Erfurt. Auch in Thüringen gibt es einige Projekte zur bundesweiten Aktion.

Keineswegs fällt der traditionelle bundesweite Vorlesetag dieses Jahr dem Coronavirus zum Opfer. Wegen der strengen Kontaktbeschränkungen wandert er allerdings am Freitagmorgen weitestgehend ins Digitale. Das teilte jetzt die Stiftung Lesen als Veranstalter mit; mehr als 500.000 Vorleser und Zuhörer haben sich bereits registriert. Auch in Thüringen ist eine Reihe von Veranstaltungen geplant.

Die mediale Façon mindert zwar die Aura der Unmittelbarkeit, weitet jedoch die Auswahl: So kann, wer über die technischen Mittel verfügt, der Schriftstellerin Cornelia Funke, dem Fußballprofi Thomas Müller oder der Schauspielerin Annette Frier ab 9.30 Uhr via www.vorlesetag.de lauschen. Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europaparlaments, präsentiert zum Jahresthema „Europa und die Welt“ sogar ein Märchen in 13 Sprachen per Video. Zu den Unterstützern der Aktion zählen viele Prominente und Politiker, Verbände und Verlage, darunter auch unsere Funke Mediengruppe.

Hierzulande haben vor allem öffentliche Bibliotheken, Kitas und Grundschulen Aktionen geplant, etwa in Ohrdruf, Ilmenau, Waltershausen, Schmalkalden und Weimar. Prominente dürfen zwar nicht auftreten, sondern fast immer sind es die vertrauten Kita-Betreuer und Lehrer. Ab 9 Uhr kommt Leonie Wagner beim Wartburgradio, Eisenach, über den Äther. Aus der Weimarer Kita Kirschbachtal tritt „Das Tierhäuschen“ ins Spiel ein, und Natalia Bückert, ebenfalls Weimar, liest Julia Donaldsons „Grüffelo“ sogar dreisprachig vor: auf Deutsch, Ukrainisch und Russisch.

Gemeinsamkeit stiftende Aktion für Kinder mit Migrationshintergrund besonders wichtig

Der Mehrsprachigkeit fühlt sich selbstverständlich auch Andrea Haase verpflichtet. Sie leitet ehrenamtlich das Projekt „Brücken bauen“ der Malteser in Erfurt und trägt schon das dritte Mal zum Vorlesetag bei – diesmal auf Deutsch, auf Persisch und Arabisch. Gerade für Kinder mit Migrationserfahrung sei eine solche Gemeinsamkeit stiftende Aktion enorm wichtig, sagt sie, „in normalen Zeiten gibt es viel Zulauf“. Und nach dem Vorlesen wurde stets noch gemeinsam gebastelt.

Das könnte diesmal zwar schwierig werden, die Aktion per Zoom-Link betrachtet sie als Experiment. „Aber es ist mir trotzdem wichtig, dass solche Sachen nicht zu kurz kommen.“ Zur Lektüre ausgesucht hat Haase das Kinderbuch „Der kleine schlaue Elefant“ – und flugs noch die Bilder eingescannt, damit jeder Zuhörer eine Vorstellung gewinnt, welche – buchstäblich lösbaren – Probleme bei einem Rüsselknotenwettbewerb entstehen können.

Jeder Tag könnte ein Vorlesetag sein

Jenseits des alljährlichen Aktionstages könnte jeden Tag Vorlesetag sein – zu Hause im Kreis der Familie. Professor Peter Noack, der Pädagogische Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena lehrt, kennt den Forschungsstand und versichert: „Kinder profitieren davon enorm.“ So wurde in Studien ermittelt, dass Zöglinge, deren Eltern regelmäßig vorlesen, bis zu ihrer Einschulung rund 30 Millionen Wörter mehr gehört haben als andere. Das fördert stark die eigene Sprachkompetenz, aber dank des Einfühlens in fiktive Welten auch die allgemeine kognitive Entwicklung. Als Drittes hebt der Psychologe Noack die besondere Vertrauenssituation zwischen (Groß-)Eltern und (Enkel-)Kindern hervor.

Wenn man als Kind so ans Lesen herangeführt wird, liest man später als Erwachsener auch mehr und lieber, erklärt der Jenaer Wissenschaftler. Bei der Pisa-Studie schlügen sich die Schüler hierzulande zwar recht wacker im Mittelfeld, jedoch „gehören Kinder in Deutschland zu der größten Gruppe von Kindern, die nur lesen, wenn sie müssen, und nicht zu ihrem Vergnügen.“ Noacks Fazit: „Da ist noch viel Luft nach oben.“ – Zum Beispiel am Vorlesetag könnte man ja mit Abhilfe beginnen…

www.vorlesetag.de