Waltershausen. Bei den Thüringer Bachwochen am Ostermontag in Waltershausen kommen die Besucher in den Genuss einer Interpretation aus Belgien.

Bach ist nicht totzukriegen. Und Ausflüge in gewisse „Cross-over“-Niederungen übersteht er meist relativ unbeschadet – am Ende steht da immer noch, wenn auch modern verkleidet, der ursprüngliche Bach: Er kann nicht anders, um mit Luther zu sprechen.

Doch diesmal war es anders: Kein Cross-over. Aber auch kein originaler Bach. Und doch Bach, ganz unverstellt, wie er musikalisch leibt und lebt. Dieses Kunststück hat der geniale Organist und Dirigent Wouter Dekonninck zuwege gebracht. Und mit ihm das Hildebrandt Consort aus Belgien, das international in der höchsten Liga spielt: Sechs Vokalsolisten und ein Barockorchester, die sich ganz der – wie man heute sagt – historisch informierten Aufführungspraxis verschrieben haben.

Dekonninck hat die berühmte, 1739 im Druck veröffentlichte Bach‘sche „Clavierübung Teil 3“ („Orgelmesse“) hergenommen, also Werke verschiedener Machart für Orgel, hauptsächlich Präludien mit Fugen und Choralbearbeitungen, hat einige Luther-Choräle hinzugefügt und diese Stücke in Musik für Sänger und Orchester verwandelt. Herausgekommen ist die „Große Messe 1739 für Bach und Luther“.

Am Beginn steht das Präludium Es-Dur BWV 552, mit dem Dekonninck an der großen Trost-Orgel ein plastisches Klangbild von großer Strahlkraft schuf.

Hoher Genuss und tiefe geistige Versenkung

Das Orchester fühlt sich nicht nur in seiner Spielweise dem Barockstil verpflichtet, sondern spielt auch hauptsächlich dem historischen Vorbild nachempfundene Instrumente. So konnte das Publikum nicht nur Gambe und Viola d‘amore visuell und klanglich erleben, sondern auch die Oboe da caccia mit ihrer Messingstürze, Vorläuferin des Englischhorns.

Als Gesangssolisten agierten Sojeong Im (Sopran 1), Barbara Somers (Sopran 2), Rob Cuppens (Altus), Adriaan de Koster (Tenor), Erik van Nevel (Bass 1) und Matthew Zadow (Bass 2). Das sind sechs Stimmen, die gänzlich auf Vibrato verzichten, klar, rein und geradlinig und gleichzeitig dynamisch fein differenziert musizieren und sich in beachtlicher Homogenität des Gesamtklangs zusammenfinden. Bereits im 1. Teil des „Kyrie“ hinterließen die Solisten mit ihren ruhig fließenden, polyphon mäandernden Stimmen ein Bild vollendeter Schönheit.

In starkem Kontrast dazu stand an anderer Stelle die polyphone Erregtheit der Vokalisten, etwa im Teil „Das Gesetz“ („Dies sind die heil‘gen zehn Gebot‘“) und im Eingangschor des „Credos“. Und da es sich ja um eine Übertragung ursprünglich instrumentaler Musikstücke handelt, mussten die Sänger auch virtuosesten, eigentlich der Orgel vorbehaltenen Passagen in Form schwieriger Koloraturen gewachsen sein – und sie waren es in vorbildlicher Form, etwa im Schlusschor „Lob sei Gott dem Vater g‘than“.

Damit ging nach etwa zwei Stunden hohen Genusses und tiefer geistiger Versenkung diese „Große Messe“ zu Ende. Mit langem, immer wieder trampelndem Applaus dankte das Publikum dem Hildebrandt Consort. So durfte es schließlich, als Zugabe, noch einmal diese „Lobpreisung“ hören.

Eine Aufzeichnung des Konzerts senden MDR Kultur und MDR Klassik am Dienstag, 30. April, 20.15 Uhr.