Berlin. Bei „Lanz“ ging es um die Ukraine, Taurus und die große Frage: Was ist Europa seine Freiheit wert? Nachlese zu einer spannenden Runde.

Die Nato-Staaten geben derzeit im Ukraine-Krieg kein besonders gutes Bild ab. Versprochene Munition nur teilweise geliefert, in den USA steckt ein milliardenschweres Hilfspaket im Kongress fest und in Paris widersprechen sich der Bundeskanzler und der französische Staatspräsident öffentlich darüber, wie der Ukraine künftig zu helfen ist.

Macron denkt laut über den Einsatz von Bodentruppen nach und geht damit auf Konfrontationskurs zu Scholz, für den – wie für die meisten Nato-Regierungen – so ein Einsatz eine rote Linie ist. Mindestens teilweise will der Kanzler deswegen auch keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern. Lesen Sie dazu auch:Masala – Macron hat im Prinzip recht, aber ...

Zwar ist längst nicht klar, wie kriegsentscheidend die weitreichenden Raketen sein könnten, doch es stellt sich dieser Tage schon die Frage, wie der Westen, wie Europa, wie Deutschland, denn gedenkt, Russlands Angriffskrieg Einhalt zu gebieten; eine Frage, die auch die Mittwochssendung von „Markus Lanz“ dominierte.

Putin versteht nur eine Sprache

Der Sendung gelang es in der ersten Hälfte, die verschiedenen Standpunkte sachlich auszudiskutieren. Auf der einen Seite stand der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner für die abwägende Linie des Kanzlers beim Thema Waffenlieferungen ein, auf der anderen versuchten die Russland-Kenner Irina Scherbakowa und Investigativ-Reporter Marcus Bensmann Stegner stellvertretend klarzumachen, was in Teilen der Ampel-Regierung immer noch nicht ganz verstanden scheint: Hat Putin in der Ukraine Erfolg, droht der Rest Europas unter russische Herrschaft zu fallen. Der SPD-Politiker gab in der Runde nicht immer ein gutes Bild ab.

Stegner gab eingangs zunächst die Haltung des Kanzlers wieder. Waffenlieferungen ja, aber: Deutschland darf keine Kriegspartei werden. Er traf umgehend auf Widerstand, zunächst seitens der Memorial-Gründerin Scherbakowa, die sich kopfschüttelnd über die „Unschlüssigkeit“ beklagte. Sie fühlte sich an die deutsche Zögerlichkeit zu Kriegsbeginn erinnert und holte zur Attacke auf Berlin und Paris aus: „Es sieht so als, als ob man nicht wirklich will, dass Putin den Krieg ganz verliert und die Ukraine den Krieg gewinnt.“ Putin verstehe nur die Sprache der Stärke, führte sie aus und stellte klar: „Dieses Wackeln empfindet Putin als Schwäche.“

Experte: „Das ist KGB-Denken“ – und Populisten helfen Putin

„Correctiv“-Journalist Bensmann dann war es, der bei „Lanz“ auf die Dringlichkeit der Situation hinwies. „Putins Ziel in diesem Krieg gegen die Ukraine ist die Dominanz Russlands über Europa.“ Putin arbeite daran, dass der Westen sich aufspalte, erklärte Bensmann und erläuterte, unter großer Zustimmung Scherbakowas, was derzeit auf dem Spiel steht: „Wir müssen verstehen, hier wird das Schicksal Europas, unserer Freiheit und Demokratie entschieden“.

Will sagen: Ein paar Panzer und zu wenig Munition schaden am Ende nicht nur der Ukraine, sondern denen, die sie liefern. Sein Standpunkt: Die Demokratie müsse verteidigt werden, „koste es, was es wolle“. Der Russland-Experte erklärte die psychologischen Fallstricke einer zögerlichen Ukraine-Politik im Westen: „Jede Schwäche lädt zur weiteren Demütigung ein.“ Putin müsse mit Stärke begegnet werden, „mit allem, was wir haben“.

Anknüpfend an die folgende Warnung von Militärexperte Christian Mölling, Putin wolle nicht nur die Nato, sondern auch die EU auseinandertreiben, führte Bensmann aus: „Putin versucht, Europa zu destabilisieren. Das ist KGB-Denken, den Feind gegeneinander auszuspielen.“ In Deutschland stünden ihm dafür willige Helfer bereit: die AfD und Sahra Wagenknecht. Sie seien „die Türöffner Putins in unsere Freiheit, in unsere Demokratie“. Er warnte: Sollte Putins Macht über Europa zunehmen, würden Morde wie der im Tiergarten oder unlängst in Spanien an einem Überläufer zunehmen.

Stegner patzt bei Churchill-Vergleich

Stegners Stirnrunzeln nahm während dieser Ausführungen in gleichem Maß zu, wie sich seine Mundwinkel nach unten zogen. Im war anzusehen, dass er in der Sache zwar weder Bensmann noch Scherbakowa widersprechen wollte. Die Konsequenzen aber wollte der Sozialdemokrat der deutschen Öffentlichkeit und seiner Partei nicht zumuten und verlor sich in Widersprüchen.

Er verwies auf den demokratischen Prozess, der es nicht erlaube, mit einer „Blut, Schweiß und Tränen-Rede“ die Menschen zu vertieften Kriegsanstrengungen zu motivieren, und äußerte die Befürchtung, zu hohe Rüstungsausgaben bei gleichzeitiger Einhaltung der Schuldenbremse trieben am Ende die Wähler an die Ränder – und damit in Putins verlängerte Arme.

Darüber vergaß er, dass eben jene Rede vom demokratisch gewählten Winston Churchill gehalten worden war, um das britische Kabinett – und mit ihm die britischen Wähler – mitten in der Schlacht um Frankreich auf bevorstehende harte Kriegszeiten einzustimmen. Die Rede gilt bis heute als einer der wirkungsvollsten politischen Reden überhaupt, eben weil sie einer verunsicherten Öffentlichkeit schonungslos aufzeigte, was droht, wenn sie sich nicht gegen die Nazi-Barbarei verteidigt: der Verlust der Freiheit.

Auch mit seinen Ausführungen über „gewaltige Anstrengungen“, die Deutschland unternehme, Stegner verwies immer wieder und zunehmend beleidigt auf die bereits geleistete Militärhilfe, konnte er die Runde nicht überzeugen. Das sei ein „Schönheitdebatte“, die Teile der Bundesregierung da führten, tadelte etwa Militär-Experte Mölling. Der Munitionsmangel sei bereits vor Kriegsausbruch bekannt gewesen, nichts sei unternommen worden. Er arbeitete an Stegner gerichtet heraus: „Was Deutschland leistet, reicht zurzeit nicht aus.“

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„Lanz“-Sendung zeigt den Weg nach vorn

Nun kann man natürlich geteilter Meinung darüber sein, inwiefern eine europäische Kriegswirtschaft, geboren aus der Bedrohung der westlichen Demokratie und getragen von der Verantwortung Europas, insbesondere Deutschlands, für die Situation in der Ukraine den Frieden auf dem Kontinent auch nur annähernd wiederherstellt.

Auch die in dieser Runde reichlich vorgetragene Kriegsrhetorik dürfte viele Menschen eher abschrecken als im Churchill‘schen Sinne zur schweiß-und-tränen-treibenden Verteidigung der Demokratie motivieren. Zu abstrakt ist immer noch die Bedrohung, zu lieb ist der Wohlstand und Stegner hat einen Punkt, wenn er befürchtet, dass eine zu hohe Belastung der Bevölkerung jene am Ende zu den politischen Rändern treibt, die allzu einfache Lösungen versprechen. Ein Deutschland, das angesichts multipelster Krisen lieber auf seinen Schuldenstand schaut als auf die Menschen im Land, läuft Gefahr, alles zu verspielen.

So darf man sich dieser Tage wünschen, dass es der Politik gelänge, offen mit den Wählenden zu sprechen. Was es dazu braucht, hat diese „Lanz“-Sendung klargemacht. Weniger fetischisierte Einzeldebatten über Waffensysteme wie den Taurus und mehr Fokus auf das große Ganze: Nicht nur die Freiheit der Ukraine steht auf dem Spiel, sondern die Europas. Deutschland muss aushandeln, was diese Freiheit wert ist – und/oder den Preis bezahlen.

Russland-Reportagen von Jan Jessen