Henryk Goldberg über den häuslichen Not- und Testfall

Heute kommt meine Schwester aus dem Urlaub zurück. Kein Risikogebiet, sie wird also nach Hause dürfen.

Nach Hause? Es wird ein anderes Land sein, sie wird nicht mehr können, was vor zwei, drei Wochen noch selbstverständlich war. Kann sein, sie fährt, einfach so, in den Nachbarkreis und wird dort ermahnt, weil die schon haben, was uns hier noch bevorsteht, eine Ausgangssperre. Kann auch sein, es ist ohnehin alles anders, weil ich das am Donnerstag schreibe und niemand weiß, wie dieses Land am Sonnabend aussieht. Denn, wie der Genosse Honecker in weiser Voraussicht schon vor sehr, sehr langer Zeit feststellte: Jähe Wendungen sind nicht ausgeschlossen. Es war nicht alles falsch.

Apropos: Vorwärts immer, rückwärts nimmer! Also wollen wir optimistisch bleiben, die Situation hat auch ihre guten Seiten. Nicht nur, dass der Eurovision Song Contest ausfällt, was ich für einen Beitrag zur Befriedung der europäischen Kulturlandschaft sowie unserer häuslichen Debatten um das Fernsehprogramm halte. Überdies werde ich in vier Wochen eine der gepflegtesten Frisuren der Stadt mein eigen nennen, weil die anderen nicht mehr zum Friseur dürfen und ich nicht muss. Ich nenne das einen Akt ausgleichender Gerechtigkeit, auch wenn außer der Dame das kaum jemand sehen wird, weil ich dann als Risikogruppe dem allerstrengsten Hausarrest unterworfen sein werde und aushäusige Unternehmungen eine ferne Erinnerung sind. Auch ermöglicht uns, weil wir gerade von häuslich und Dame sprechen, die Familie in den Zeiten von Corona einen Blick in die Zukunft. Wenigstens mir. Denn irgendwann, eines fernen Tages, wird auch die Dame, wie ich schon heute, ihr Einkommen von der Deutschen Rentenversicherung Bund erhalten, das ist auch sicher. Wir üben schon mal das Zusammenleben 24/7. Und dann ist es immer so wie jetzt.

Und jetzt ist Home Office. Und? Und nichts.

Es ist wie immer, nur dass wir uns manchmal in der Wohnung begegnen, nur, dass ich manchmal frage, ob ich schnell mal an meinen Drucker darf. Dabei, ich habe Glück, weil die junge Dame den Regungen des Herzens sowie des Alters folgt, ist ihr Zimmer frei und mein Schreibtisch bleibt es, die Presseerklärungen und Telefonmitschriften werden im Kinderzimmer verteilt.

Im Übrigen bleibe ich ungestört, wenigstens in meinem kleinen Reich, in der Küche. Nach wie vor stelle ich meine Halbfertignahrung zur anderen Hälfte in der Mikrowelle fertig, nach wie vor befülle ich den Geschirrspüler und säubere den Fußboden, wenn Mutti hoch zur Arbeit geht. Nämlich, sie verweigert sich jeder Prokrastination, jeder Ablenkung, die sie in ihrem unermüdlichen Wirken für den Leser aufzuhalten vermöchte. Ein Teil der Informationen, die Sie, verehrter Leser, durch diese Ihre Zeitung erhalten, wird also gleichsam auf meinem Buckel erstellt, jetzt mal bildlich gesprochen.

Denn während ich unten sitze und mit brennendem Herzen sowie traurigen Augen nach oben starre und denke, wie schön es jetzt wäre, gemeinsam mit ihr eine Tasse Kaffee zu trinken, ein Stück Kuchen zu essen, derweil ich leide also wird da recherchiert und informiert und formuliert auf Teufel komm raus.

So bekomme ich wenigstens einen aufmunternden Blick, ein anerkennendes Lächeln für mein Wirken in der Küche, so sieht sie wenigstens einmal mit Respekt was das gute Heinzelmännchen sonst, während sie in der Redaktion ist, alles so klaglos schafft und schafft, während der liebe Gott den Tag lang sein lässt?

Kann schon sein, dass sie es sieht, jedoch sie lächelt nicht, sie blickt nicht. Ihr Home Office is ihr Castle und die Zugbrücken davon sind hochgezogen.

Ich meine, was soll das mal werden, wenn ich nicht mehr einsetzbar bin für diese einfachen Küchenarbeiten, wenn ich nicht mal mehr auf diese klitzekleine Anerkennung hoffen darf? Wenn mir, wie mein Lieblingsleser F. St. diese Woche schrieb, nicht nur „bei rechts, Juden und Migranten bildlich gesprochen der Sabber ausläuft“, sondern ganztägig und anlasslos?

Fragen über Fragen.

Aber es gibt auch noch Schönes im Leben. Vorige Woche hat das Amtsgericht Mühlhausen einige Jugendliche zu Arrest verknackt. Wegen Schulschwänzerei.