Erfurt. Eine lyrische Videoinstallation adelt den Thüringer Gemeinschaftsstand auf der am Mittwoch beginnenden Frankfurter Buchmesse.

Mario Osterlands poetischer Zug fährt eigentlich in die falsche Richtung: Erfurt–Leipzig in 44 Minuten, „wie im Tiefflug über aufgeklärtes Gebiet“. So heißt es in einem Gedicht, das er auf der Buchmesse vorträgt, ohne selbst anwesend zu sein.

Es ist nicht jene in Leipzig, die im Frühjahr vergleichsweise ein großes Fest der Literatur feiert, sondern die in Frankfurt, wo es im Herbst ums große Geschäft mit dem Buch geht. Dort, in Halle 3.1, ist Thüringen 156 Quadratmeter groß und, um sich mal sehr frei bei Osterland zu bedienen, „ein Testgelände für den Ernstfall“.

Der Ernstfall heißt Literatur, Lyrik sogar, das Testgelände heißt „Thüringen-Lounge“: ein Gemeinschaftsstand, den die Landesentwicklungsgesellschaft seit 2011 im Auftrag des Wirtschaftsministeriums betreibt. Das kostet insgesamt 160.000 Euro.

Damit habe man die Zahl der Aussteller aus Thüringen in Frankfurt/ Main verdreifachen können, heißt es. Thüringen zeigte sich als erstes Bundesland derart auf der Buchmesse. Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen, Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg und Bayern zogen nach.

Dreizehn Dichter in einer halben Stunde

Doch nur in „Thüringen“ gibt es, seit 2016, die „Kunstpause: Poesie“. Die hochformatige Videoinstallation versammelt in diesem Jahr nun binnen einer halben Stunde dreizehn Dichterinnen und Dichter.

Deutschlandweit bekannte sind dabei, wie Nancy Hünger (Erfurt), Daniela Danz (Kranichfeld) oder Peter Neumann (Weimar/Jena), Neuentdeckungen wie Sandra Blume (Eisenach) und Gorch Maltzen (Weimar), auch Auswärtige mit Verbindung zu Thüringer Dichtern, wie Crauss (Siegen) oder Özlem Özgül Dündar (Leipzig/Solingen). Und eben Mario Osterland aus Mühlhausen, in Erfurt lebend, der mit „Tiefflug“ einen eher untypischen Text auswählte, weil er seine Lyrik nur selten konkret verortet und alles andere als ein Landschaftsdichter ist. „Ich dachte“, teilt er aber mit, „das wäre ein guter Text, um am Buchmessen-Stand des Landes Thüringen auch im Vorbeigehen zu funktionieren.“

Osterland ist zugleich Co-Kurator von und Ratgeber für die „Kunstpause: Poesie“. So beschreibt ihn der Künstler Reinhard Franz aus Erfurt, der an Weimars Bauhaus-Uni lehrt. Franz hatte die Idee zur Installation, als dem Stand zweierlei fehlte: ein künstlerischer Beitrag und ein Ort für Lyrik, die nicht nur gelesen, die auch gesprochen werden will.

Die „Thüringen-Lounge“ als Veranstaltungsort

Mit seinem „Optophonetischen Institut Weimar“ schuf er Abhilfe. Es funktioniert. Nicht nur verweist die Installation pars pro toto darauf, „wie viel schriftstellerisches Potenzial in Thüringen steckt“, wie Osterland oft erstaunt feststellt. Zudem „nehmen das die Messebesucher tatsächlich und im Wortsinne als willkommene Pause im Messetrubel an“, berichtet er von Erfahrungen, als er für den Gemeinschaftsstand Lesungen organisierte und moderierte.

Die „Thüringen-Lounge“ als Veranstaltungsort ist einer der Pluspunkte für beteiligte Verlage. Bussert & Stadeler aus Jena zum Beispiel präsentieren diesmal Uta Heyders Band „Born in the GDR – angekommen in Deutschland“, mit dreißig Lebensberichten aus Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Das ist eine von fünfzehn Veranstaltungen am Stand.

Dieser bringt Verleger Helmut Stadeler auch sonst „einen unheimlichen Fokus, weil die Halle 3.1. ein großes Publikumsaufkommen hat“. Die Präsentation dort sei nun einmal „aufmerksamkeitserregender“ als in der Enge unter Klein- und Kleinstverlagen „in ihren Buchten“ in Halle 4. „Dort fehlt die Weite für das schöne Buch.“ In der „Thüringen-Lounge“ könne man sich mal hinsetzen und mit potenziellen Autoren und Kollegen ins Gespräch kommen und gerade internationale Kontakte pflegen. Bussert & Stadeler wollen aktuell Lizenzen nach China verkaufen.

Sechs Thüringer Aussteller mit eigenen Ständen

Versammelt sind am Thüringen-Stand diesmal alles in allem siebzehn Aussteller, die Hälfte davon sind Verlage. Weitere sechs Aussteller sind, ebenso vom Wirtschaftsministerium gefördert wie die anderen, mit eigenen Ständen vertreten.

Der Knabe-Verlag Weimar und die Room AG Jena zum Beispiel. Beide lernten sich 2018 auf dem Gemeinschaftsstand kennen. Diesmal gehen sie einen eigenen gemeinsamen Weg: in Halle 3.0, bei den Kinderbüchern, wo sich Verleger Steffen Knabe doch besser aufgehoben fühlt. Seine Bücher stellt er der Room AG zur Verfügung, die eine App vorstellt: via Kamera werden diese Bücher gescannt, so zusätzliche Inhalte der „Augmented Reality“ dafür zu generieren.

„Man wird natürlich ganz anders wahrgenommen, wenn man an einem so großen Stand vertreten ist, anders als bei so einem Dixi-Klo-Stand auf zwei Mal zwei Metern“, sagt Steffen Knabe über die „Thüringen-Lounge“. Da könne man auch mal Termine woanders wahrnehmen, derweil der Stand betreut wird.

Da es vom Wirtschaftsministerium inzwischen eine „einzelbetriebliche Messeförderung“ gibt, lohne sich das für ihn aber mehr. Der Thüringen-Stand koste ihn ja auch „ordentlich Geld“. Von 2500 Euro Gebühren würden 1000 Euro gefördert.

Knapp 100 Verlage in Thüringen

Für einige Verlage sei die „Lounge“ ein Sprungbrett gewesen, um jetzt an spezielleren Ort zu gehen“, so Helmut Stadeler. „Für andere war die Wirkung dann eben doch nicht adäquat zu den Kosten.“ Interessant sei die Frankfurter Buchmesse auch für kleine Verlage vielleicht schon, „aber immer noch unheimlich teuer“. Allein die Hotelpreise stiegen während der Messe inzwischen meistens aufs Dreifache.

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels gibt laut Wirtschaftsministerium die Zahl der nachweisbaren Verlage in Thüringen mit bis 101 Unternehmen an. Nur 25 Verlage gehören indes zum Börsenverein.

Frankfurt sei für kleinere Verlage schwierig, meint Steffen Knabe. „Da kommt man, anders als in Leipzig, nicht so richtig an die Endkunden heran.“ Sie wollten auch nicht großartig mit Lizenzen handeln. „Das ist den meisten keine 1500 Euro wert, das kriegt man nie wieder rein.“

Die Frankfurter Buchmesse in Fakten:

  • Von Mittwoch bis Sonntag zeigen auf der weltweit „größten Fachmesse für das internationale Publishing“ nach Angaben der Buchmesse 7450 Aussteller aus 104 Ländern ihre Bücher und Publikationen. Die Zahl der Aussteller ist gegenüber dem Vorjahr um rund 150 gestiegen.
  • Erwartet werden rund 285.000 Besucher.
  • Die Frankfurter Buchmesse hat zum Auftakt die frisch gekürte Literaturnobelpreisträgerin für 2018, Olga Tokarczuk, präsentiert. „Ich habe das Gefühl, dass eine große Verbundenheit zwischen uns Menschen besteht“, sagte die polnische Autorin am Dienstag in Frankfurt am Main. Sie äußerte sich besorgt über Versuche der polnischen Regierung, die Kontrolle über Museen und Theater zu erlangen.
  • Gerade wegen des raschen Wandels seien Verlage und Bibliotheken notwendiger denn je, sagte der Direktor der Buchmesse, Juergen Boos. Nach einer Umsatzsteigerung von fünf Prozent im vergangenen Jahr sei der Umsatz dieses Jahr von Januar bis September weiter um 2,5 Prozent gewachsen.
  • Zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse ist auch die norwegische Kronprinzessin Mette-Marit angereist. Die 46-Jährige kam am Dienstagnachmittag mit ihrem Mann, Thronfolger Haakon, am Frankfurter Hauptbahnhof an. An Bord ihres Literaturzugs waren mehrere norwegische Schriftsteller, darunter Maja Lunde („Die Geschichte der Bienen“) und Jostein Gaarder („Sofies Welt“). Am Bahnhof wurde das Kronprinzenpaar mit Musik und Blumen empfangen. Norwegen ist in diesem Jahr Ehrengast der Frankfurter Buchmesse.
  • Am Samstag und Sonntag öffnet die Buchmesse traditionell ihre Pforten für das leseinteressierte Publikum.
  • An diesen Tagen gibt es verschiedene Veranstaltung mit Autoren.