Erfurt. Diesen Sonntag wird über die Menschen abgestimmt, die im Dorf, in der Stadt, im Kreis oder in der Europäischen Union Politik machen. Nach Meinung von Fachleuten steht vielerorts ein Generationswechsel bevor.

Die Thüringer können wählen – unter mehr als 20.000 Kandidaten für die Kommunalparlamente sowie den Kandidaten für das Europäische Parlament. Nach Meinung von Fachleuten steht vielerorts ein Generationswechsel bevor. Knapp 1,8 Millionen Wahlberechtigte sind am Sonntag aufgerufen, ihr Kreuze zu machen. Manchen von ihnen steht ein Wahlmarathon mit bis zu sechs Stimmzetteln bevor. Die Parteien werten den Urnengang als Stimmungstest.

Trendwahlen in den Kreisen und kreisfreien Städten: In 23 Kommunalparlamenten sind 1022 Sitze zu vergeben, für die sich fast 4900 Frauen und Männer bewerben. Das sind nach Zahlen des Statistischen Landesamtes fast 300 mehr als vor fünf Jahren. Die meisten Kandidaten stellt die CDU mit 955. Anders als 2014 tritt die AfD erstmals flächendeckend an – mit 308 Kandidaten. Die Kreistagswahlen werden für Trends und Vergleiche mit vorangegangenen Wahlen herangezogen.

Buntes Kandidatenfeld in 655 Städten und Gemeinden: Vor allem die Wahlen zu den Gemeinderäten sind ein Dorado für Vereine und Gruppierungen, die sich um die Belange in ihrer unmittelbaren Heimat kümmern wollen. Vertreter von Grill- und Karnevalsvereinen oder Bürgerinitiativen bewerben sich um kommunale Ehrenämter – in den Städten und Gemeinden sind davon 6918 zu vergeben.

Bei den Wahlen für Kreis-, Stadt- und Gemeinderäte haben die Bürger drei Stimmen. Sie können aber auch nur eine Partei oder Wählergruppe ankreuzen.Grafik: Andreas Wetzel
Bei den Wahlen für Kreis-, Stadt- und Gemeinderäte haben die Bürger drei Stimmen. Sie können aber auch nur eine Partei oder Wählergruppe ankreuzen.Grafik: Andreas Wetzel © zgt

Abstimmung über Bürgermeister und Ortschaftsbürgermeister: 42 Bürgermeisterposten sollen neu besetzt werden, darunter 20 hauptamtliche unter anderem in Bad Liebenstein, Römhild, Gößnitz, Königsee, Bleicherode, Artern oder Roßleben-Wiehe. In drei der Gemeinden mit Bürgermeisterwahl ist der Stimmzettel leer. Nach dem Thüringer Wahlrecht können die Wähler ihre Favoriten selbst eintragen. Entschieden wird außerdem über 839 Ortsteil- beziehungsweise Ortschaftsbürgermeister.

Bisher sind drei Thüringer im Europaparlament: 36 Thüringer stehen auf den Listen der Parteien zur Europawahl. Nur die CDU tritt mit einer eigenen Landesliste an. Derzeit hat Thüringen drei Abgeordnete im Europaparlament. 2014 wurde die CDU im Freistaat stärkste Partei bei der Europawahl mit 31,8 Prozent vor der Linken mit 22,5 Prozent und der SPD mit 18,4 Prozent.

Wählen mit 16 Jahren möglich: Einer Wählergruppe mussten Thüringens Verfassungsrichter den Weg an die Wahlurnen bei der Kommunalwahl ebnen: 16- und 17-Jährigen. Das Verfassungsgericht hat im vergangenen Jahr eine Klage der AfD-Landtagsfraktion gegen das um zwei Jahre gesenkte Wahlalter abgewiesen. Nun können rund 30.000 junge Leute unter 18 Jahren ihre Kommunalvertreter selbst bestimmen. Bei der Europawahl gilt allerdings weiter das Wahlalter von 18 Jahren.

Gemeindereform sorgt nicht für Wahlpause: Gewählt wird trotz der Gemeindereform, deren dritte Runde derzeit läuft, in allen Thüringer Kommunen – unabhängig davon, ob sie bereits eine neue Struktur haben oder im kommenden Jahr bekommen sollen. Drei Ausnahmen gibt es: Silbitz (Saale-Holzland-Kreis), die Landgemeinde Drei Gleichen (Kreis Gotha) und die Gemeinde Föritztal (Kreis Sonneberg). In diesen Kommunen sei bereits 2018 entschieden worden.

Zwei Möglichkeiten beim Wählen: In den Wahllokalen sind am Sonntag etwas 30.000 Wahlhelfer im Einsatz. Geöffnet haben die Wahllokale zwischen 8.00 und 18.00 Uhr. Thüringer, ihre Stimme per Briefwahl abgeben wollen, können sich die Unterlagen noch im Internet oder in ihrer Stadt- oder Gemeindeverwaltung holen. Sie müssen allerdings bis Sonntag ausgefüllt vorliegen. Bei der Europawahl zeichnet sich ein hoher Anteil an Briefwählern ab. Vier Tage vor dem Wahltermin haben 214.000 Wahlberechtigte Briefwahlunterlagen für die Europawahl angefordert.

Was die Parteien von der Wahl erwarten: Sie rechnen mit einem Generationswechsel in den Kommunalparlamenten durch viele junge Kandidaten auf ihren Listen. Und sie sehen in den Abstimmungen am Sonntag einen ersten Stimmungstest mit Blick auf die Landtagswahl am 27. Oktober. „Die Menschen wählen sehr differenziert. Aber Wahlen sind auch ein Indiz wie die politische Stimmung in der Gesellschaft ist“, sagte beispielsweise der Vize-Landesvorsitzende der Linken, Steffen Dittes. SPD-Chef Wolfgang Tiefensee meinte: „Obwohl die Kommunalwahlen Personen und Politik vor Ort im Blickpunkt haben und Europa weiter weg ist, werden die Wahlen einen Fingerzeig geben, wo die SPD und wo andere Parteien stehen.“ Die Wahlkampfmanager schauen unter anderem darauf, wo es regionale Defizite für ihre Partei und Kandidaten gibt.

Wahlsystem erlaubt Häufeln und Verteilen: Zu den Besonderheiten des Thüringer Kommunalwahlrechts zählt das Kumulieren und Panaschieren (siehe Beispiele in der Grafik). Die Wähler können ihre drei Stimmen auf einzelne Bewerber „häufeln“ (kumulieren) oder auf die Kandidaten verschiedener Listen verteilen (panaschieren). Damit ist es beispielsweise möglich, die Reihenfolge der Bewerber zu verändern und Schwerpunkte für die personelle Zusammensetzung der Parlamente zu setzen. Bei der Europawahl hat jeder Wähler indes nur eine Stimme.