Erfurt. Der Bildhauer und Schriftsteller Wieland Förster wird 90. Seine Werke sind in Dresden und Erfurt zu sehen.

„So schön glüht der Mohn, möchte doch die Kapsel neben meinem Haupt lagern, wenn ich gerufen werde“, nahm Wieland Förster einen Vers auf und will „ruhig warten“. Zwar müde, genießt er Radiosendungen und das Wiederlesen von Weltliteratur. Als wegen körperlicher Einschränkung seine Bildhauerarbeit niederlag, schrieb er den Roman „Tamaschito“ über seine Gefangenschaft und das Lebenselixier Schachspiel.

Die Bedeutung Försters als Schriftsteller (Romane und Reistagebücher), würde nach Volker Braun bekannter sein, wenn paradoxerweise dem nicht die überragende Bedeutung als Bildhauer entgegenstünde. Seine letzte Arbeit „Abschied“ schuf er 2007, einander liebevoll zugeneigte Köpfe eines Paares, auf Grundformen zurückführbare Volumen. Die Bronze-Fassung bewahrt den lebendig frischen Auftrag des Tones; im schwingenden Rhythmus überläuft die Haut der Plastik eine schrundige Struktur paralleler Schürfungen, die von der gesträhnten Seite des alten Holzstückes herrühren, welches Förster bei seiner Arbeit in Ton benutzt. Die Kante ist durch Jahresringe moduliert. So verschmelzen Baum- und Menschenformen.

Tiefe Wurzeln im Leben

Försters Werk besitzt tiefe Wurzeln im Leben des Künstlers: die Geburt am 12. Februar 1930 in Dresden und das Bombeninferno, die dreiundeinhalb Jahre Gefangenschaft in einem sowjetischen Sonderlager bei Bautzen, die der jugendliche Förster unschuldig verbüßen musste.

Nach dem Studium in Dresden und als Meisterschüler der Deutschen Akademie der Künste Berlin, wo er später als Professor lehrte, gab es Erfolge und Auszeichnungen, doch auch Nackenschläge: der Vorwurf, ein Formalist zu sein, untersagte Ausstellungen wie Publikationen, entfernte Plastiken und andere Behinderungen. Das Leidensthema fand im „Großen Martyrium – den Opfern des Faschismus” (1977/79) seinen tiefsten Ausdruck.

Für Konrad Wolf, Regisseur und Akademiepräsident, verkörperte es die Frage: „wofür lebten DIE, die der Marter erlagen / oder ihr widerstanden, wofür leben WIR?” (1980). Ein Mahn- und Schmerzensmal, mit den Augen der Opfer gesehen, in Wien von Alfred Hrdlicka gezeigt und ab 22. Februar 2020 das Zentrum der Ausstellung im Angermuseum Erfurt. Anlässlich seines 90. Geburtstags widmet die Landeshauptstadt dem Künstler eine umfangreiche Schau mit 60 Skulpturen und 70 Zeichnungen.

Von herausragender Bedeutung als Kontrast zu den Daphne-Figuren (1995–1997) seine Bautzener überlebensgroße Bronzefigur „Marsyas – Jahrhundertbilanz” (1999). Kopfunter gehängt, ein Körper wie zwei verbundene Stelen. Ein tiefer Einschnitt trennt die beiden Leibhälften, ein Zeichen des zerrissenen Jahrhunderts. Das Kantige und die Brüche assoziieren Ruinen und die Zerstörung Dresdens. Die Gestalt des Marsyas lodert wie eine Flamme, ein Mal steter Erinnerung. Rhythmisch schwingen die Konturen der Volumina in berührender Schönheit: Musik Bachs scheint aufzuklingen. Die Synthese aus abstrakten und figuralen Formbestrebungen bildet ebenso eine Jahrhundertbilanz, in der sich die menschliche Figur als vornehmste Aufgabe der Kunst behauptet. In Bremen wurde 2015 die „Große Neeberger Figur“ (1971–1974) als „Ikone der Bildhauerei der DDR“ und als „ein Hauptwerk europäischer Kunst“ (Arie Hartog) gefeiert.

Die Tektonik des Gestaltzeichens in Bronze verleiht wie die Symmetrie und Idealisierung konstruktive Festigkeit und erinnert wie die feine Draperie des Tuches an den harten Frühstil der Antike. Die gelöste Gebärde der Hände bekrönt die Plastik. Im öffentlichen Raum ist Försters Lebenswerk in solchen Höhepunkten zu erleben, wie der Kleist in Frankfurt/Oder, die Nike in Dresden, die Hommage à Schiller in Weimar oder die Große Badende im belgischen Middelheim. Im Kampf um ein anderes, besseres, humanes Deutschland und Europa nannte Konrad Wolf Förster „einen denkenden Rebell“.

Wieland Förster. Skulpturen und Zeichnungen, 23. Februar bis 24. Mai, Angermuseum Erfurt