Berlin. S!sters und Madonna waren beim ESC Schwestern im Geiste – es lief so gar nicht. Die Pop-Diva blamierte sich. Der Sieger fiel kaum auf.

Was für ein seltsamer ESC. Null Punkte vom Publikum für S!sters. Drittletzter Platz für den deutschen Beitrag. Aber die Schein-Schwestern müssen sich nicht sooo doll schämen. Es geht nämlich noch schlimmer: Pop-Queen Madonna hat sich so spektakulär blamiert, dass das fast stärker wirkte als die Freude des Siegers: Duncan Laurence, der haushohe Favorit aus den Niederlanden, hat in Tel Aviv den 64. ESC gewonnen. Was aber irgendwie gar nicht so wirklich ins Gewicht fiel.

Die deutschen Mädels waren nach ihrer miesen Platzierung cool drauf, ein bisschen wie Schülerinnen nach einer verpatzten Klausur. Alles halb so schlimm. Super gelaunt ließen sie sich zur After-Show-Party bei Barbara Schöneberger einblenden. Komplett in Feierlaune. „Ich kann kaum noch reden, weil meine Stimme weg ist“, krächzt Laurita. „Wir haben den ganzen Tag nur rumgebrüllt.“ Was sie jetzt tun werden, wenn alles vorbei ist, fragt Schöneberger. „Ich geh schmusen mit meinen Katzen“, sagt Laurita. „Und ich guck erstmal Game of Thrones“, sagt Carlotta. Viel Spaß! Ein bisschen Bedauern hätte man vielleicht doch erwarten können. Aber so sind die S!sters nicht gestrickt.

Da hatte Laurita ja vor dem ESC schon den richtigen Riecher gehabt. Was heißt es schon, einen der letzten Plätze gemacht zu haben, sagte sie. „Man steht am nächsten Tag auf und ist einen Tag älter.“ Geradezu hellsichtig war sie. Platz 24. Vor Weißrussland und Großbritannien. Sowas nennt man wohl Debakel.

S!sters aus Deutschland Foto: Sebastian Scheiner
S!sters aus Deutschland Foto: Sebastian Scheiner © zgt

Die S!sters hatten anscheinend erst gar nicht gewagt zu träumen, obwohl es doch das Motto des Abends war. „Dare to dream“. Der Traum wurde dann für den Favoriten Duncan Laurence wahr. Prognosen können also auch mal stimmen. Mit seiner Ballade „Arcade“ über Sehnsucht, Eifersucht, Trauer und Wut hat er die zweihundert Millionen Menschen vor den Fernsehern tief berührt.

Ein perfekter Auftritt. Pur, ohne Schnickschnack. Duncan Laurence am Klavier. Diese starke Stimme. Dieser wunderschöne Blick. Ein Lied zum Träumen mit Mega-Gänsehautfaktor.

Tamara Todevska überzeugte die Jury

Bei der Jurywertung lag noch Nordmazedonien noch vorne - die großartige Tamara Todevska. Mutter Opersängerin, Vater Musikwissenschaftler – das muss nichts heißen. Aber in ihrem Song „Proud“ singt Todevska so aufwühlend von starken Frauen, dass man beim Zuhören die Luft anhält. Ähnliches Thema wie bei „Sister“. Doch – Verzeihung, liebe S!sters - die Kollegin aus Nordmazedonien singt es so, dass man nicht sofort an eine Schülerparty denken muss.

War zwar nicht unsympathisch, der deutsche Auftritt. Aber im Feld dieser vielen starken Beiträge fielen die Schwestern einfach ab. Zu bemüht, und irgendwie auch zu künstlich; kein Wunder. Das ist die Nebenwirkung des Zusammengecastetwerdens.

Aber der entscheidende Punkt ist: Den beiden nimmt man ihr Thema nicht ab: Frauenpower! Aha! Carlotta Truman und Laurita Spinelli hätten auch über Mülltrennen singen können. Nach der Jurywertung lagen sie weit abgeschlagen. Aber dann der Schock: Null Punkte von Europas Publikum. Dabei hätte man genau diese Punktzahl der eigentlichen Queen of Pop mit auf dem Weg geben wollen.

Und Madonna so: „Ihr seid alle Gewinner!“

Schon schräg wie sie vor ihrem Auftritt da stand bei den Moderatoren mit ihren blonden Zöpfen und einer Augenklappe, die das halbe Gesicht verdeckte.

Trügt das Fernsehbild oder ist der Superstar ein wenig in die Breite gegangen? Vielleicht macht sie sich ja nicht mehr so viel aus Workouts. Vielleicht lässt es die einstige Perfektionistin ja ein bisschen lockerer angehen. Mehr als Floskeln hatte sie jedenfalls nicht mitgebracht: „Ihr seid alle Gewinner“, sagte sie ziemlich platt Richtung Kandidaten und ließ auch noch eine Art Publikumsgesang anstimmen: „Music make the people come together, yeah.“

Dann zog sie erstmal ab. Ihr Rapper Quavo blieb. Und endlich: Glockengeläut. Madonna ist da. Sakraler Gesang. Alle stecken in Mönchskutten. Klar, es folgt ja ihr alter Kultsong „Like a Prayer“. Aber anscheinend sind die Prediger in die Jahre gekommen.

„Like a Prayer“ ist als Song nur noch ein Schatten seiner selbst

Madonna in einem Umhang, mit dem sie aussieht, als würde sie gleich in den Boxring steigen, lässt auch kaum Erinnerung an den legendären Auftritt von einst aufkommen: Gut, sie zieht den Bademantel aus. Hilft alles nichts. Auch ihr Song mit Rapper Quavo, mit dem sie für ihr neues Album werben will, ist nichts Dolles. Wirkt wie ein gemütlicher Reggae für ältere Leute. „Wake Up“ wird eingeblendet – so klang das gar nicht, eher wie „Penn ein“. Aber was ist eigentlich mit ihrer Stimme los? Hallo? Kam nicht viel rüber.

Duncan Laurence aus den Niederlanden feiert nach seinem Sieg und küsst die Trophäe. Foto: Antti Aimo-Koivisto
Duncan Laurence aus den Niederlanden feiert nach seinem Sieg und küsst die Trophäe. Foto: Antti Aimo-Koivisto © zgt

Im Netz ging der Shitstorm los: „Mir bluten die Ohren. In welchem Wandschrank sitzt Madonna gefesselt und geknebelt?“, schreibt einer. Ein anderer: „Ein bewegender Moment: Wir alle durften beim Karriereende von Madonna live dabei sein!“ Der Auftritt der Pop-Diva hatte das, was den Abend so schön gemacht hatte, ein wenig ins Hintertreffen geraten lassen.

Da war doch noch was: zum Beispiel des Italieners Mahmood mit seinem Lied „Soldi“. Ein Elektrosong über einen jungen Mann, der erkennt, dass sein Vater ein ganz schön fieser Typ ist und nur sein Geld will. Mal was anderes. Platz 2.

Viele waren früher zu dick oder wurde gemobbt, das schien so ein bisschen das Grundthema bei den Kandidaten, wobei man das in den Popsongs dann gar nicht so herausgehört hat.

Die Favoritin aus Australien schafft es nur knapp unter die ersten zehn

Damit hatte Sergey Lazarev aus Russland mit seinem Song „Scream“ allerdings nichts zu tun. Er präsentierte einen sehr routinierten Musicalsong mit langem Arm und ausgestrecktem Bein. Etwas viel Pose. Aber es kam gut an. Platz drei.

Und wo blieb die Stangen-Frau?

Die so spektakulär auftretende Australierin, die auchh zu den Favoriten gezählt worden war, schaffte es mit Platz neun nur knapp unter die besten zehn: Kate Miller-Heidke schwebte mit ihren Mitstreiterinnen auf fünf Meter langen Stangen ein. „Zero Gravity“ - ein Lied im Opernstil mit einer sehr schrillen Stimme. Vielleicht doch ein bisschen zu schrill.

Da kommt doch einer wie Luca Hänni viel besser an. Hänni, der für die Schweiz antrat, war schon mal Sieger bei DSDS. Jede Pore Dieter Bohlen irgendwie. Aber Erfolg kann der Mann ja. Platz 4.

Schön ist ja immer die Vielfalt. Und dabei sei auch Jonida Maliqui aus Albanien zu nennen. „Kehre zurück in Dein Land“ hat sie in ihrem Brokatkleid mit großer Emphase gesungen. Barbara Schöneberger hat sie wegen des Outfits mit Game of Thrones in Verbindung gebracht. Platz 18.

Der Beitrag aus Frankreich sollte noch einmal ganz doll die Notwendigkeit von Vielfalt deutlich machen. Bilal Hassani sang gegen Rassismus und Homophobie. Und auch gegen Diskriminierung von Dicken. Deshalb tanzte eine dicke Frau in einem Ballettrock mit ihm. Nur Platz 14.

Isländer halten Palästinenser-Flagge in die Kameras

Die schrägen Typen von „Hatari“ aus Island kamen mit ihrer krassen Performance im weichgespülten Rammstein-Style immerhin noch auf Platz 10. Später ernteten sie Buh-Rufe, als die bei der Punkte-Vergabe die Flagge der Palästinenser in die Kameras hielten. Dabei wollte der ESC doch unpolitisch sein.

Hintergrund: Der ESC in Tel Aviv wird eine Party auf dem Pulverfass

Und was passierte eigentlich mit den Slowenen? „Wie zwei Krankenpfleger beim schüchternen ersten Date in der Mittagspause“, bezeichnete Moderator Peter Urban Zala Kralj und Gaspar Santi. Rührend naiv, wie das Mädel den Jungen singend anhimmelte. Elektropop mit Treuepunkten. Irgendwie origniell. Platz 13.

Was machte eigentlich der ESC-Senior? Serhat (54), gebürtiger Türke, gelernter Zahnarzt und dann TV-Produzent, hat mit seinem „Na-na-na“-Song für Tanzstimmung gesorgt. Wie der Discokönig im weißen Anzug hüpfte der älteste ESC-Teilnehmer über die Bühne und erinnerte auch schon wieder mitsamt seiner weiß gekleideten Truppe an Klinikpersonal, aber eher an ein ziemlich durchgeknalltes. Nur Platz 20. Aber einer mit Bestlaune-Faktor. Na-na-na!