Am frühen Morgen startet in Nordhausen eine Bahn, in die niemand einsteigen darf. Der Freistaat begründet das mit einer zu geringen Nachfrage.

Wenn vom Bahnhof in Nordhausen um 4.30 Uhr ein Zug Richtung Göttingen startet, ist dieser an jedem Werktag menschenleer. Auch an den Stationen Nordhausen-Salza, Niedersachswerfen, Woffleben und Ellrich steigt kein Fahrgast hinzu. Und das ist auch gar nicht möglich: Wie ein Geisterzug rollt die Regionalbahn ohne Halt durch den Südharz. Erst in Walkenried in Niedersachsen öffnen sich die Türen erstmals für Pendler und Reisende.

Was sich kurios anhört, ist seit einem knappen Jahr gängige Praxis. „Es heißt immer, es solle etwas für den ländlichen Raum getan werden, sich dem Wegzug entgegengestemmt werden. Und dann so ein Ärgernis“, sagt Michael Reinboth, Sprecher der Initiative „Höchste Eisenbahn für den Südharz“. Er und seine Mitstreiter, die seit vielen Jahren für bessere Zuganbindungen in der Region kämpfen, können die Welt nicht mehr verstehen. „Man fühlt sich abgehängt und an der Nase herumgeführt“, sagt Reinboth.

Dem Freistaat Thüringen ist die Verbindung zu teuer

Ein Blick auf die Zahlen stützt zunächst die Argumentation der Initiative. 1743 Menschen aus dem Südharz pendeln zum Arbeiten nach Göttingen, wie aus einer Statistik der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur für Arbeit hervorgeht. Viele der Beschäftigten sind im verarbeitenden Gewerbe tätig. In Berufen also, in denen beispielsweise durch Schichtarbeit frühe Arbeitszeiten nicht unüblich sind.

Das Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft zeichnet hingegen ein anderes Bild. Seit 2014 habe der Freistaat die frühe Verbindung von Nordhausen aus nicht mehr bestellt, heißt es auf eine Anfrage. Die Begründung: Nur ein bis vier Fahrgäste hätten den Zug durchschnittlich genutzt. Eine Finanzierung der Verbindung „würde in hohem Maß gegen die Wirtschaftlichkeit und die Sparsamkeit verstoßen, mit der öffentliche Mittel eingesetzt werden müssen“, heißt es aus dem Ministerium.

Dürften an den fünf Stationen Fahrgäste einsteigen, müsste der Freistaat 27,66 Euro pro Tag an die Deutsche Bahn zahlen, heißt es weiterhin. Hinzu kämen 5,32 Euro pro gefahrenem Kilometer. Für den Geisterzug liegen die Kosten derzeit bei knapp über drei Euro pro Kilometer. Bei den Gesamtkosten für den Geisterzug will das Ministerium nicht ins Detail gehen und spricht von 16.000 Euro pro Jahr für die Nutzung der Trasse.

Nordhäuser fahren mit dem Auto bis Walkenried

Michael Reinboth widerspricht dem Ministerium. „Es wird so immer behauptet, dass niemand den Zug nutzen würde. Den Beweis hat aber noch keiner erbracht“, sagt Reinboth. Er habe hingegen die Beobachtung gemacht, dass am Bahnhof in Walkenried in den frühen Morgenstunden etliche Autos mit Nordhäuser Kennzeichen stünden. „Die Leute müssen mit dem Auto dorthin fahren, um den Zug nutzen zu können. Das ist doch Wahnsinn“, sagt Reinboth. Von Nordhausen bis zum Bahnhof in Walkenried sind es knapp 20 Kilometer.

Doch warum fährt der Geisterzug seit vergangenem Dezember durch den Südharz, obwohl ihn das Land Thüringen gar nicht will? Am Abend zuvor enden bis zu zwei Verbindungen in Nordhausen. Die Fahrzeuge werden im Bahnhof getankt und gereinigt. Am Morgen bilden sie dann den Geisterzug. Ein Teil wird in Ellrich abgekoppelt, um wenig später nach Nordhausen zurückzufahren, dann mit Fahrgästen. Der andere setzt seine unwirkliche Fahrt bis Walkenried fort.

Wenn Michael Reinboth ab und zu am frühen Morgen in Ellrich am Bahnhof steht, kommt ihn ein Vergleich in den Sinn. „Ellrich war früher Grenzbahnhof, da durfte auch niemand in den Zug einsteigen“, sagt Reinboth. Im Dezember wollen er und seine Mitstreiter dem Geisterzug zum einjährigen Jubiläum gratulieren – in alten Grenzuniformen.

Wie es danach mit dem Geisterzug weitergeht, ist unklar. „Wir betrachten die Verbindung weiterhin genau, sind im Dialog mit den weiteren Akteuren und werden berechtigte Kritik selbstverständlich aufgreifen“, heißt es aus dem Infrastrukturministerium.