Limlingerode. In unserer Reihe „Ostdeutsch“ erläutert Hildigund Neubert in ihrem Gastbeitrag, was sie prägt und worauf sie hofft.

Kennen Sie das? Da ist eine Umfrage zum Verhältnis Deutschlands zu Russland, da werden Wahlergebnisse der AfD oder der Linken grafisch dargestellt, da wird die Leugnung der Pandemie oder die Akzeptanz der Demokratie abgefragt – und immer erkennt man auf der Deutschlandkarte die ehemalige innerdeutsche Grenze.

Die Minderheit der Demokratieskeptiker, der Ängstlichen, der Extrem-Wähler ist hier größer als auf der anderen Seite. Und bei all diesen Fragen bin ich immer bei der eher den 40 Jahre älteren Bundesländern ähnlichen Gruppe – wie ja die meisten meiner Mitbürger auch.

Mir kommt die bös-satirische Deutung von „DDR“ in den Sinn, die die „Abstimmung mit den Füßen“ zusammenfasste: „Der Doofe Rest“. Etwa ein Viertel der DDR-Bevölkerung verlagerte ihr Leben lieber nach jenseits dieser Grenze und Millionen weitere DDR-Bürger flüchteten sich in den täglichen Fernsehabend bei ARD und ZDF.

Zu DDR-Zeiten war ich in vieler Hinsicht in der Minderheit: Als Pfarrerskind und Christin, als Nicht-Pionier, als Nicht-FDJlerin, konfirmiert ohne Jugendweihe, als nicht berufstätige Mutter, als Engagierte in der christlichen Gemeinde und in der sich politisierenden Opposition. So ist es eher das Antithetische, das mich aus den ersten dreißig Jahren meines Lebens geprägt hat. Als Christin war ich verbunden mit der Jahrtausende alten Beziehung zum Gott der Liebe. Das bedeutete die geistige Freiheit, über die Grenzen der Zeit und des Raumes der „größten DDR der Welt“ hinaus zu denken. Von hier kam die Kraft, das Anderssein auszuhalten und selbst wirksam zu werden. Konfirmiert wurde ich auf den Spruch: „Zur Freiheit hat euch Christus befreit. So steht nun fest und lasst euch nicht wieder unter das knechtische Joch fangen.“ (Gal. 5,1) Eine Zusage und ein Auftrag, genau die richtige Botschaft für mich als 14-Jährige damals.

Jetzt bin ich in Limlingerode zuhause, einem kleinen Dorf in der Nordwestecke Thüringens, im ehemaligen Sperrgebiet an der innerdeutschen Grenze. So viel Freiheit, wie ich sie mir nehmen konnte, hatten die Limlingeröder zu DDR-Zeiten nicht. Ihnen drohte stets der Verlust von Haus, Hof und Heimat. Und doch haben viele auch hier sich die Glaubensfreiheit bewahrt, sich als mitfühlende Menschen bewährt und 1989 die Chancen der neuen Freiheit begrüßt und ergriffen. Ich lebe gern hier, wo Menschen ihre Freiheit gestalten, ihren Glauben leben und Sorge tragen füreinander.

Sollte ich eine Differenz zu „westdeutsch“ definieren, dann ist es vielleicht, dass mir die Freiheitsliebe durch die praktische Erfahrung der Unfreiheit stärker bewusst ist. Weil ich weiß, was politische Diktaturen anrichten, sympathisiere ich mit dem Aufstand der Menschen in Belarus, der Frauen im Iran, hoffe ich, dass es in Russland doch Widerstand gibt, bange ich um die Demokratie in Ungarn. Mein Protest gegen die Nordstream-Leitungen hat mir bis zum Februar 2022 viel Spott eingetragen. Aber ich weiß, dass Freiheit einen Preis haben kann. Ist es wirklich unzumutbar, auf ein wenig Wohlstand zu verzichten, um den Kampf der Ukraine für ihre Freiheit zu unterstützen?

Ich will mich nicht unter das Diktat gewaltdrohender Diktatoren ducken, um mein kleines bisschen Ruhe zu haben. Ich fürchte, das unterscheidet mich von ebenso vielen West- wie Ostdeutschen. Und ich weiß, dass es mich mit vielen Menschen in der ganze Welt, auch in ganz Deutschland, verbindet.