Weimar. Die Staatskapelle Weimar spielt im nächsten Konzert: „Vor 100 Jahren“ eine Ausgrabung von Franz Liszt.

Eine Ausgrabung von Franz Liszt (1811–1886) spielt die Staatskapelle Weimar im nächsten Konzert: „Vor 100 Jahren“. Auf das völlig in Vergessenheit geratene Melodram sei er durch den Musikwissenschaftler Nicolas Dufètel aufmerksam geworden, sagt GMD Kirill Karabits. Die Wiederaufführung – vermutlich die erste seit 160 Jahren – betrachte er als Experiment. Und als Reverenz an das Bauhaus und die Weimarer Verfassung.

Liszt jedoch, der 1842 bis 1861 als „Kapellmeister in außerordentlichen Diensten“ in Weimar engagiert war, hatte völlig anderes im Sinn: Er komponierte „Vor 100 Jahren“ anno 1859 für die Zentenarfeiern zu Schillers rundem Geburtstag. Den Text, den nun die Schauspieler Nadja Robiné und Sebastian Kowski sprechen werden, steuerte der Schriftsteller Frie­drich Halm (1806–1871) bei. Eben darin ruht eine gewisse Brisanz – nicht nur, weil die Form des Melodrams ganz aus der Mode geraten ist, sondern vielmehr, weil der gebürtige Breslauer Halm – inzwischen Hofrat in Wien – fürs „einig Vaterland“ glühte.

Deutschland existierte damals nur als Kulturnation und als Flickenteppich auf der politischen Landkarte; zudem hatte Halm noch die napoleonischen Kriege erlebt. So finden sich in dem Mini-Drama, das Germania und Poesia als allegorische Figuren vorstellt, Passagen, die man heute als nationalistisch missverstehen würde. Behutsam wurde der Text geglättet. „Ich betrachte das Werk als Teil unserer Liszt-Forschung und als ein Dokument, das von der Zeit damals erzählt“, erklärt Karabits, der die Partitur im Liszt-Nachlass, Budapest, ausfindig machte. „Ich bin gespannt, wie das auf die Zuhörer in Weimar und in England wirkt.“ Das Projekt findet in Kooperation mit dem Bournemouth Symphony Orchestra statt, dem Karabits ebenfalls vorsteht. Eine dritte Aufführung ist in London angesetzt.

Der Rundfunk schneidet das um den „Künstlerfestzug zur Schillerfeier“ als Ouvertüre sowie Bruckners Vierte ergänzte Konzert mit. Ob die Liszt-Ausgrabung auf CD konserviert wird, steht noch nicht fest. Doch könnte aus der Einspielung der „Sardanapalo“-Oper, der bereits aufgezeichneten Dante-Sinfonie und dem für nächstes Jahr geplanten Konzert mit der Faust-Sinfonie und der Beethoven-Kantate ein regelrechter Weimarer Liszt-CD-Zyklus entstehen. „Das“, sagt Karabits, dessen Amtszeit als Generalmusikdirektor in Weimar nach Meinung vieler diesen Sommer viel zu früh endet, „wollte ich auch so.“ Es wäre ein angemessenes Vermächtnis.

So/Mo, 19.30 Uhr, Weimarhalle