Weimar. Der Weimarer Filmregisseur Markus Dietrich über unsichtbare Superhelden und sichtbare Kinderfilme. „Invisible Sue“ eröffnet morgen in Gera das Nachwuchsfestival „Goldener Spatz“.

Eine zwölfjährige Superheldin eröffnet am Sonntag in Gera das Kinderfilmfestival „Goldener Spatz“. Damit feiert „Invisible Sue“ zugleich Deutschlandpremiere. Nach „Sputnik“, einer Kosmonauten-Traumgeschichte rund um den Mauerfall 1989, ist das nun der zweite gemeinsame Kinofilm für Kinder von Regisseur Markus Dietrich (40) und der Ostlicht Filmproduktion aus Weimar. Er wurde 2017 in Weimar, Gotha und Erfurt, in Chemnitz und Luxemburg gedreht und inzwischen international preisgekrönt. Offizieller Kinostart ist am 31. Oktober. Wir haben mit Dietrich, von dem auch das Drehbuch stammt, gesprochen.

Herr Dietrich, kann es sein, dass Sie in Ihrem Beruf einfach Ihre Kindheit fortsetzen?

Ja. Genau deswegen mache ich ja Kinderfilme, glaube ich. Man schreibt mir häufiger zu, dass ich ein Spinner sei und das Erwachsenenalter nie wirklich erreicht habe. Es ist sicherlich ein wichtiger Bestandteil der Arbeit, dass ich meine Kindheit fortführe.

Aber Sie arbeiten nichts auf?

Nein, ich hatte eine tolle Kindheit! Außer, dass man mich nie ins All fliegen ließ. Deswegen habe ich „Sputnik“ gedreht.

Superheld war ich auch nie. Ich bin oft vom Schuppen gesprungen, aber es klappte nie, dass ich fliege. Letztlich ist Fantasie das Element, das Kinder und uns verbindet. Also ja, ich leide an der Krankheit, eine überbordende Fantasie zu haben (lacht).

Und Ihre Fantasie lebt, ähnlich wie bei „Sputnik“, jetzt in Ihrer Protagonistin Sue weiter?

Ja. Das ist zwar weniger autobiografisch als in „Sputnik“. Aber dieses Gefühl habe ich als Kind selbst erlebt: Also einerseits dieses „Hallo, ich bin auch hier, redet mit mir, ich bin nicht Teil der Wand!“ Und zugleich die Idee, was ich machen würde, wenn ich wirklich unsichtbar wäre: Kann ich mich irgendwo reinschleichen, Gespräche belauschen, Sachen mitnehmen?

Sie machen im Film aus einer Schwäche eine Stärke?

Genau. Die Protagonistin muss erkennen, dass man sie als die Person, die sie sein will, nicht sieht, aber die Unscheinbarkeit auch eine Stärke ist. Dass man Leuten beweisen kann: Hey ich bin trotzdem jemand! Ich bin vielleicht nicht die Schönste oder Schlankeste, die Sportlichste, aber ich habe Stärken.

Mir war es wichtig, dass ich keine Superheldenkraft nehme, die New York in Schutt und Asche legen kann, sondern eine passive Stärke. Das dichte ich den Kindern an: Probleme auf andere Art und Weise zu lösen als Erwachsene. Sie brauchen keine Raketenwerfer. Sie gehen manchmal unorthodox, aber klüger und geschickter an Sachen heran. So wie diese Superhelden da draußen, auf dem Vorplatz. (Während des Gesprächs in Weimar findet vor der Tür die „Fridays for Future“-Demons-tration“ statt – die Redaktion).

Frederike wurde in „Sputnik“ in der Fantasie Kosmonautin. Susanne wird im neuen Film aber wirklich Superheldin?

Ja. Der Ausgangspunkt ist: Sie kommt mit einer Flüssigkeit in Berührung, die ihre Mutter, eine Wissenschaftlerin, herstellt. Und die hat diese fatale Nebenwirkung, unsichtbar zu machen.

Jetzt feiert „Invisible Sue“ in Gera Deutschlandpremiere. International hat er aber schon ziemlich gut funktioniert.

Wir hatten vergangenen Oktober unseren Weltstart in Amsterdam, sind durch Europa und Nordamerika getourt und kommen mit dem Film jetzt quasi zurück nach Deutschland. Das prägendste Kinoerlebnis damit hatte ich bislang mit 500 Kindern in Malmö. Das war echt eine Bombenstimmung! Am Abend zuvor hatte ich in dem Kino noch „Captain Marvel“ gesehen und dachte: Uih, kriegen wir den Saal mit unserem Film überhaupt voll? Wir bekamen ihn voll!

Beim internationalen Kinderfilmfestival in Oulu (Finnland) haben wir den Preis der Kinderjury gewonnen. Selbst in Montréal hatten wir tolle Screenings mit Familien beim Kinderfilmfestival, obwohl der Film untertitelt war, und bekamen den Zuschauerpreis.

Wie wichtig ist es für die Karriere des Films, dass er auf dem Festival Goldener Spatz läuft?

In Deutschland auf dem „Spatzen“ die Premiere und dann auch noch die Eröffnung zu machen, ist jedenfalls mit hohem Prestige verbunden, weil das eines der wenigen großen Kinderfilmfestivals ist. Es ist bei der Filmförderungsanstalt (FFA) gelistet, was wiederum für Produzenten wichtig ist; es gibt Referenzmittel. Und es ist traditionsreich: zu DDR-Zeiten gegründet, in meinem Geburtsjahr, um die Symbolik noch höher zu treiben! Es war wichtig für die Defa-Filmindustrie. Ich bin mit Defa-Filmen groß geworden und darf jetzt den „Spatz“ eröffnen. Toll!

Der Goldene Spatz ist aber auch sonst ein Pflichttermin?

Ja, einerseits für mich als Regisseur, andererseits als Vorstandssprecher im Förderverein Deutscher Kinderfilm, mit Sitz in Erfurt. Entsprechend ist das meine Präsenzzeit und wichtig fürs Netzwerken. Der „Schlingel“ in Chemnitz“, der „Lukas“ in Hessen und der „Spatz“ sind die drei großen Adressen – neben Lübecks Nordischen Filmtagen und der Berlinale natürlich.

Was machen Sie in dieser Kinderfilmlobby?

Der Förderverein ist damals in der Bundesrepublik gegründet worden, um den Kinderfilm zu stärken. Mittlerweile kümmern wir uns um Kindermedien allgemein, also auch um Bücher, Comics, Serien. Verleiher, Produzenten, Autoren, Regisseure, alle, die sich mit Kindermedien auseinandersetzen, sind beteiligt. Wir versuchen, diese zu stärken und zu fördern: mit Programmen wie der Akademie für Kindermedien oder der Initiative „Der besondere Kinderfilm“.

Der Kinderfilm muss also stärker werden?

Ja! Wir haben seit einigen Jahren eine starke originäre Kinderfilmlandschaft. Trotzdem wird das in Deutschland – anders als in Skandinavien oder in den Niederlanden – immer noch belächelt: Dieses „Kinderfilm steht am unteren Level, ganz oben stehen der ,Tatort‘ und der Spielfilm für Erwachsene“ müssen wir überschreiten. Wir wollen klar zu machen, wie wichtig das Publikum von morgen ist.

Was ist für Sie ein Kinderfilm?

In allererster Linie: ein guter Film. Also einer, der unterhält, der eine gute Geschichte hat, mit Figuren, mit denen ich mich identifizieren kann. Er ist an Kinder adressiert, sollte die Welt von Kindern ernst nehmen, er sollte auf Augenhöhe erzählen, und die Problemlösung muss aus den Kindern heraus erfolgen! Wenn er dann noch richtig gut ist, dann unterhält er auch Erwachsene. Insofern haben wir als Kinderfilmmacher eigentlich die größte Zielgruppe, die man sich überhaupt vorstellen kann.

Ist Thüringen das Kinderfilmland, als das es sich profiliert?

Ich glaube schon. Wir bündeln hier unser Büro, das auch mal in Frankfurt/Main war, den „Spatz“ und den Kika. Ich sehe uns schon als Kindermedienland, oder zumindest als ein Bundesland, das sich Kinderfilmen, -serien und -fernsehen stark verschrieben hat. Deswegen bin ich auch hier. Ich weiß echt nicht, ob ich sonst noch hier wohnen würde.

Weimars Bauhaus-Universität, an der Sie studierten, ist ja keine Filmhochschule. Was oder wer hat sie das Filmemachen gelehrt? Defa-Regisseur Günter Reisch (1927–2014), der dort einen Lehrauftrag hatte?

Auf jeden Fall Günter Reisch! Ich kam ja hierher, weil mich keine Filmhochschule wollte – was sicherlich daran lag das ich zu früh kam, mit schwierigen Kurzfilmen.

In Weimar habe ich ein Studium genossen, das sehr breit aufgestellt ist; man durchlebt alle Prozesse, die die Medienwelt mit sich bringt. Das ist ein Vorteil.

Günter Reisch, mein Mentor bei „Sputnik“, hat handwerklich viel von dem kompensiert, dass es keine Filmhochschule war. Und nebenher hieß es einfach: immer wieder Kurzfilme machen und mit denen erfolgreich an Festivals teilnehmen.

Und ein Schlüssel sind sicherlich die „Ostlichter“: Guido Schwab und Marcel Lenz studierten an der Bauhaus-Uni. Wir haben uns kennengelernt und gesagt: Wir machen Filme zusammen! Das war wichtig . Ich wäre zwar gerne auf eine Filmhochschule gekommen – aber jetzt nicht mehr.

Ich bin wohl ein Beispiel dafür, und die beiden Jungs auch, dass man nicht zwangsläufig auf eine Filmhochschule muss. Aber es bedeutet auch: graue Haare, Kampf, Entbehrung. Ob der Weg über eine Filmhochschule einfacher ist, wage ich zu bezweifeln. Aber er ist auf jeden Fall ein bisschen gerichteter.