Leipzig/Berlin. Das Bundesverwaltungsgericht urteilt: Tierschutz geht vor Profit. Die umstrittene Selektion männlicher Küken bleibt trotzdem fürs Erste erlaubt.

Sie sind kaum geschlüpft, da müssen sie wieder sterben: Millionen männliche Küken werden in Deutschland jedes Jahr getötet, weil es keine Verwendung für sie gibt. Und das wird auch so bleiben, zumindest vorerst. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verkündete am Donnerstag, dass Brütereien weiterhin männliche Küken töten dürfen. Allerdings nur noch so lange, bis es serienreife und zuverlässige technische Verfahren gibt, die verhindern sollen, dass die Tiere ausgebrütet werden.

Das Land NRW hatte 2013 versucht, der Praxis per Erlass ein Ende zu setzen. Dagegen hatten zwei Brütereien geklagt.

Warum werden die Küken getötet?

Weil aus männlichen Küken keine Legehennen werden, deren Eier man verkaufen könnte. Die Tiere sind für Brütereien wirtschaftlich nutzlos, denn Hühnerrassen, die auf maximale Eierlegeleistung hin gezüchtet wurden, eignen sich nicht zur Mast. Die männlichen Tiere aufzuziehen und ihr Fleisch zu verkaufen, lohnt sich für die Brütereien nicht. 45 Millionen sogenannte Eintagsküken werden deshalb in Deutschland jährlich getötet.

Warum ist das legal?

Eigentlich, das haben die Richter klargestellt, sind die wirtschaftlichen Interessen der Brütereien kein vernünftiger Grund für das Töten. Ohne einen solchen Grund ist das Töten von Wirbeltieren aber verboten. Es sei nicht mit dem Tierschutzgesetz vereinbar, dass dem Leben der männlichen Küken mit der schnellstmöglichen Tötung „jeder Eigenwert abgesprochen“ werde, erklärte das Gericht. Dass die Praxis trotzdem nicht sofort verboten wird, begründen die Richter damit, dass das Vorgehen jahrzehntelang hingenommen wurde. Bei einem Verbot ohne Übergangszeit müssten die Brütereien sehr kurzfristig erst ihren Betrieb auf die Aufzucht der doppelten Menge Küken umstellen – und dann nach kurzer Zeit wieder umbauen, sobald die Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei marktreif sind. Das könne nicht verlangt werden, so die Richter.

Welche Alternativen gibt es?

Das Gericht macht in seiner Entscheidung deutlich, dass das Töten nur erlaubt bleibt, weil serienreife Alternativen nah sind: So gibt es schon jetzt die Möglichkeit zur Geschlechtsbestimmung im Ei durch eine Hormonuntersuchung. Dazu wird nach neun Tagen Bebrütung durch ein mit einem Laser gebohrtes winziges Loch in der Schale Flüssigkeit aus dem Ei entnommen. Anhand der Hormone kann bestimmt werden, ob aus dem Ei ein Hahn oder eine Henne schlüpfen würde. Ist der Embryo männlich, wird das Ei zerstört. Allerdings ist bislang nicht sicher erforscht, ab welchem Punkt in ihrer Entwicklung Hühner-Embryonen Schmerz empfinden.

Ein Verfahren, das das Geschlecht per Infrarot-Lichtstrahl bestimmt, kann schon früher eingesetzt werden, ist aber noch sehr ungenau. Eine Lösung, bei der nicht aussortiert werden muss, ist die des Zweinutzungshuhns: So werden Hühnerrassen bezeichnet, die sich gleichermaßen für die Eierproduktion und für die Mast eignen. Der Nachteil: Diese Tiere können weder bei der Menge der Eier noch bei der Zeit bis zur Schlachtreife mit den Rassen mithalten, die speziell auf einen der Aspekte hin gezüchtet wurden.

Was sagt die Politik?

Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) bekräftigte, dass sie das Kükentöten für „ethisch nicht vertretbar“ halte. Sie erwarte deshalb von Verbänden und Unternehmen, schnellstmöglich tätig zu werden. Klöckner erinnerte aber auch an die Rolle der Verbraucher: Sie hätten es „letztlich mit in der Hand, ob sich innovative Verfahren durchsetzen oder immer mehr Eier importiert werden.“ Die Grünen dagegen erwarten von Klöckner selbst ein Eingreifen: „Wann kommt endlich der Gesetzentwurf?“, fragte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt.

Der Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft, Friedrich-Otto Ripke, nannte das Urteil „eine kluge Entscheidung, die der Realität gerecht wird und der Wissenschaft Zeit gibt, die Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei erfolgreich zum Abschluss zu bringen“.