Der Mediziner Martin Hesse über den Trisomie-Bluttest und warum er die bisherigen Corona-Regelungen für unzureichend hält.

Kommt mein Kind gesund auf die Welt? Zu den möglichen vorgeburtlichen Untersuchungen gehört seit Jahren der sogenannte Bluttest auf Trisomie. Prinzip dieses Verfahrens ist die Messung von kindlichen DNA-Schnipseln aus der Plazenta im mütterlichen Blut. Ab kommenden Jahr soll er Kassenleistung werden, so hatte es der Gemeinsame Bundesausschuss , das höchste Gremium in der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, entschieden. Doch bei den Regelungen gibt es noch Lücken und viel Nachbesserungsbedarf, mahnen Gynäkologen und Pränataldiagnostiker an und riefen eine Arbeitsgruppe dazu ins Leben. Zu ihren Fachleuten gehört Martin Hesse, Chef des Landesvorsitzender des Thüringer Berufsverbandes der Frauenärzte.

Dr. Hesse, der Bluttest soll ab 2021 Kassenleistung werden, Sie haben Bedenken, warum?

Weil wir damit auch die Büchse der Pandora öffnen. Dieser Bluttest auf Trisomie 21, 18 und 13 ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Molekulargenetik kennt inzwischen etwa 8000 Syndrome genetischbedingter Erkrankungen, die man alle testen könnte, wenn man das will. In der öffentlichen Debatte schwingt oft die Befürchtung künftiger „Designerbabys“ mit, und genau in diese Richtung kann es theoretisch gehen. Das müssen wir uns bewusst machen.

Aber diesen Test gibt es schon länger, was ist schlecht daran, wenn Frauen nicht mehr dafür zahlenmüssen?

Als Teil der Nicht-invasiven Pränataldiagnosik (NIPD) hat der Test seine Berechtigung. Aber man muss sich darüber im Klaren sein, was er wirklich leisten kann, und was nicht. Hier sehe ich noch viel Aufklärungsbedarf. Es ist ein Trugschluss zu glauben, alles ist gut, wenn dieser Bluttest unauffällig ausfällt.

Das wird doch so kommuniziert, worin besteht das Missverständnis?

Es ist ein Suchtest der nur ein Zehntel dessen findet, was ein ungeborenes Kind an Fehlbildungen oder Krankheiten haben kann. Noch einmal: Bei diesem Test geht es nur um Trisomie 21, 18 und 13. Doch Auffälligkeiten, die nicht chromosomal bedingt sind, kommen zehn Mal häufiger vor. Die Frau wiegt sich in einer falschen Sicherheit.

Was ist denn fatal daran?

Dass es ein Trugschluss ist, darüber muss aufgeklärt werden und das passiert nicht ausreichend. Es ist eben nicht ein „alles-ist-gut-Test“. In meiner eigenen Praxis erlebe ich oft, dass Frauen verwundert sind, wenn sie zur Ultraschall-Feindiagnostik sollen, obwohl der Bluttest doch in Ordnung war. Jeder genetischer Suchtest sollte immer von einem qualifizierten Ultraschall begleitet werden. Merkwürdigerweise soll dieser aber nicht von den Kassen bezahlt werden, das geht aus meiner Sicht nicht zusammen. Ist ein Befund auffällig, kann ihn nur eine Chorionzottenbiopsie (Punktion des Mutterkuchens) oder eine Amniozentese abklären.

Aber wird nicht damit argumentiert, dass der Bluttest eine riskante Fruchtwasseruntersuchung überflüssig macht?

Auch das ist eine Fehlinformation, über die aufgeklärt werden muss. Es wird mit veralteten und falschen Zahlen für den Test geworben. Tatsächlich liegt nach aktuellen Studien bei einer solchen Untersuchung das Risiko einer Frühgeburt bei Null bis 0,5 Prozent. Der Gemeinsame Bundesausschuss geht von falschen Voraussetzungen aus und sorgt damit für Verunsicherung.

Die Krankenkassen sollen den Test nur in begründeten Fällen bezahlen, wir sprechen also nicht von einem flächendeckenden Screening. Begrüßen Sie das?

Unbedingt, sofern es tatsächlich so festgeschrieben wird. Doch die Kriterien für eine Indikation sind noch nicht restlos geklärt und an bestimmten Stellen so weich, dass sie am Ende jede Frau betreffen können. Das wäre fatal. Wenn der Test zur Norm wird, gerät jede schwangere Frau unter Druck. Und ich befürchte eine Stigmatisierung von Eltern, die ein Kind mit Trisomie bekommen, weil sie es ja hätten „verhindern“ können. Auch hier sehe ich in den Regelungen noch einen klaren Nachbesserungsbedarf: Jede gezielte vorgeburtliche Diagnostik sollte begründet sein.

Auch ein Recht auf Nichtwissen muss geschützt werden?

Ganz genau. Wir sind als Mediziner verpflichtet, diese diagnostischen Möglichkeiten anzubieten wohlwissend, dass es auch dieses Recht gibt. Auch darüber müssen wir in der Gesellschaft reden.

Zu der von Ihnen angemahnten Aufklärung gehört auch die Tatsache, dass Frauen vor dem Test bewusst sein muss, dass es ein Ergebnis geben kann, mit dem sie umgehen müssen. Wie erleben Sie solche Gespräche in Ihrer Praxis?

Wenn es kein begründetes Risiko gibt, sind sie in der Regel unproblematisch. Die Frauen erwarten eine Bestätigung ihrer Zuversicht, der Mensch denkt ja zum Glück positiv. Schwierig wird es, wenn es Auffälligkeiten gibt.

Haben Sie schon erlebt, dass Frauen in solchen Fällen den Test bereut haben?

Das haben mir einige Frauen so gesagt, der Test habe sie für die gesamte Schwangerschaft beunruhigt. Andere erzählten aber auch, dass sie sich von ihrem Umfeld regelrecht gedrängt fühlten,„alles abzuklären“. Wir müssen uns aber auch dies immer wieder klar machen: Die Wahrscheinlichkeit, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen, liegt bei 97 Prozent. Angst ist ein schlechter Ratgeber.

Was sollte aus Ihrer Sicht noch dringend in die Regelungen zum Bluttest einfließen bevor der Bluttest als Kassenleistung in Kraft tritt?

Der qualifizierte Ultraschall muss konsequenterweise auch von der Kasse bezahlt werden, die Indikation muss ebenfalls klar geregelt sein. In der Informationsbroschüre dazu wurden die angemahnten Probleme nicht berücksichtigt, dazu werden wir uns als Verband positionieren. Der Bundestag hat sich erst einmal mit dem Thema befasst, wir hoffen auf eine weitere Debatte.