Anfang Juli 1945 erlebten die Thüringer den Besatzungswechsel von der US-Army zur Roten Armee.

Es kam, wie es kommen sollte. Anfang Juli 1945 erlebten die Thüringer in ihrem gerade neu konstituierten Land, zu dem nunmehr auch die bisher preußischen Gebiete in Thüringen gehörten, den Besatzungswechsel von der US-Army zur Roten Armee. Der Verwaltungsjurist Dr. Hermann L. Brill, als SPD-Mitglied zuvor politischer Häftling in Buchenwald, war auf Grund seiner umfassenden Kenntnisse der thüringischen Landesverwaltung bereits Ende April 1945 zum Berater der amerikanischen Militärregierung in Weimar ernannt worden. Durch die Gunst der Stunde hatte er es erreicht, am 9. Juni vom Hauptquartier des VIII. US-Corps, das den überwiegenden Teil von Thüringen besetzt hielt, zum vorläufigen Regierungspräsidenten ernannt und zur Bildung einer Regierung für das zu dieser Zeit noch „Province of Thueringen“ genannte Land ermächtigt zu werden, was dann auch schon bald geschah. Aber an diesem Tag war obendrein die von der 12. Heeresgruppe für die deutsche Zivilbevölkerung in Kassel herausgegebene „Hessische Post“ erschienen, die auch in Thüringen verteilt wurde. Ihre Schlagzeile lautete: „Russische Besetzungszone bestimmt“ und der Text wies dann unverständlich darauf hin: „Sobald die anglo-amerikanischen Truppen aus Sachsen. Thüringen und Anhalt zurückgezogen sind, werden Sowjettruppen diese Gebiete, die zur russischen Besatzungszone gehören, besetzen. [...] Die Bekanntgabe der russischen Besetzungszone erfolgte 24 Stunden, nachdem der alliierte Kontrollrat in Berlin gebildet wurde, der die Staatsgewalt übernommen hat und bis auf weiteres die Geschicke Deutschland lenken wird.“

Dass das thüringische Territorium ein Teil der künftigen Sowjetischen Besatzungszone werden würde, stand lange vor Kriegsende fest. Das alliierte Abkommen zwischen der UdSSR, Großbritannien und den USA vom 12. September 1944 über die Besatzungszonen in Deutschland wurde in der Konferenz von Jalta im Februar 1945 bestätigt und endgültig in der Berliner Beratung der Oberkommandierenden der alliierten Streitkräfte am 5. Juni 1945 zur Umsetzung beschlossen. Ob aber die Tatsache des kommenden Besatzungswechsels schon Mitte Juni unter der Bevölkerung bekannt war, muss – trotz der Zeitungsnachricht und möglicher Radiomeldungen – angezweifelt werden. Denn die neuen deutschen Verwaltungsorgane in den Stadt- und Landkreisen waren von den dortigen amerikanischen Militärregierungen keineswegs richtig ins Bild gesetzt worden. Noch sehr lange hielt sich hier die irrige Meinung, Thüringen sei von den Amerikanern mit Westberlin ausgetauscht worden.

Die Frage eines möglichen Abzuges der US-Armee aus Thüringen blieb einen Monat nach dem Schweigen der Waffen weithin ungeklärt und widersprüchlich. Dazu trugen eine gewisse Geheimhaltungstaktik, nicht zuletzt auch Dementis und Drohungen der lokalen Militärregierungsstellen bei. Allerdings dürfte bei dem neuen thüringischen Regierungspräsidenten Brill nach seinem Besuch im Obersten Hauptquartier SHAEF am 6. Juni 1945 in Frankfurt am Main und auf Grund der direkten Kontakte mit dem in Weimar stationierten Hauptquartier des VIII. Corps sowie der inzwischen auch gebildeten Militärregierung für das Land Thüringen keine Zweifel über den künftigen Rückzug der amerikanischen Truppen aus Thüringen bestanden haben, obwohl ihm der eigentliche Termin – der zudem erst Ende Juni festgelegt wurde – bis zuletzt nicht bekannt geworden war und auch ihn überrascht haben dürfte.

Als Termin des Besatzungswechsels hatten die Regierungschefs der Sowjetunion und der USA, Stalin und Truman, den 1. Juli 1945 vereinbart. Erst am 29. Juni wurde von den Oberbefehlshabern der alliierten Armeen, Shukow und Eisenhower, in Berlin definitiv der Abzug der anglo-amerikanischen Truppen aus dem künftigen sowjetischen Besatzungsgebiet besprochen, wobei die Sowjets auf einen schnellen Abmarsch der Briten und Amerikaner ohne jegliche Formalitäten und auch ohne direkte Berührung der Streitkräfte drangen. Die letzten Einzelheiten für den Rückzug der Amerikaner aus Thüringen wurden am 30. Juni in Wiesbaden bei einer Besprechung zwischen Generaloberst W. I. Tschuikow, dem Kommandeur der 8. Sowjet-Gardearmee, und Generalleutnant W. H. Haislip, dem Kommandeur der VII. US-Armee und derzeitigen kommandierendem General des Militärdistrikts West in Deutschland, festgelegt.

Der Rückzugsbefehl für die amerikanischen Truppen in Thüringen wurde umgehend an diese weitergeleitet. Die in der Landeshauptstadt Weimar etablierte Militärregierung teilte allerdings erst am 2. Juli 1945 dem Oberbürgermeister Dr. Fritz Behr mit, dass am 30. Juni nachmittags um 16 Uhr vom Hauptquartier des VIII. Corps der Befehl gekommen sei, dass die in Weimar stationierten Truppenteile bis zum 3. Juli die Stadt zu verlassen hätten, da russische Truppen Weimar und Thüringen besetzen würden. Bereits am 2. Juli verließen das Hauptquartier dieses Corps und die Militärregierung für Thüringen die Landeshauptstadt. Mit dem Abrücken dieser höheren Kommandostellen aus Weimar endete die amerikanische Besatzung Thüringens. Zuvor hatte der von den Amerikanern eingesetzte Regierungspräsident noch Colonel A. F. Hatch, den Militärregierungsoffizier des VIII. Corps erreicht, der ihm offiziell mitteilte, dass mit der Einrichtung einer alliierten Besatzung in Wien und dem Abzug der Roten Armee aus Österreich die letzte Bedingung der Krim-Konferenz vom Februar 1945 erfüllt sei, so dass nun auch das alliierte Besatzungsregime in Deutschland in der beschlossenen Form in Kraft treten könne und in Thüringen die militärische Besatzung wechseln werde.

Im Protokoll der Regierungssitzung am 2. Juli 1945 heißt es in Brills Bericht über den ihm mitgeteilten Vorgang des Besatzungswechsel wörtlich: „Die Grenze der Besetzung schließe ein die Provinz Magdeburg, das Land Anhalt, die Provinz Merseburg und die Provinz Thüringen.“ Gemeint sind mit Magdeburg und Merseburg die beiden Regierungsbezirke der preußischen Provinz Sachsen, die später mit dem Land Anhalt zu dem neuen Land Sachsen-Anhalt vereinigt wurden, während die hier genannte „Provinz Thüringen“ aus dem bereits vereinigten Land Thüringen mit dem seit 1944 selbstständigen Regierungsbezirk Erfurt bestand, aus der nach dem Besatzungswechsel nunmehr eins der fünf Bundesländer in der Sowjetischen Besatzungszone wurde Über die Besetzung Thüringens heißt es dann weiter: „Die Demarkationslinie für Thüringen decke sich genau mit den Landesgrenzen. Die Russen seien heute bis in die Richtung von Apolda, Jena, Kahla, Rudolstadt, Lehesten vorgerückt und werden morgen früh bis Erfurt, Zella-Mehlis, Suhl, Untermaßfeld vorrücken. Weimar werde also morgen früh mit der Besatzung zu rechnen haben. Die Besetzung von Westthüringen werde voraussichtlich noch einige Tage Aufschub haben, verursacht durch die Nachschubfrage der Russen. Ein Kontakt zwischen den Amerikanern und den russischen Truppen finde nicht statt.“

Der Ablauf glich dann auch dieser Voraussage. Zwischen den abrückenden amerikanischen und den vorrückenden sowjetischen Truppen gab es praktische keine Berührung. Zwischen ihnen sollte eine drei bis fünf Kilometer breite Zone bestehen. Die Freude über deren erstes Zusammentreffen auf deutschem Boden am 25. April 1945 südlich von Torgau an der Elbe lag lange zurück. Da hatte über Thüringen bereits seit neun Tagen das Sternenbanner geweht, das nun eingeholt wurde. Der Einmarsch der bisher in Sachsen stationierten 8. Gardearmee unter Generaloberst Tschuikow, die im Mai 1945 die Reichshauptstadt Berlin erobert hatte, erfolgte von Ostthüringen her, wo am 2. Juli mit Gera die erste größere Stadt des neuen Besatzungsgebietes erreicht wurde. Am gleichen Tag rückten ihre Einheiten in Richtung Rudolstadt, Jena und Apolda vor. Am 3. Juli erreichten die ersten russischen Soldaten die Landeshauptstadt Weimar und Erfurt. Die Besetzung der südwest- und nordthüringischen Stadt- und Landkreise geschah in den nächsten Tagen bis zum 6. Juli 1945. Der erste Kontakt zwischen dem thüringischen Regierungspräsidenten und den aus Jena eingetroffenen höheren sowjetischen Stabssoffizieren fand erst am 4. Juli statt.

Zwei Wochen später – inzwischen war am 9. Juli die Sowjetische Militäradministration des Landes Thüringen (SMATh) geschaffen worden – wurde die von den Amerikanern eingesetzte Landesregierung umgebildet. Der politisch unbequeme Sozialdemokrat Dr. Hermann L. Brill wurde als Regierungspräsident abgelöst und durch den Geraer Oberbürgermeister Dr. Rudolf Paul ersetzt. Dieser hatte am 2. Juli der Roten Armee in Gera einen spektakulären Empfang bereitet, wie er sonst in keiner anderen thüringischen Stadt zu verzeichnen war. Von dem vor 1933 der Demokratischen Partei angehörenden, nunmehr aber parteilosen Rechtsanwalt versprachen sich die neue Besatzungsmacht und ihre Verbündeten von der KPD mehr Anpassungsfähigkeit. Er passte sich zunächst auch an, sah aber schließlich unter der beginnenden „Diktatur des Proletariats“ rechtsstaatliche Verhältnisse immer mehr schwinden und floh im September 1947 in die Westzonen.

Thüringen unter dem Sternenbanner gehörte nunmehr der Vergangenheit an. Es besteht kein Zweifel darüber, dass die Amerikaner die Befreier Thüringens von der NS-Herrschaft waren und dem Land in der Mitte Deutschlands eine neue, demokratisch orientierte Zeit offenstand. Das wurde nach dem Besatzungswechsel in der Sowjetischen Besatzungszone und nachfolgend in der DDR aber aus ideologischen Beweggründen immer mehr aus dem historischen Gedächtnis der Thüringer verdrängt. Die thüringische Geschichte in der Sowjetischen Besatzungszone seit Juli 1945 hat indessen einen anderen Verlauf genommen. Aber Geschichte ist immer konkret und die Forschung muss alle Facetten ausleuchten. Demzufolge gehört auch das Thema, wovon uns die Amerikaner außerdem noch „befreit“ haben, dazu. Das sind die konkret zu stellenden Fragen nach den vereinnahmten „Kriegstrophäen“ des Militärs, den als Souvenirs mitgenommenen deutschen Waffen und NS-Devotionalien, nach den geraubten Kunstgütern wie den im Auslagerungsdepot im Schloss Schwarzburg nach dem Abzug der Amerikaner verschwundenen Dürer-Bildnissen aus den Weimarer Kunstsammlungen, nach den „Requirierungen“ von wissenschaftlichen und technischen Forschungsunterlagen zum Beispiel in der Carl-Zeiß-Stiftung in Jena, schließlich auch die nach den in die Amerikanische Besatzungszone entführten deutschen Wissenschaftlern und Technikern mit deren „know-how“. Freilich für „Demontagen“ von Verkehrsanlagen und Industriebetrieben, wie sie dann von der neuen sowjetischen Besatzungsmacht systematisch vorgenommen wurden, war die Zeit ihrer Anwesenheit zu kurz bemessen.

Und da Geschichte immer konkret ist, soll dieser Beitrag mit einem nicht so lange zurückliegenden Geschehnis mit offenem Ausgang abgeschlossen werden. 1996 erreichte das Thüringische Hauptstaatsarchiv das Angebot eines Militariasammlers aus den USA, der einem „amerikanischer Oberst (möchte ungenannt bleiben) mehrere seiner mitgebrachten Kriegstrophäen“ abgekauft habe. Darunter befinde sich auch aus dem Büro von Fritz Sauckel das offizielle Gästebuch des Reichsstatthalters von Thüringen aus den Jahren 1936 bis 1944, in das sich alle führenden NSDAP-Funktionäre des Dritten Reiches verewigt hätten, aufbewahrt in einer künstlerisch gestalteten eisernen Schatulle mit verschiedenen thüringischen Stadtwappen. Als Sammler von deutschen Waffen bot er das erworbene, ihn aber nicht besonders interessierende Gästebuch in der Schatulle für den „fairen Preis von $ 28.000“ dem Archiv an. Als damaliger Archivdirektor habe ich ihm geantwortet, mich um Mittel zum Erwerb dieser historischen Dokumente bemühen zu wollen, da sie in der Tat Zeugnisse und Quellen darstellen, die nach Thüringen und in dessen Hauptstaatsarchiv gehören würden. In meiner Antwort habe ich auch den vermutlichen Eigentümer als den Colonel und Regimentskommandeur genannt, der am 12. April 1945 die Stadt Weimar „übernommen“ und aus dem verwaisten Büro des Reichsstatthalters im Fürstenhaus diese besondere „Kriegstrophäe“ mitgenommen hatte. Der nunmehrige Besitzer bedauerte es in seiner Antwort, nicht in der Lage zu sein, mir „den Namen des Gentlemans, der die Kriegsbeute besaß, geben zu können“, weil er ihm beim Ankauf sein Ehrenwort gegeben habe. Ich habe es seinerzeit natürlich nicht vermocht, die zum Ankauf notwenigen Finanzmittel irgendwo aufzutreiben. Wer würde schon Geld für den Erwerb von „Nazi-Devotionalien“ zur Verfügung stellen? Selbst wenn es sich um einmalige historische Quellen für Thüringen handelt! Denn damit kann man sich nicht öffentlich als Kulturmäzen schmücken; Verachtung würde jedem entgegenschlagen, der sich darauf einlassen wollte. So endet also auch diese Geschichte, die ihren Ursprung in der Zeit der amerikanischen Besetzung Thüringens vor 75 Jahren hat, ohne „happy end“.