Erfurt. Die Oper Erfurt will mit dem Wagner-Epigonen Lust auf ihr „Ring“-Projekt 2023-2027 machen.

Wagner voraus! Als gälte es, dem Publikum Appetit und dem eigenen Ensemble eine Art Training für die „Ring“-Tetralogie 2023-2027 zu bereiten, hat Erfurts Intendant Guy Montavon mit Felix Weingartners gigantomanischem „Orestes“ (1902) ein spannendes Beispiel spätromantischen Epigonentums ausgegraben. Weingartner (1863-1942), als Dirigent der Karajan seiner Zeit, fühlte sich eher zum Komponisten berufen und war offenbar vom Ehrgeiz beseelt, der bessere Wagner zu sein. Zumal er statt heroischer Weltuntergangsfantasien eher ein humanistisches Signal der Versöhnung kreiert.

Filigraner, moderner, farbiger als das Vorbild hat der Liszt-Eleve die Partitur gearbeitet, ergötzt sich an choraler Wucht und präpariert weit mehr Orchester-Ekstase, als jener es tat. Doch selbst wenn hier und da schon Expressionismus anklingt, ist das keineswegs originell. In diesem Wissen lässt der junge GMD Alexander Prior sich nicht auf Effekthascherei ein, leitet seriös und (zu) verhalten die um Gotha-Eisenacher Kollegen verstärkten, etwas überforderten Philharmoniker. Ein narkotisierender Wagner-Flow stellt sich kaum ein.

Das Bühnenbild knüpft an die Erfurter „Elektra“ an

Orestes (Brett Sprague) und die Seherin des Apoll (Katja Bildt) 
Orestes (Brett Sprague) und die Seherin des Apoll (Katja Bildt)  © Theater Erfurt | Lutz Edelhoff

Darum geht es auch (heute) nicht (mehr). Regisseur Montavon erzählt den Stoff aus der Atriden-Saga in starken, statischen Bildern, die er aus der griechischen Antike in Weingartners Lebensspanne überträgt. Da wirkt, sobald der Vorhang sich hebt, der Veteranenchor des Königreichs Argos mit seinem chauvinistischen Gedröhn gegen Troja wie bei einer Sedansfeier zur Kaiserzeit – durchaus lächerlich dank übersteigertem Pathos. Die senilen Herren zechen in einer Art Bunker, einem Tonnengewölbe, das Ausstatter Hank Irwin Kittel aus der Erfurter „Elektra“ übernahm.

Und dann nimmt die lange, verfluchte Geschichte ihren Lauf: wie Klytaimnestra (Ilia Papandreou) ihren Gatten Agamemnon (Kakhaber Shavidze) nach dessen Heimkehr aus Troja heimtückisch ermordet, weil sie ja längst Thron und Bett mit Schwippschwager Aigisthos (Siyabulela Ntlale) teilt; wie sie ihre Tochter Elektra (Daniela Gerstenmeyer) unterdrückt; wie Orestes (Brett Sprague) unerkannt aus dem Exil kommt und blutig den Vater rächt; wie er daraufhin, von Erinyen verfolgt, in den Hades entflieht und schließlich durch die Göttin Athene (Candela Gotelli) von der Schuld freigesprochen wird, so dass – endlich! – die nicht enden wollende Blutrache gebannt ist.

Friedfertiges Finale anstelle eines Weltuntergangs

Und Montavon macht etwas selten Kluges, Riskantes: Er legt Anspielungen auf die blutige Geschichte der Völker Europas im frühen 20. Jahrhundert – der Damenchor in Sanitätskostümen des Ersten Weltkriegs, Agamemnon als Wehrmachtsgeneral uniformiert – als Folie über seine Inszenierung. Besonders köstlich: Die Hölle sieht in ihrer faschistoiden Monumentalarchitektur aus wie eine Nazi-Behörde. Besonders erbaulich: Den finalen Schiedsspruch fällt Göttin Athene vor den 1945 gegründeten Vereinten Nationen.

Eine interessante Ausgrabung, ein wackeres Ensemble und eine bekömmliche Botschaft: Das sollte man sich keinesfalls entgehen lassen; Tickets gibt es reichlich. – Und Wagners „Ring“ kommt ja bald!

Weitere Vorstellungen: 27. Mai, 2., 4., 9. u. 11. Juni. www.theater-erfurt.de