Ettersburg. Uwe Tellkamp liest beim Pfingstfestival auf Schloss Ettersburg mal wieder aus seinem immer noch unveröffentlichten Roman „Lava“.

Geht das überhaupt? Soll das überhaupt gehen: Literatur, die frei ist von den Anwürfen des Tages, von den Wellen der Politik? Es geht, natürlich, bei manchen Autoren und ihren Büchern, Uwe Tellkamp gehört zu denen, die ohne Politik nicht zu haben sind. Und wohl deshalb wurde er von Peter Krause, der in Thüringen, auf andere Weise, erlebt hatte, was Tellkamp in Deutschland noch immer erlebt, zum Pfingstfestival auf Schloss Ettersburg eingeladen.

So versucht Krause mit den Ettersburger Gesprächen, den Riss, der durch Deutschland geht, auf einem Niveau zu reflektieren, das sich abhebt von den Pöbeleien im Internet, so holte er den linken Jakob Augstein und den rechten Karlheinz Weißmann, so holte er Uwe Tellkamp. Und der fühlte sich spürbar besser als vor einem Jahr, da war sein Satz „Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent“, noch frisch, frisch auch die Unterzeichnung der „Gemeinsamen Erklärung 2018“. Dann verschwand der Schriftsteller ein Jahr lang von der Diskurs-Bühne. Nun, so scheint es, tritt er wieder an, er moderiert in seiner Stadt Dresden die Reihe „70 Jahre DDR“, er liest und diskutiert hier in Ettersburg.

An dieser Diskussion allerdings schien der Auftritt vor vollem Hause zunächst nicht interessiert, es entwickelte sich eine freundlich entspannte Plauderei, die die „andere kulturelle Tiefendimension“ des Ostens, die Peter Krause einleitend vermutet hatte, besten Falles als Harmlosigkeit erscheinen ließ. Kann aber auch sein, dass Tellkamp, der seinem Moderator Christoph Schmitz-Scholemann mehr dankte, als es die Höflichkeit erforderte, gerade diese Harmlosigkeit als wohltuend empfand: Endlich einmal nur über Literatur sprechen, nur übers Leben, nur über die Wie-haben-Sie-das-gemacht-Fragen.

Sprechen über Deutschland

Dennoch, als das Fragen am Publikum war, da schien es, als freue er sich, endlich wieder zu den Leuten über das Land sprechen zu können. Zum Beispiel über die raffinierte Psychologie der Grünen: Die schwedische Greta, der deutsche Rezo, die tauchen alle so vor den Wahlen auf. Soll das ein Zufall sein? Applaus. Es ist eine interessante Frage, ob sich Uwe Tellkamp derlei auch auf einem Podium traute, das nicht in der thüringischen Provinz steht. Aber vermutlich täte er das, denn der Mann meint, was er sagt und er meint es ehrlich – was man ihm zurechnen muss, denn eben diese Ehrlichkeit konzedierte er, immerhin, auch Menschen, „vor allem in der Kulturszene die sich fürchten vor einem neuen 3. oder 4. Reich“.

Was ihn allerdings nicht hindert, den solche Ängste erweckenden Block mit dem Glanz seines Namens zu armieren. Eine Koalition, deren Spektrum von Intellektuellen wie Tellkamp über eine wohl immer breiter werdende bürgerliche Mitte bis hin zu schlichten Nazi-Schlägern reicht. Und wenn auch wohl viele aus diesem Block sich in keiner bewussten, gewollten Verbindung mit anderen sehen, so nehmen sie sie doch billigend in Kauf.

Der Autor des „Turm“ tat im Übrigen, was er schon lange tut, er las aus der schon mehrfach nicht erschienenen Fortsetzung „Lava“. Die Fragmente hören sich an wie eine Satire auf den Umgang Deutschlands mit der Flüchtlingsfrage. Sie sind, das steht fest, weltenweit entfernt von der literarischen Qualität des wunderbaren „Turm“. Kann sein, die Nachbereitung des „Wir schaffen das“ wird für Uwe Tellkamp, was die Nachbereitung der „blühenden Gärten“ für Günter Grass wurde. Aber das ist, wie alles andere auch, ein weites Feld.

Weitere Veranstaltungen unter www.schlossettersburg.de