Hoyerswerda/Dresden. Sachsens Regierungschef spricht sich für ein Ende der Sanktionen gegen Russland aus – und findet damit vor allem im Osten Widerhall. 30 Jahre nach dem Fall der Mauer ist die Sichtweise in Ost und West in manchen Fragen anders.

Selten stand Sachsens jüngster Ministerpräsident so in den Schlagzeilen wie in den vergangenen Tagen. Anlass: Ein Treffen mit einem der mächtigsten Männer der Welt – Russlands Präsidenten Putin.

Michael Kretschmer (CDU) hatte einen schrittweisen Abbau und ein Ende der Russland-Sanktionen gefordert – und damit eine Kontroverse ausgelöst. Während er im Osten auf viel Zustimmung stieß, gab es von anderer Seite harsche Kritik – aus den Reihen der eigenen Partei und vor allem aus dem Westen.

Ihn habe der ausgestreckte Zeigefinger in den vergangenen Tagen sehr geärgert, räumt Kretschmer ein und verweist zugleich auf viel Zustimmung. „Ich möchte, dass die Zeiten sich wieder ändern“, sagt er fast schon trotzig. Und wenn das im Westen anders gesehen werde, dann würden eben Ost und West in manchen Fragen anders ticken.

Verbindungen zwischen Thüringen, Sachsen und Russland

Die von der EU verhängten Sanktionen sind vor allem für ostdeutsche Unternehmen ein Problem. Aufgrund der gemeinsamen Zeit im Ostblock haben sie traditionell gute Beziehungen zu Russland gepflegt – bis die Sanktionen kamen. Aber auch abgesehen von wirtschaftlichen Kontakten gibt es bis heute viele Verbindungen zwischen den Russen und Sachsen oder etwa Russen und Thüringern. Viele Kommunen haben Städtepartnerschaften. Und viele ältere Ostdeutschen haben einst in der Sowjetunion studiert und beherrschen die Sprache des „Großen Bruders“, wie die Sowjets einst in der DDR genannt wurden. Die rasche Zustimmung der Sowjetunion zur deutschen Einheit im Jahr 1990 wurde von vielen Menschen im Osten positiv gesehen.

Tickt der Osten in Sachen Russland tatsächlich anders? Gunther Schnabl, Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik der Leipziger Universität, beantwortet diese Frage mit einem Ja: „Es gibt historische Beziehungen.“

Während die ostdeutsche Wirtschaft mit der Comecon (dt. Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe RGW) eher in den Ostblock integriert war, orientierte sich die westdeutsche Wirtschaft am westlichen System. „Diese Wurzeln bleiben“. Viele Unternehmen im Osten unterhalten bis heute gute Wirtschaftsbeziehungen nach Russland, so Schnabl – und nannte als Beispiel den Leipziger Gasversorger VNG. Dieser würde viel Gas aus Russland importieren. Insgesamt, so Schnabl, sei die wirtschaftliche Entwicklung im Osten nicht so robust wie im Westen, die Löhne nach wie vor deutlich niedriger. „Da muss man sich an jedem Wachstumsanker festhalten.“

Tiefensee: Kontakte trotz schwieriger politischer Lage nicht abreißen lassen

Nach Ansicht des Konjunkturexperten des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller, stellen Sanktionen gegen Russland gesamtwirtschaftlich aber keine unverhältnismäßig starke Belastung dar. So machten die Exporte nach Russland im Jahr 2018 etwa zwei Prozent der gesamten deutschen Exporte aus.

Genaue Zahlen über die Verluste ostdeutscher Firmen als Folge der Russland-Sanktionen gibt es nicht. Die Auswirkungen lassen sich aber an den Außenhandelsbilanzen der Länder leicht ablesen. Für Sachsen zählte Russland in den Jahren unmittelbar vor Beginn der Sanktionen 2014 zu den Top 10 im Export. Inzwischen ist das riesige Land auf den 17. Rang abgerutscht. 2018 exportierte Sachsen Waren im Wert von rund 537 Millionen Euro in die Russische Föderation, 2014 waren es Erzeugnisse im Wert von 1,1 Milliarden Euro.

Thüringen meldet eine gegenteilige Entwicklung. Dort hat sich das Handelsvolumen seit 2015 um rund 40 Prozent auf knapp 300 Millionen Euro 2018 erhöht. Russland bleibt trotz der Wirtschaftssanktionen ein wichtiger Exportmarkt für rund 220 Thüringer Firmen, erklärt Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee. Darum sei es wichtig, die Kontakte trotz der schwierigen politischen Großwetterlage nicht abreißen zu lassen.

„Traditionelles Verbundenheitsgefühl“ aus DDR-Zeiten

Joachim Ragnitz, Vize-Chef des Ifo Institutes Dresden schreibt dem „traditionellen Verbundenheitsgefühl“ aus DDR-Zeiten einen großen Einfluss in der aktuellen Diskussion um die Sanktionen zu. Allein durch die wirtschaftlichen Fakten sei das jedenfalls nicht gedeckt, so Ragnitz. Einzelne Unternehmen seien vielleicht noch stark im Russland-Geschäft, viele hätten sich jedoch schon umorientiert.

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) will nicht alles an den Sanktionen festmachen. „Die Probleme im Handel, vor allem im Maschinenbau, gab es schon, bevor die Sanktionen seitens der EU verhangen wurden – der damalige Rubelverfall war der Auslöser dafür. Die Sanktionen haben das Problem letztlich nur noch verschärft.“ Dulig verweist darauf, schon länger für einen schrittweisen Abbau der Sanktionen zu werben. Zunächst sollte die EU beginnen, erste Sanktionen abzubauen, um den Friedensprozess wieder in Gang zu setzen. Russland müsse aber im Gegenzug das Minsker-Friedensabkommen auch tatsächlich umzusetzen.