Erfurt. Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege fordert deutlich mehr Personal. 8000 zusätzliche Erzieherinnen sind das Ziel.

Ein weiteres beitragsfreies Kita-Jahr, zusätzliches Personal, mehr Zeit für Nachbereitung, und Vertretung: Vorhaben, die Rot-Rot-Grün nicht zuletzt dank einer kräftigen Finanzspritze vom Bund im neuen Kindergartengesetz festschreiben will. Auf dem richtigen Weg, aber lange nicht ausreichend – so ließe sich die Reaktion der Liga der Freien Wohlfahrtspflege zusammenfassen. Ausgenommen das Vorhaben, das für die größten Debatten sorgt: Das zweite kostenlose Kita-Jahr. Bei der Liga stößt es auf Kritik.

Simone Dittmar leitet die Erfurter Kita „Spatzennest am Zoo“, im Einzugsgebiet leben viele einkommensschwache Familien. 120 Kinder besuchen ihre Einrichtung, die meisten Eltern sind von den Gebühren befreit oder sie zahlen nur einen geringen Teil. „Unterm Strich profitieren bei uns derzeit vier Familien vom beitragsfreien Kitajahr“, rechnet sie vor.

Auch in der Erfurter Kita „Die kleinen Europäer“ muss die Mehrheit der Eltern nichts oder nur teilweise für die Kita zahlen. Familien, die diese finanzielle Entlastung dringend brauchen, erhalten sie also auch ohne beitragsfreies Kitajahr, bemerkt Leiterin Sandy Becker. Ein effektives Plus für das Familienbudget würde auch ein zweites beitragsfreies Jahr nur Eltern bringen, die finanziell ohnehin besser aufgestellt sind.

Nachhaltiger wäre aus Sicht der Kita-Leiterinnen eine zusätzliche Fachkraft. Um Kinder individueller zu fördern, die es besonders nötig brauchen zum Beispiel, erlaubt sich Simone Dittmar einen Wunsch. Ein Bundesprogramm finanziert an ihrer Kita eine halbe Stelle für spezielle Sprachförderung, aber sie bräuchten viel mehr als diese 20 Wochenstunden. So sieht es auch Sandy Becker für ihre Kita und so sieht es die Liga, deren Mitglieder mehr als die Hälfte der rund 1300 Kitas in Thüringen betreiben.

Spürbare Anhebung des Betreuungsschlüssels hat Priorität

„Natürlich freut sich jede Familie über finanzielle Entlastung“, stellt Marita Leyh vom Diakonischen Werk Mittelthüringen klar. Aber man könne sich Beitragsfreiheit derzeit nicht leisten, resümiert die Liga und macht eine Rechnung auf: Mit den 30 Millionen Euro, die das zweite beitragsfreie Jahr jährlich kosten würde, könnten 650 Fachkräfte in den Einrichtungen eingestellt werden.

„Qualität hat Vorfahrt“: So formulieren die Wohlfahrtsverbände ihre Prioritäten. An erster Stelle steht die spürbare Anhebung des Betreuungsschlüssels. Die angekündigten 530 zusätzlichen Erzieherinnen seien natürlich zu begrüßen, doch angesichts des wirklichen Bedarfs beinahe homöopathisch dosiert. Den beziffern die Wohlfahrtsverbände seit Jahren auf 8000 zusätzliche Fachkräfte. Nur so ließe sich der Betreuungsschlüssel realisieren, den Experten empfehlen. Eine Fachkraft, zum Beispiel, sollte nicht mehr als vier Kinder zwischen einem und drei Jahren betreuen. Thüringen habe eine entsprechende Bund-Länder-Vereinbarung unterschrieben, erinnert DRK-Fachreferentin Astrid Exel. Daran halte die Liga fest. Faktisch würde das fast eine Verdopplung des jetzigen Personals erfordern.

Natürlich nicht sofort, sondern in einem Stufenplan, über den die Träger mit der Politik zu beraten hätten, bemerkt Astrid Exel und verweist auf ein Treffen, das Bildungsminister Helmut Holter (Linke) noch bis zur Sommerpause zugesagt habe.

Handlungsbedarf bei der Berechnung der Arbeitszeiten

Ein solcher Plan müsste auch die Frage beantworten, woher die dringend benötigten Fachkräfte kommen sollen. Bei der Liga ist man froh darüber, dass es endlich eine schon lange geforderte praxisintegrierte Ausbildung geben wird, die den Einstieg in den Beruf deutlich verkürzt und zumindest zum Teil vergütet. Seit das bekannt ist, bekomme sie fast täglich Anfragen, bemerkt Astrid Exel. Das zeige, wie gefragt eine solche Ausbildung sei. Sie hoffe sehr, dass dieser Weg, der in Thüringen zunächst als Pilotprojekt startet, ausgeweitet und verstetigt wird.

Das sind nicht die einzigen Baustellen. Die Anhebung des Zeitkontingents etwa für Vertretung erkrankter Kollegen bei der Berechnung des Personalschlüssels sei zu begrüßen. Um den Realitäten tatsächlich gerecht zu werden, müsse man aber von wenigstens 30 Prozent Ausfallzeit ausgehen. Angemahnt wird eine neue Berechnung des Personalschlüssels in den Kitas. Grundlage sollen nicht mehr wie derzeit mehrere Stichtage sein, sondern der Jahresdurchschnitt. Das würde den Kita-Leitungen viel Bürokratie ersparen, den Kindern kontinuierliche Betreuung ermöglichen und den Erzieherinnen planbare Arbeitszeiten und Gehälter.

Handlungsbedarf sieht die Liga auch bei der Berechnung der Arbeitszeiten, die Kita-Leiterinnen für Verwaltung und Elterngespräche aufbringen müssen. Um die Bedarfe besser abzubilden, sollten sie direkt der Zahl der Kinder entsprechen und nicht wie derzeit bei 150 gekappt werden, fordert Referentin Exel. Denn auch diese Größe beeinflusst die Zeit, die den Erzieherinnen für Arbeit mit den Kindern bleibt.