Washington. In rund 70 Staaten der Welt steht gleichgeschlechtliche Liebe unter Strafe – nun gehen die einst so freien USA einen ähnlichen Weg.

Regierungen gehen mit Peitschenhieben und Gefängnis gegen Schwule, Lesben und andere Mitglieder der unter der Regenbogenfahne versammelten LGBTQIA+-Gemeinde vor. Zur Abschreckung werden Menschen, die abseits der Heterosexualität leben wollen, gesteinigt oder an Baukränen aufgehängt. Davon sind die Vereinigten Staaten von Amerika Lichtjahre entfernt.

Im „Land der Freien”, wo vor 50 Jahren Polizei-Razzien gegen Schwule und Lesben an der Tagesordnung waren, können nach langem gesellschaftlichen Kampf mit dem Segen des Obersten Gerichts Männer Männer heiraten und Frauen Frauen. Sie können Familien gründen, Kinder adoptieren und im Schutz des Gesetzes ihre Individualität leben. Das ist die eine Seite der Medaille.

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Die andere, und darauf zielt die bemerkenswerte Warnung der kanadischen Regierung vor Reisen zum südlichen Nachbarn ab: Noch nie war das gesellschaftlich-politische Klima für die LGBTQIA+-Gemeinschaft so toxisch wie heute. Hass-Kriminalität, bis hin zum Mord, legt rasant zu. Dutzende Bundesstaaten, fast durchweg konservativ-republikanisch regiert, versuchen mit vielen legislativen Nadelstichen die Fortschritte der vergangenen Jahre zurückzudrehen. Es geht um Macht und Deutungshoheit.

Vor allem Trans-Menschen werden zur Zielscheibe

Es geht um Ausgrenzung. Um den Versuch, unsichtbar zu machen, was das eigene Weltbild stört. Vor allem Trans-Menschen sind zur Zielscheibe geworden. Mögen sie in Kunst und Popkultur von der Sängerin Kim Petras bis zur Ikone des Kardashian-Clans Caitlyn Jenner auch auf dem Podest stehen und Erfolg haben, im Alltag haben Amerikaner, die mit dem Einmal-Mann-immer-Mann-(oder-Frau)-Schema nicht leben wollen, gerade in ländlichen Lebensräumen abseits der Metropolen zunehmend Schwierigkeiten.

Dirk Hautkapp ist Korrespondent der FUNKE Zentralredaktion in Washington.
Dirk Hautkapp ist Korrespondent der FUNKE Zentralredaktion in Washington. © Privat | Hamburger

So sehr, dass Menschenrechtler der Vereinten Nationen Alarm schlagen und von gefährlicher „Stigmatisierung” sprechen. Verantwortlich dafür ist eine in konservativen Kreisen salonfähig gewordene Rhetorik, die auf Verächtlichmachung und Herabwürdigung gründet und an den Umgang mit Afro-Amerikanern vor der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren erinnert.

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Offen oder versteckt wird sexuellen Minderheiten pauschal eine kriminell-perverse Energie attestiert, die jugendgefährdend sei. Der Klassiker, der landauf, landab aufgerufen wird, geht so: Jungen gehen nach einer Geschlechtsumwandlung früher oder später auf die Damen-Toilette, um sexuell übergriffig zu werden. Das Phänomen ist weitgehend den Hirngespinsten von Tugendwächtern entsprungen, denen Fortschritte wie die Homo-Ehe ein Dorn im Auge sind.

Gewalt darf nicht hingenommen werden

Angefeuert von weißen Evangelikalen, die einen radikal-religiösen Absolutheitsanspruch pflegen, geben sich immer mehr republikanische Politiker bis hin zu Ex-Präsident Donald Trump als Stichwortgeber für einen Kulturkrieg her, der von den wahren Problemen ablenken soll. Es ist eben leichter, wie etwa in Tennessee geschehen, Kostüm-Shows mit „Drag Queens” wegen angeblicher Jugendgefährdung unter Strafe zu stellen, als endlich dafür zu sorgen, dass Kinder und Heranwachsende nicht Tag für Tag Opfer von Schusswaffen-Gewalt oder Fentanyl-Pillen werden.

Die Frage ist, wo die Zuspitzung endet und wann die USA zur Vernunft kommen. Gewalt gegen Menschen, die nicht mit extrem konservativen Wertvorstellungen in Geschlechterfragen einverstanden sind, darf nicht hingenommen werden. Nirgendwo.