozentrischer Dottore auf, dem es gefällt, die Welt zu verachten und zu verlachen, nur sich selbst nicht. Das ist sein wunder Punkt. Für alle anderen gilt: Ein Jeder spielt seine Rolle, mit Lust und Hingabe an den Moment, frisch und quicklebendig.

Rollen bis ins Letzte auszukosten, so wie Truffaldino die Speisen in der Schlüsselszene des Originals, die hier zur Servierglocken-Choreografie zusammenschnurrt, bleibt versagt. Es bleibt: ein Abend zum Verlieben. Mit allem Wohl und Wehe.

Weitere 23 Vorstellungen bis 31.8., ab 21 Uhr. Info: www.sokoerfurt.de