Eisenach. Aus dem Leben einer Tänzerin zwischen Leidenschaft und Schmerz: Laura Sophie Heise am Landestheater Eisenach.

Ein bisschen erschöpft tritt Laura Sophie Heise durch den Bühneneingang auf die Straße. Und doch strahlt sie übers ganze Gesicht und ist längst nicht am Ende ihrer Kräfte. Eineinhalb Stunden Auftritt liegen hinter ihr und der gesamten Company. Sie haben „Your first memory“ getanzt, eine Choreografie des New Yorkers Bryan Arias: das bislang wohl zeitgenössischste Tanzstück am Landestheater Eisenach.

Laura Heise tanzt jetzt einfach weiter, glücklich und erfüllt über die Straße, hinüber in den Ballettsaal. Kein Gedanke augenblicklich an den nächsten Morgen. Dann wird sie gewiss wieder mal sehr müde sein, Muskelkater oder Verspannungen spüren und denken: „Oh Gott, wie soll ich nur aus dem Bett kommen!“

Aber das kennt sie ja. Ihr halbes bisheriges Leben lang mindestens hat es die 22-Jährige immer wieder geschafft, sich zu motivieren. Sie fing nicht als die begabteste aller Tänzerinnen an. Ihr großes Talent aber war Willensstärke. Und sie ist fähig zu großer Leidenschaft, die eben auch Leiden schafft. „Das ist ein körperlich extrem intensiver Job“, sagt sie. Aber auf einer Bühne zu tanzen, ist das Beste. Diese Leidenschaft zu leben: „Dafür ist es das alles wert!“

Ohne sie wäre alles sinnlos: die so lange Ausbildung für eine so kurze Karriere, die Schmerzen, mit denen man arbeiten muss. Viel Ruhm und Geld sind auch nicht zu erwarten. „Man macht das nicht fürs Geld, das ist das Letzte, wofür man’s macht.“

Ohnehin ist es „super schwer, einen Job zu finden und Fuß zu fassen“. Die Konkurrenz ist riesig, gerade unter jungen Frauen. Junge Leute aus aller Welt tanzen an deutschen Theatern vor. Auf eine Stelle kommen oft 2000 Bewerbungen, ein Viertel wird zur „Audition“ eingeladen.

Andris Plucis hat gesehen, dass sie etwas Besonderes ist

Auch Laura Sophie Heise musste lernen, mit lauter Absagen umzugehen. Vorerst aber hat sie eine künstlerische Heimat gefunden: bei Andris Plucis und einer Company „mit einer Menge an guten Leuten“. Der Ballettdirektor war einst Tänzer bei William Forsythe in Frankfurt/Main; und Laura ist „ein ganz großer Forsythe-Fan“. Außerdem sei Plucis „ein superfreundlicher Mensch“, sagt sie. „Das ist schon einzigartig!“ Oft genug hat sie andernorts harsche Töne und einen rüden Umgang erlebt.

Als Suchende kam sie Anfang 2018 nach Eisenach, um gleichsam als Praktikantin mit der Truppe zu trainieren. Dergleichen hatte sie zuvor schon andernorts getan. Die Vortanzen an den Theatern waren in die Zeit ihres Abiturs gefallen, nun musste sie Zeit überbrücken. Gerade hatte sie zwei Monate in New Yorker Tanzstudios verbracht und in „Open Classes“ trainiert. Gleich am ersten Tag stand plötzlich die Balletttänzerin Misty Copeland vor ihr, ein Weltstar, den sie von YouTube kannte.

Nun also Eisenach. Hier bereitete Plucis gerade ein gemeinsames Projekt mit Hasko Weber aus Weimar vor: Fünf Tänzer treffen fünf Schauspieler. „On the edge“ sollte der Abend heißen. Da würde sie gerne mitmachen, dachte sich Laura Heise, zumal sie einst, als Kind, in jedes Freundschaftsbuch „Schauspielerin“ als Traumberuf eintrug.

Dann endete das Praktikum. Eines schönen Märztages meldete sich Plucis. Er brauchte eine deutsche Tänzerin für „On the edge“. Im 16-köpfigen internationalen Ensemble gab es da zwar eine; Sandra Schlecht war aber schon im Musical „Fame“ besetzt.

Plötzlich hatte Laura einen Gastvertrag in der Tasche und begann im April mit den Proben. „Das war so cool“, erinnert sie sich voller Freude und wird gleich ein Stück größer. Dass Hasko Weber ihr dann auch noch „diesen großen Monolog“ gab, war zusätzlich „eine tolle Herausforderung!“ Ihr Gesicht leuchtet.

Judith, zwölf Jahre, aus Brüssel: das war die Figur in einem Abend über Geschlechterrollen an der Kante (on the edge). Der Monolog stammt aus Xavier Durringers „Über Männer“. Judith trug nie Mädchenkleider, vermied alles Weiche, hasste Rosa und Plüsch. „Ich gleiche einem Jungen, innerlich schon lange.“ Laura Heise entwickelte dafür eine starke Präsenz und Konzentration.

„Dabei ist das das ganze Gegenteil meiner Kindheit. Ich war schon eher so ein Mädchenmädchen“, sagt sie und lacht hell auf. Ihre gute Laune ist förmlich ansteckend. Laura Sophie Heise, 1,75 Meter groß, sehr schlank, wirkt noch sehr jung und trotzdem selbstbewusst und erfahren. Sie ist Mädchen und Frau in einem. Damit kann sie auch auf Bühne spielen.

Ihr erstes Lebensjahrzehnt verbrachte sie in Halle/Saale. Als Dreijährige kam sie zum Ballett. „Ich mochte es immer schon, mich zu bewegen.“ Auch im Gespräch hält der Körper nicht still; sie geht mit ihm gleichsam mit, wenn sie erzählt.

Nachdem die Familie nach Mainz umzog, begann sie dort eine professionelle Ausbildung an einer privaten Ballettschule. „Damit begann die ganz große Leidenschaft.“ Obwohl es schwierig war: stundenlanges Training nach der Schule, sechs Tage pro Woche, für eine Kunst, in der jedes Detail zählt. Wettbewerbe und Auftritte in vielen Theatern, mit unterschiedlichsten Choreografen. „Meine Ballettschule war mein zweites Zuhause.“ Es sei „echt hart“ gewesen, Freunde so vernachlässigen zu müssen. Aber sie liebt es eben bis heute, sich unter Tänzern „gegenseitig zu inspirieren und jeden Tag seinen Körper neu kennenzulernen“.

Bei der Arbeit zu „On the edge“ hat Andris Plucis „schon gesehen, dass sie etwas Besonderes ist“, sagt der Ballettchef über Heises Ausstrahlung auf der Bühne. „Sie ist so ein echter Hingucker.“ Er lobt ihre Qualität und ein technisches Potenzial, das sich gut entwickeln lasse. Plucis wollte sie unbedingt im Ensemble halten und verschaffte ihr Gastverträge, wann immer es ging, als etwa eine Tänzerin längere Zeit ausfiel. Nachdem ein Kollege das Haus verließ, gehört sie nun fest zur Truppe.

An einem Haus der künstlerischen Vielfalt

Laura freut sich sehr darüber, ihre ersten Berufsjahre in Eisenach zu erleben, an einem Haus der künstlerischen Vielfalt: vom „Nussknacker“ über „On the edge“ bis „My first memory“. Am Samstag hat Plucis’ Doppelabend „Petruschka/Boléro“ nach Strawinsky und Ravel Premiere. Im nächsten Frühjahr folgt ein neues Projekt von Plucis und Weber: „Die 10 Gebote“ kommen zunächst in Weimar heraus. Laura Sophie Heise ist sehr wahrscheinlich wieder dabei und schon jetzt begeistert über diese neuerliche Chance einer Zusammenarbeit mit Schauspielern.

Bis Anfang, Mitte dreißig, so hofft sie, wird sie tanzen können. Sie weiß aber auch: „Es kann jeden Tag vorbei sein.“ Der Körper wird entscheiden.

Bis dahin geht sie fröhlich und energiegeladen auf die Bühne, um zu zeigen, dass sie liebt, was sie tut. „Das ist so ein wunderschöner Job!“

Ballettpremiere „Petruschka/ Boléro“: Samstag, 19. Oktober, 19.30 Uhr, Theater Eisenach