Leserpost: Anna und Walter Lindemann waren kommunistische Lehrer in Gotha. Sie erteilten Freidenker-Unterricht und wurden von den Nazis verfolgt.

In den 1920/30er-Jahren prägte ein linkes Lehrer-Ehepaar das Stadtgeschehen in Gotha mit. Fotos und Dokumente aus dieser Zeit kehren nun zurück:

Im Rahmen der von Judy Slivi gestalteten Ausstellung „Nur hundert Jahre“, die sich auf 19 Tafeln mit dem Frauenwahlrecht und der Frauenpolitik in Gotha beschäftigt und die seit dem 10. März in der Gedenkstätte Tivoli besichtigt werden kann, hielt Matthias Wenzel, der stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins Gothaer Tivoli, einen Vortrag über den Nachlass der Pädagogin Dr. Anna Lindemann (1892-1959).

Diese saß von 1930 bis zur Machtergreifung der Nazis als KPD-Mitglied im Gothaer Stadtrat. Judy Slivi hat ihr deshalb eine komplette Tafel gewidmet. Der Heimatforscher Matthias Wenzel hatte bereits 1992 Kontakt zu der 1922 in Gotha geborenen Tochter Marianne aufgenommen, die als emeritierte Medizinprofessorin in Berlin lebte.

Bereits 2010 schickte sie einen Teil des Nachlasses ihrer Mutter in ihre Heimatstadt. Nachdem sie am 30. August 2018 mit 96 Jahren verstorben war, meldete sich ihre Nachlassverwalterin bei Matthias Wenzel. So kam es, dass weitere interessante Dokumente und Fotos nach Gotha gelangten. Was lag also näher, als diesen Fundus im Rahmen der Frauenausstellung vorzustellen. Am Ende dieser Veranstaltung übergab Wenzel diese Dokumente an Marlies Mikolajczak, die Vorsitzende des Fördervereins Gothaer Tivoli.

Anhand des Nachlasses lassen sich Herkunft, Leben und Wirken der aus Bielefeld stammenden Pädagogin, die 1920 Mitbegründerin der Freien Lehrergewerkschaft Deutschlands gewesen war und von 1923 bis 1927 Freidenkerunterricht an der Gothaer Lutherschule gab, nachvollziehen. 1935 musste die Familie Gotha verlassen, nachdem der Studienrat Walter Lindemann (1893-1985) gleich 1933 per Gerichtsurteil aus dem Schuldienst entlassen worden war. Beide waren aktiv im antifaschistischen Widerstand.

1948 erhielt Anna Lindemann eine Professur für Gegenwartsgeschichte in Jena und beendete ihre berufliche Laufbahn 1956 als Professorin für Gesellschaftswissenschaften an der Deutschen Hochschule für Musik in Berlin. Drei Jahre später kam sie bei einem Autounfall in Rüdersdorf bei Berlin ums Leben. In Gotha erinnert im Neubaugebiet Gotha-West die Lindemannstraße an das Ehepaar, das mehr als anderthalb Jahrzehnte in Gotha gelebt und gewirkt hat.

Von Jörg Bischoff, Mitglied des Tivoli-Vereins

Die Ausstellung ist bis 28. März, 10 bis 16 Uhr, in der Gedenkstätte zu sehen. Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, Texte zu kürzen.