Berlin. Polnische Wissenschaftler haben im Mittelmeer die Ladung eines antiken Frachters aufgespürt. Doch von dem Schiff fehlt jede Spur.

Überreste eines antiken Schiffswracks stellen polnische Wissenschaftler vor Rätsel. Bei dem Fund am Meeresgrund vor der türkischen Küste identifizierten Unterseearchäologen der Nikolaus-Kopernikus-Universität im polnischen Toruń zwar eine wertvolle Fracht, von dem Gefährt fehlt aber jede Spur. Statt verwitterter Holzplanken und rostigen Eisenbeschlägen fanden Taucher über 30 Kupferbarren. Auf rund 3600 Jahre datieren die Experten den Fund. Damit handelt es sich bei dem gesunkenen Frachtschiff wohl um die älteste wissenschaftlich erforschte Schiffskatastrophe des Mittelmeers.

Die Bronzezeit gilt unter Archäologen als Ära der Mysterien. Trotz fortschrittlicher Technologien und blühender Hochkulturen endete die anthropologische Epoche vor rund 3200 Jahren mit dem rätselhaften Zusammenbruch mehrerer Zivilisationen. Genährt wurde der Aufstieg bedeutender Handelsnationen im heutigen Griechenland, der Türkei und dem Nahen Osten von der Errungenschaft der Bronze. Aus dem Edelmetall stellten die Zivilisationen des Ostmittelmeers hochwertiges Werkzeug, Waffen und Schmuck her. Wichtigster Rohstoff der Zeit war daher Kupfer, das gemeinsam mit Zinn zur prägenden Metalllegierung des Zeitalters verarbeitet wurde. In einer Tiefe von 35 bis 50 Metern in der Bucht von Antalya entdeckten polnische Wissenschaftler nun eine Schiffsladung wertvoller Kupferbarren.

Polnische Wissenschaftler auf Spurensuche nach dem verschollenen Schiffswrack.
Polnische Wissenschaftler auf Spurensuche nach dem verschollenen Schiffswrack. © Mateusz Popek / Nikolaus Kopernikus Universität Toruń | Mateusz Popek / Nikolaus Kopernikus Universität Toruń

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Schiffbruch vor Antalya: Kostbare Fracht – doch wo ist das Wrack?

Das Archäologen-Team vom Zentrum für Unterwasserarchäologie um Professor Andrzej Pydyn identifizierte die kostbare Fracht als Handelsgut der Minoer. Klarster Fingerzeig auf die Herkunft ist laut Pydyn die charakteristische Transportform als „Ochsenhautbarren“, die an gegerbtes Rindsleder erinnert: „Die Barren gehören typologisch zu den frühesten bekannten, sie stammen aus dem 16. oder vielleicht sogar 17. Jahrhundert v. Chr.“. Die antike Hochkultur von der griechischen Insel Kreta dominierte im 16. Jahrhundert vor Christus das Geschäft mit dem Metall im östlichen Mittelmeer.

Wie Pydyn auf der Homepage der Nikolaus-Kopernikus-Universität erklärt, gehörte die Bucht von Antalya zu den wichtigsten Handelsrouten der Bronzezeit. Tückische Meeresströmungen machten die Wasserstraße aber zum gefährlichen Nadelöhr und zum „Paradies für Unterwasserarchäologen“. Davon zeugt der Schiffsfriedhof am Meeresgrund, an dem sich mehrere bronzezeitliche Wracks tummeln. Prominentestes Beispiel ist das etwa 3300 Jahre alte Wrack von Uluburun, ebenfalls beladen mit Zinn- und Kupferbarren. Das gesunkene Schiff wurde einst von Mykenern, altertümlichen Griechen, gesteuert. „Sie kontrollierten während der Spätbronzezeit die Schifffahrt und den Handel im östlichen Mittelmeerraum“, erklärt Pydyn.

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Bronzezeit: Erste Hochkulturen Europas handelten im Mittelmeer

Warum die neue Entdeckung für die Wissenschaftler eine große Rolle spielt, erklärt der polnische Archäologe so: „Dies ist nicht das erste oder größte Schiff dieser Art, das vor der Küste der Türkei gefunden wurde, aber wahrscheinlich das älteste.“ Dank guter Handelsbeziehungen nach Zypern, gehörten die Minoer zu den ersten Europäern, die sich auf die Kunst der Bronzeproduktion verstanden. Die polnischen Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Kupfertransport auf dem Weg in die Ägäis war.

Zum Heben der antiken Fracht nutzen Unterwasserarchäologen einfache Zugvorrichtungen mit Körben. Für die 3D-Kartografie waren modernere Mittel nötig.
Zum Heben der antiken Fracht nutzen Unterwasserarchäologen einfache Zugvorrichtungen mit Körben. Für die 3D-Kartografie waren modernere Mittel nötig. © Mateusz Popek / Nikolaus Kopernikus Universität Toruń | Mateusz Popek / Nikolaus Kopernikus Universität Toruń

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Bis die Suchaktion nach weiteren versunkenen Relikten abgeschlossen ist, könnten noch drei Jahre ins Land ziehen. Neben den Ochsenhautbarren entdeckten die Forscher auch zerbrochene Bronzebehältnisse. Ähnlich wie beim Wrack von Uluburun geht Andrzej Pydyn davon aus, dass es sich bei dem unverarbeiteten Kupfer um „extrem reines“ Material handelt. Um das herauszufinden, sollen die Barren in Toruń einer chemischen Analyse unterzogen werden. Bereits eingehend untersucht wurde der Fundort des bronzeitlichen Schatzes. Mittels fotogrammetrischer Erhebungen wurde eine 3D-Abbildung des Meeresbodens erstellt. Was dabei fehlt: Das Schiffswrack.

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Polnische Archäologen auf der Suche nach antikem Schiff

Denn von dem minoischen Frachter fehlt jede Spur. Grund dafür könnte sein, dass das Schiff bei schweren Stürmen an einem Riff vor der Küste des heutigen Urlaubsortes Antalya sank. In diesem Szenario löste sich die wertvolle Fracht, um dann einen steilen Meereshang hinunterzurutschen. Für die Abwesenheit des Wracks könnten aber auch Schiffsbohrwürmer verantwortlich sein. In den salzig-warmen Gewässern des Mittelmeers fühlen sich die holzfressenden Muscheln besonders wohl. Ob Teile des Schiffswracks noch entdeckt werden, ist unklar. Überzeugt ist Pydyn dagegen davon, „dass die Kupferbarren aus keinem anderen Grund als einem Schiffbruch im Wasser gelandet sind.“