Halle/Saale. Die jüdische Gemeinde in Halle entgeht nur knapp einer Katastrophe. Ein Attentäter will das Gotteshaus stürmen, scheitert aber. Dann erschießt er zwei Menschen vor der Synagoge und in einem Döner-Laden. Es soll ein 27-jähriger Deutscher sein. Es sind Stunden der Angst.

Ein schwerbewaffneter Täter hat versucht, in einer Synagoge in Halle/Saale ein Blutbad unter rund 80 Gläubigen anzurichten. Die jüdische Gemeinde entging an ihrem höchsten Feiertag Jom Kippur nur knapp einer Katastrophe. Der mutmaßliche Rechtsextremist Stephan B. aus Sachsen-Anhalt wollte nach Angaben aus Sicherheitskreisen am Mittwochmittag die Synagoge mit Waffengewalt stürmen, scheiterte jedoch. Danach soll der 27-jährige Deutsche vor der Synagoge und in einem nahen Döner-Imbiss zwei Menschen erschossen und mindestens zwei weitere verletzt haben. Er floh vom Tatort und wurde am Nachmittag festgenommen.

Erst nach langen Stunden des Wartens wurde klar, dass es sich um einen Einzeltäter handelte. Innenminister Horst Seehofer (CSU) sprach am Abend von einem antisemitischen Motiv. Der Generalbundesanwalt, der die Ermittlungen rasch an sich gezogen hatte, habe zudem „ausreichend Anhaltspunkte für einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund“. Seehofer sagte weiter: „Der höchste jüdische Feiertag Jom Kippur ist heute ein schwarzer Tag. Ein schwer bewaffneter Täter hat versucht, in eine Synagoge einzudringen, in der sich rund 80 Menschen aufhielten.“

Selbstgebastelte Sprengsätze vor dem Gotteshaus

Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Gedenken an einer Synagoge nach dem Anschlag von Halle
Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Gedenken an einer Synagoge nach dem Anschlag von Halle © Thomas Peise | Thomas Peise

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte am Abend: „Die Brutalität des Angriffs übersteigt alles bisher Dagewesene der vergangenen Jahre und ist für alle Juden in Deutschland ein tiefer Schock.“ Zugleich erhob er schwere Vorwürfe gegen die Polizei. „Dass die Synagoge in Halle an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös.“ Er fügte hinzu: „Wie durch ein Wunder ist nicht noch mehr Unheil geschehen.“

Bei dem Angriff legte der Täter auch selbstgebastelte Sprengsätze vor dem Gotteshaus ab. Eine Frau wurde nach dpa-Informationen vor der Synagoge von tödlichen Schüssen getroffen. Etwa 30 Meter vor der Synagoge lag sie auf einer Straße mit einer blauen Decke bedeckt gegenüber der Synagoge. Das Opfer aus dem Döner-Imbiss war ein Mann.

Angriff auf Synagoge in Halle: Was wir wissen und was nicht

Bekennervideo in sozialen Netzwerken

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Halle, Max Privorozki, bestätigte, dass sich der Angriff der Täter direkt gegen die Synagoge richtete. „Wir haben über die Kamera unserer Synagoge gesehen, dass ein schwer bewaffneter Täter mit Stahlhelm und Gewehr versucht hat, unsere Türen aufzuschießen“, sagte Privorozki der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“. „Aber unsere Türen haben gehalten.“

Die Tat erinnert an den Anschlag eines Rechtsextremisten auf Muslime in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch, bei dem Mitte März mehr als 50 Menschen getötet worden waren. Wie dieser Täter soll auch der Schütze von Halle eine Kamera auf dem Helm getragen haben. In den sozialen Netzwerken soll er ein Bekennervideo hochgeladen haben.

Darin ist ein junger Mann in Kampfanzug mit weißem Halstuch in einem Auto zu sehen. Der Mann gibt in vermutlich nicht muttersprachlichem Englisch extrem antisemitische Äußerungen von sich. In dem Video sind auch mehrere Schießszenen zu sehen. Unter anderem zeigt das Video, wie in einem Döner-Imbiss mehrfach auf einen Mann geschossen wird, der hinter einem Kühlschrank liegt. Das Video liegt dpa vor.

Rund 20 Menschen haben sich in der Synagoge verschanzt

Levi Salomon vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitsmus bestätigte der dpa nach einem Telefonat mit Privorozki, der maskierte Täter habe gegen die Tür geschossen, dabei aber nicht in die Synagoge eindringen können. Rund 20 Menschen seien am Nachmittag noch in der Synagoge verschanzt gewesen, darunter auch mehrere Gäste aus den USA. Laut Salomon wurden auch Flaschen mit Flüssigkeit geworfen. Eine habe die Sukka (Laubhütte), eine andere den Jüdischen Friedhof in unmittelbarer Nähe und eine den Hof der Synagoge getroffen. Nur die Flasche gegen den Friedhof habe sich entzündet.

US-Botschafter Richard Grenell sagte, zehn Amerikaner seien in der Synagoge gewesen. „Alle sind sicher und unverletzt“, schrieb Grenell auf Twitter. Bundeskanzlerin Angela Merkel informierte sich über die Lage und sprach den Angehörigen der Opfer ihr tiefes Beileid ausgesprochen. Die Kanzlerin habe mit Seehofer und Haselhoff gesprochen, twitterte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die Solidarität gelte allen Jüdinnen und Juden am Feiertag Jom Kippur.

Zwei weitere Verletzte außer Lebensgefahr

Die Stadt Halle sprach am frühen Nachmittag von einer „Amoklage“ und rief die Menschen überall in Halle dazu auf, in Gebäuden zu bleiben. Zunächst war die Polizei davon ausgegangen, dass mehrere bewaffnete Täter mit einem Auto auf der Flucht seien. Gegen 18.15 Uhr gab sie Entwarnung. „Sie können wieder auf die Straße, die Warnungen sind aufgehoben“, twitterte die Polizei.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Es gab mindestens zwei weitere Verletzte. Sie wurden mit Schussverletzungen in das Universitätsklinikum Halle gebracht, waren aber am Abend außer Lebensgefahr.

Schüsse auch in Landsberg

Auch in Landsberg, rund 15 Kilometer östlich von Halle, gab es Schüsse. Ein Zusammenhang zu Halle war zunächst von den Behörden aber nicht bestätigt worden.

Die Stadt Halle hatte einen Krisenstab einberufen. Alle Rettungskräfte der Feuerwehr waren in Alarmbereitschaft versetzt worden. Die Polizei hatte seit den Mittagsstunden alle verfügbaren Kräfte in Sachsen-Anhalt abgezogen und sie nach Halle verlegt.

Im benachbarten Leipzig hatte die Polizei ihre Kräfte vor der Synagoge verstärkt. Auch in anderen deutschen Städten wurde der Schutz von Synagogen verstärkt.

Schießerei in Halle - Polizei im Großeinsatz

Der mutmaßliche Attentäter von Halle Stephan B. soll mehrere Menschen in Halle und Umgebung getötet und verletzt haben.
Der mutmaßliche Attentäter von Halle Stephan B. soll mehrere Menschen in Halle und Umgebung getötet und verletzt haben. © dpa | Uli Deck
In Halle war es am Mittwoch vor einer Synagoge zu einer Schießerei gekommen.
In Halle war es am Mittwoch vor einer Synagoge zu einer Schießerei gekommen. © Screenshot: ATV-Halle | Screenshot: ATV-Halle
Die Polizei war im Großeinsatz: Eine Passantin starb vor der Synagoge durch die Kugeln des Schützen.
Die Polizei war im Großeinsatz: Eine Passantin starb vor der Synagoge durch die Kugeln des Schützen. © Reuters | Stringer
Die Innenstadt von Halle war stundenlang abgeriegelt.
Die Innenstadt von Halle war stundenlang abgeriegelt. © VIA REUTERS | REUTERS TV
Ein Mann wurde festgenommen.
Ein Mann wurde festgenommen. © dpa | Sebastian Willnow
Der Täter erschoss zwei Menschen, zwei weitere wurden verletzt.
Der Täter erschoss zwei Menschen, zwei weitere wurden verletzt. © VIA REUTERS | REUTERS TV
Polizisten sicherten die Umgebung.
Polizisten sicherten die Umgebung. © dpa | Sebastian Willnow
Eines der Opfer, ein Mann, wurde in diesem Döner-Imbiss getötet.
Eines der Opfer, ein Mann, wurde in diesem Döner-Imbiss getötet. © dpa | Sebastian Willnow
Die Polizei verlegte Spezialeinheiten und Spezialfahrzeuge wie diesen „Survivor R“ nach Halle.
Die Polizei verlegte Spezialeinheiten und Spezialfahrzeuge wie diesen „Survivor R“ nach Halle. © dpa | Swen Pförtner
Beamte mit Maschinengewehren waren im Stadtgebiet von Halle unterwegs.
Beamte mit Maschinengewehren waren im Stadtgebiet von Halle unterwegs. © dpa | Swen Pförtner
Neben den Schüssen in Halle hat es auch Schüsse im rund 15 Kilometer entfernten Landsberg (Saalekreis) gegeben.
Neben den Schüssen in Halle hat es auch Schüsse im rund 15 Kilometer entfernten Landsberg (Saalekreis) gegeben. © dpa | Jan Woitas
Die Polizei riegelte nach den Schüssen mehrere Straßen ab.
Die Polizei riegelte nach den Schüssen mehrere Straßen ab. © dpa | Jan Woitas
Es war zunächst unklar, ob es einen Zusammenhang zu den Vorfällen in Halle gibt. Später sagte ein Anwohner, das Fluchtfahrzeug sei in Landsberg gefunden worden. Dafür gab es zunächst keine offizielle Bestätigung.
Es war zunächst unklar, ob es einen Zusammenhang zu den Vorfällen in Halle gibt. Später sagte ein Anwohner, das Fluchtfahrzeug sei in Landsberg gefunden worden. Dafür gab es zunächst keine offizielle Bestätigung. © dpa | Jan Woitas
Auch ein Hubschrauber der Bundespolizei war bei Wiedersdorf/Landsberg im Einsatz.
Auch ein Hubschrauber der Bundespolizei war bei Wiedersdorf/Landsberg im Einsatz. © dpa | Jan Woitas
Zwischen Halle und Leipzig wurden Autofahrer kontrolliert.
Zwischen Halle und Leipzig wurden Autofahrer kontrolliert. © dpa | Jan Woitas
Einsatzkräfte der Polizei untersuchen auf der Bundesstraße 91 in Sachsen ein Taxi, mutmaßlich das Fluchtfahrzeug des Schützen von Halle.
Einsatzkräfte der Polizei untersuchen auf der Bundesstraße 91 in Sachsen ein Taxi, mutmaßlich das Fluchtfahrzeug des Schützen von Halle. © dpa | Swen Pförtner
In Halle eskortierte die Polizei einen Bus mit der Aufschrift „Evakuierung“.
In Halle eskortierte die Polizei einen Bus mit der Aufschrift „Evakuierung“. © dpa | Sebastian Willnow
Trauer in Halle: Nach dem rechtsterroristischen Angriff vor einer Synagoge mit zwei Toten zündeten die Menschen auf dem Marktplatz in Halle Kerzen an.
Trauer in Halle: Nach dem rechtsterroristischen Angriff vor einer Synagoge mit zwei Toten zündeten die Menschen auf dem Marktplatz in Halle Kerzen an. © dpa | Swen Pförtner
Trauernde standen vor der Marienkirche auf dem Marktplatz in Halle.
Trauernde standen vor der Marienkirche auf dem Marktplatz in Halle. © dpa | Swen Pförtner
Auch am frühen Donnerstagmorgen sichert die Polizei die Synagoge. Der mutmaßliche Täter von Halle hatte am Vortag versucht, in die Synagoge einzudringen und ein Blutbad anzurichten.
Auch am frühen Donnerstagmorgen sichert die Polizei die Synagoge. Der mutmaßliche Täter von Halle hatte am Vortag versucht, in die Synagoge einzudringen und ein Blutbad anzurichten. © dpa | Jan Woitas
Passanten haben an der Synagoge in Halle eine Kerze aufgestellt.
Passanten haben an der Synagoge in Halle eine Kerze aufgestellt. © dpa | Jan Woitas
Die Polizei hat den Tatort nahe der Synagoge mit Sichtschutz abgesperrt.
Die Polizei hat den Tatort nahe der Synagoge mit Sichtschutz abgesperrt. © dpa | Swen Pförtner
Die „Tatortgruppe“ der Polizei war auch in der Nacht im Einsatz.
Die „Tatortgruppe“ der Polizei war auch in der Nacht im Einsatz. © dpa | Swen Pförtner
Auch bei einer Solidaritätskundgebung an der Neuen Synagoge in Berlin gedachten Menschen der Opfer von Halle.
Auch bei einer Solidaritätskundgebung an der Neuen Synagoge in Berlin gedachten Menschen der Opfer von Halle. © dpa | Christoph Soeder
Ein Papier mit der Botschaft „… und stiftet Frieden zwischen allen Menschen! Unsere Gedanken sind bei den Toten und dessen Angehörigen!
Ein Papier mit der Botschaft „… und stiftet Frieden zwischen allen Menschen! Unsere Gedanken sind bei den Toten und dessen Angehörigen!". © dpa | Christoph Soeder
Anteilnahme auch beim Fußball: Beim Länderspiel Deutschland – Argentinien im Signal Iduna Park am Mittwoch hielt die deutsche Mannschaft eine Schweigeminute für die Opfer von Halle.
Anteilnahme auch beim Fußball: Beim Länderspiel Deutschland – Argentinien im Signal Iduna Park am Mittwoch hielt die deutsche Mannschaft eine Schweigeminute für die Opfer von Halle. © dpa | Marius Becker
„Im stillen Gedenken an die Opfer in Halle an der Saale“, war auf der großen Tafel im Fußballstadion zu lesen.
„Im stillen Gedenken an die Opfer in Halle an der Saale“, war auf der großen Tafel im Fußballstadion zu lesen. © dpa | Christian Charisius
Die Sicherheit vor Synagogen wurde nach dem Vorfall von Halle erhöht, etwa wie hier in Dresden.
Die Sicherheit vor Synagogen wurde nach dem Vorfall von Halle erhöht, etwa wie hier in Dresden. © dpa | Robert Michael
Auch in anderen deutschen Städten wurde die Polizeipräsenz vor Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen erhöht.
Auch in anderen deutschen Städten wurde die Polizeipräsenz vor Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen erhöht. © dpa | Robert Michael
Am Donnerstag wurde Stephan B. mit einem Hubschrauber nach Karlsruhe geflogen.
Am Donnerstag wurde Stephan B. mit einem Hubschrauber nach Karlsruhe geflogen. © dpa | Uli Deck
Er wurde von Spezialeinheiten begleitet.
Er wurde von Spezialeinheiten begleitet. © dpa | Uli Deck
Vom Hubschrauber aus wurde B. mit einer Limousine zum Bundesgerichtshof gebracht.
Vom Hubschrauber aus wurde B. mit einer Limousine zum Bundesgerichtshof gebracht. © dpa | Silas Stein
Dort wurde der Terrorverdächtige einem Haftrichter vorgeführt.
Dort wurde der Terrorverdächtige einem Haftrichter vorgeführt. © dpa | Silas Stein
1/33

Bundespolizei verstärkte Kontrollen an Bahnhöfen und Flughäfen

Der Bahnhof von Halle war wegen polizeilicher Ermittlungen gesperrt. Es kam zu Verspätungen. Die Bundespolizei verstärkte ihre Kontrollen an Bahnhöfen und Flughäfen in Mitteldeutschland. Das gelte auch für die Verkehrswege nach Polen und Tschechien, hieß es.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zeigte sich entsetzt über die Tat. „Es wurden durch sie nicht nur Menschen aus unserer Mitte gerissen, sie ist auch ein feiger Anschlag auf das friedliche Zusammenleben in unserem Land.“

Bestürzte Reaktionen aus dem Ausland

Aus dem Ausland kamen ebenfalls bestürzte Reaktionen. Das Europaparlament legte eine Schweigeminute für die Opfer ein. In Gedanken sei man bei Deutschland, der deutschen Polizei und bei der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, sagte Parlamentspräsident David Sassoli.

Auch UN-Generalsekretär António Guterres bewerte den Vorfall als „eine weitere tragische Demonstration von Antisemitismus“, teilte ein UN-Sprecher in New York mit.

AfD-Fraktionschefin Alice Weidel twitterte: „Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien. Ich hoffe, die Polizei fasst den oder die Täter schnell, ohne dass weitere Menschen zu Schaden kommen.“

Ticker zu Schüssen in Halle: Zwei Tote – Neue Details zum Täter