Neben internationalen Ohrwürmern ist vor allem Hip-Hop hierzulande gefragt. Der wachsende Einfluss des Streamings beschäftigt derweil auch regionale Künstler. Abseits dieser Entwicklung haben die Thüringer noch andere Musikvorlieben.

Clueso, Yvonne Catterfeld, Northern Lite, Ute Freudenberg, Heaven Shall Burn – aus Thüringen stammende Musiker sind bundesweit erfolgreich. Den Musikgeschmack der Thüringer treffen die Lokalmatadore aber nicht unbedingt – zumindest, wenn man die Hitliste des Musikstreaming-Dienstes Spotify zum Maßstab nimmt. Statt deutschem Pop, Schlager und Metal platzieren sich neben international erfolgreichen Ohrwürmern wie „In my Mind“ von Dynoro (siehe Grafik) vor allem Hip-Hop-Titel auf den vorderen Plätzen (siehe Top Ten).

Die Beliebtheit des Genres bei Streaming-Nutzern, aber auch in den deutschen Single- und Albumcharts überrascht Martin Pfleiderer nicht. Seine Begründung: die Ziel-, besser gesagt, die Hauptnutzergruppe. „Zentrale Themen der Teenies sind Liebe und Lifestyle. Das liefert generell die Popmusik und auch der Rap“, so der Professor für Geschichte des Jazz und der populären Musik an der „Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar“.

Jugendliche und junge Erwachsene sind Hauptnutzer von Streamingdiensten

Grafik: Andreas Wetzel
Grafik: Andreas Wetzel © zgt

Die Onlinestudie 2018 von ARD und ZDF zeigt, dass 27 Prozent der Deutschen mindestens einmal wöchentlich Musik über Streamingdienste wie Spotify, Apple Music oder Deezer hören. In der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen ist der Anteil mit 69 Prozent deutlich höher. Jugendliche und junge Erwachsene gehören also zu den Hauptnutzern von Streamingdiensten.

Bei Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren haben Streamingdienste das Radio als Leitmedium für Musik sogar abgelöst, zeigt die Studie „Jugend, Information, Medien“ des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest.

Die auf der Liste dominierenden Hip-Hop-Lieder seien nach Ansicht von Musikwissenschaftler Pfleiderer oft per Computer produziert. Handgemachte Musik sei hingegen bei älteren Generationen beliebt, die mehr Wert auf physische Tonträger legten. „Das Wichtigste aber bleibt in der Popmusik erhalten: der Gesang“, so Pfleiderer. Ebenso zeuge eine Fülle von selbst berufenen Youtube-Musiklehrern davon, dass das Zeitalter der Instrumente nicht abgelöst sei.

„Die Leute wollen die großen Namen in Thüringen spielen sehen“

Die Bedeutung des Streamings beim Musikkonsum nimmt also seit Jahren zu. Spotify ist der größte Anbieter mit nach eigenen Angaben 207 Millionen aktiven Nutzern in 79 Ländern, davon 96 Millionen zahlende Abonnenten. Trotz dieser Entwicklung gibt die Spotify-Hitliste den Musikgeschmack der Thüringer nur ausschnittsweise wieder. Die Auswertung der verkauften Konzertkarten im vergangenen Jahr über den Ticketshop Thüringen, der zur Mediengruppe Thüringen gehört, bei der diese Zeitung erscheint, zeigt hingegen ein deutlich breiteres musikalisches Spektrum, das mehr im sogenannten Mainstream verankert ist.

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Deutsche Musikgrößen wie Herbert Grönemeyer, Udo Lindenberg, Roland Kaiser und Platzhirsch Clueso sind weiterhin im Freistaat beliebt. „Die Verkäufe und Umsätze zeigen: Die Leute wollen die großen Namen in Thüringen spielen sehen“, sagt Robert Kienel von der Mediengruppe.

Das gelte genauso für internationale Stars wie Elton John auf dem Domplatz in 2016 oder Bob Dylan, der dieses Jahr in der Messehalle spielt. Aber auch für Klassik-Events wie das Programm mit Hollywood-Hits der Thüringen-Philharmonie Gotha-Eisenach. Am beliebtesten war im vergangenen Jahr die Veranstaltung „Traumhits der 80er & 90er“ mit Musikern wie Culture Beat, Loona und Dr. Alban.

„Die Leute gehen gern aus, sie gehen sogar immer öfter aus“, sagt Kienel. Thüringer würden für ein namhaftes Konzert auch nach Dresden, Frankfurt oder Leipzig fahren. „Aber schöner sind natürlich kürzere Wege.“

Konzerte sind seit der Krise der Musikindustrie in den Nullerjahren die Haupteinnahmequelle für viele Musiker. Mit der Steigerung der Nutzerzahlen wächst aber auch die Bedeutung von Streamingdiensten. Und: Sie werden als ökonomischer Faktor wichtiger. Im vergangenen Jahr wurde mit dieser Form des Musikhörens in Deutschland erstmals mehr Geld umgesetzt als über den Verkauf von CDs, teilte der Bundesverband Musikindustrie mit.

Für Künstler ist die Reichweite über Streamingplattformen verlockend. Aber steigt auch der Umsatz? Ein heikles Thema; über Geld redet man nicht gern. Überprüfbare Zahlen geben die wenigsten Künstler preis, vor allem die bekannteren Thüringer Musiker waren für eine Anfrage zu diesem Thema nicht zu erreichen oder gaben nur sporadisch Auskunft.

Streaming rückt verstärkt in den Fokus Thüringer Künstler

Das Erfurter DJ-Duo „Gestört aber geil“ etwa antwortet auf eine Anfrage, „dass die Streamingdienste nicht nur für die Musikindustrie generell, sondern auch für uns inzwischen erhebliche Bedeutung haben“. Grund dafür sei die „Verschiebung vom physischen zum nicht physischen Produkt“.

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So viel scheint sicher: Streaming rückt verstärkt in den Fokus Thüringer Künstler. Das bestätigt die aus Jena stammende Franziska Grohmann, die unter dem Künstlernamen Delhia de France solo und mit der Leipziger Band „Pentatones“ unterwegs ist. Spotify-Playlists seien wichtige Werkzeuge, um bekannter zu werden, sagt Grohmann. Diese hätten „Medien wie Blogs abgelöst“.

Ein großer Vorteil sei zudem, dass weniger bekannte Musiker leichter aus territorialen Beschränkungen ausbrechen könnten. Als Delhia habe sie viele Hörer in Istanbul. „Also denke ich darüber nach, dort auch zu touren.“

Finanziell spiele Streaming für sie eine geringe Rolle. „Spotify rechnet leider nicht sehr günstig für Artists ab, das heißt, wirkliche Einnahmen generiert man erst, wenn man Streams im Millionenbereich hat. Was allerdings auch mal schnell gehen kann, wenn man in einer großen Playlist landet“, sagt Grohmann. Viel lukrativer sei es für sie, Konzerte zu spielen und dort Tonträger zu verkaufen.

Wer international Bekanntheit erreicht, wird potenziell mehr ge­streamt und erhält so mehr Anteile an den Erlösen. Dazu könnte man Dynoro zählen, dessen Song „In my Mind“ aktuell mehr als 526 Millionen Mal über Spotify lief. Von solchen Zahlen sind regionale Künstler weit entfernt. „Neuanfang“, Cluesos erfolgreichster Titel bei Spotify, kommt auf 11,2 Millionen Streams. Dehlia de France hat mit ihrer Cover-Version von „California Dreamin‘“ immerhin fast 600.000 Streams, ihre Songs liegen sonst eher im fünfstelligen Bereich.

Dynoros „In my Mind“ in vielen Städten im Freistaat an der Spitze

Dynoros „In my Mind“ war vergangenes Jahr der meist gestreamte Song in Thüringen. Das Lied, das sich der Melodie von Gigi D’Agostinos 19 Jahre altem Titel „L’amour toujours“ bedient, stand in vielen Städten im Freistaat an der Spitze. Besonders Musikfans im Süden und Norden Thüringens waren vom Hit des litauischen Produzenten begeistert. Menschen in Mühlhausen, Sömmerda, Schmölln und Pößneck konnten dagegen weniger mit dem Remix anfangen.

Beliebt waren bei den Thüringer Spotify-Usern zudem „Nevermind“ des israelischen Musikers Dennis Lloyd und der Berliner Rapper Capital Bra mit „Neymar“ . Interessant ist zudem der Musikgeschmack der Eisenacher: Voriges Jahr führte der Rapper Sido mit „Tausend Tattoos“ die Rangliste an. Der Song taucht sonst nur in Sonneberg (Platz 4) auf, in den Charts anderer Städte aber nicht.

Für das Geschäft von Thomas Sperling spielen Streamingdienste eine große Rolle. Sperling ist einer der Gründer des Jenaer Plattenlabels „Freude am Tanzen“, mit dem DJ Koze, Mathias Kaden und die „Pentatones“ zusammenarbeiten. Spotify sei für ihn der wichtigste Streamingpartner, so Sperling. 40 Prozent der Abrufe kämen aus Deutschland, der Rest verteilt sich weltweit. Produktionen des Labels sind so in Großbritannien, Frankreich, Schweden und den USA erfolgreich.

Aber auch Sperling sagt, dass es für Musiker derzeit schwierig sei, mit Streaming Geld zu verdienen, wenngleich es Gegenbeispiele gebe. Um als Künstler von seiner Musik leben zu können gelte weiter das Live-Doktrin: „Spielen, spielen und nochmals spielen“.

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