Washington. Wöchentlich sterben in den USA 500 bis 600 Menschen an Corona. Ob die Variante Pirola schwerere Verläufe auslöst, ist noch offen.

Auch wenn die Pandemie offiziell längst für beendet erklärt ist – bei Corona will die amerikanische Regierung am Vorabend des Wahljahres 2024 keine Fehler machen, die man später bereuen könnte. Anlass: Infektionen und die Zahl derer mit intensiv behandlungsbedürftigen Symptomen steigen seit einigen Wochen wieder. Wöchentlich sterben in den USA immer noch 500 bis 600 Menschen an Corona. Mit Blick auf den Herbst sehen Mediziner eine Mischwelle aus Covid- und Grippe-Erkrankungen anrollen.

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Als erste Hilfestellung können Privathaushalte ab nächsten Montag wieder kostenlos Corona-Tests anfordern, die vom Staat bezahlt werden. Das Gesundheitsministerium unter Präsident Joe Biden kurbelt mit 600 Millionen Dollar bei zwölf Herstellern die Produktion der kleinen Teststreifen an, die zur Hochphase der Pandemie oft schwer zu bekommen waren. Altenheime, Schulen und sozial schwache Stadtteile sollen gesondert beliefert werden, erklärte Gesundheitsminister Xavier Becerra.

Die Corona-Infektionsrate der USA ist in Florida am höchsten

Corona-bedingte Krankenhauseinweisungen sind nach Zahlen der Seuchenschutzbehörde „Centers of Disease Control and Prevention“ (CDC) moderat, aber kontinuierlich auf zuletzt rund 20.000 pro Woche gestiegen. Das ist der höchste Wert seit März dieses Jahres. Proportional zur Bevölkerung war die Rate im Bundesstaat Florida am höchsten. Dort regiert Gouverneur Ron DeSantis. Der republikanische Präsidentschaftskandidat versucht, sich im Wahlkampf als Gegner staatlicher Corona-Politik zu inszenieren.

In den USA steigen die Zahlen der Corona-Infektionen. Vielerorts sind auch wieder Masken Pflicht.
In den USA steigen die Zahlen der Corona-Infektionen. Vielerorts sind auch wieder Masken Pflicht.

Als die CDC jüngst der Altersklasse unter 65 Jahren pauschal Impf-Auffrischungen empfahlen, stellte sich DeSantis dagegen. Sein Tenor: übertrieben, nicht nötig. Gesundheitspolitiker in anderen Bundesstaaten halten das für „fahrlässig bis gefährlich”. Sie räumen allerdings ein, dass die Geldfrage diesmal eine größere Rolle spielen könnte. Hintergrund: Der Staat bezahlte in der Corona-Hochphase rund 20 Dollar pro Impfdosis. Heute kosten die von Pfizer und Moderna entwickelten Vakzine, die für diverse Varianten optimiert wurden, am Markt zwischen 120 und 130 Dollar pro Spritze. „Viele Gesundheitsämter werden sich das nicht leisten können“, wissen Experten. Weil bisher nicht alle Versicherungen die Kosten übernehmen, wird befürchtet, dass viele Amerikaner aus finanziellen Gründen auf den zusätzlichen „shot“ verzichten.

Zur Hochphase von Corona kamen 150.000 Infizierte pro Woche ins Krankenhaus

Die CDC erklären mit Hinweis auf die Vorjahreswerte, dass der Anstieg bei den Krankenhausaufenthalten nicht ignoriert, aber auch nicht dramatisiert werden dürfe. Im September 2020 waren wöchentlich rund 24.500 Einweisungen hinzugekommen. 2021 waren es über 80.000, 2022 fast 32.000 pro Woche. Zugegeben hohe Werte, aber deutlich unter dem Höchststand von Januar 2022, als wöchentlich rund 150.000 Menschen wegen Corona ins Krankenhaus mussten.

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Forschung und Wissenschaft in den USA konzentrieren sich derzeit auf zwei Viren-Varianten der Omikron-Familie: EG.5 (Eris) und BA.2.86 (Pirola). Bei Pirola hat die hohe Zahl genetischer Veränderungen Aufsehen erregt, obwohl die Version bis Ende August nur in den Bundesstaaten Michigan, New York, Ohio und Virginia festgestellt wurde.

Ob Pirola schwerere Krankheitsverläufe auslösen wird, ist noch offen

Nach CDC-Angaben unterscheidet sich Pirola mit 35 Mutationen von der zuletzt vorherrschenden Variante XBB.1.5. Was das bedeutet, ist noch offen. Vorläufig sagt das CDC, dass „bestehende Tests, Behandlungen und aktualisierte Impfstoffe wahrscheinlich immer noch wirksam sein werden“, aber die Variante „möglicherweise eher in der Lage ist, Infektionen bei Menschen zu verursachen, die zuvor infiziert waren oder geimpft sind“. Ob Pirola schwerere Krankheitsverläufe auslösen wird oder „ansteckender” als andere Varianten ist, könne heute noch nicht abschließend beurteilt werden.

Vor allem Älteren wird geraten, ihre Corona-Impfung aufzufrischen. Lange Schlangen bilden sich vor den Impfzentren wie hier in Eagle Rock (Kalifornien) aber nicht.
Vor allem Älteren wird geraten, ihre Corona-Impfung aufzufrischen. Lange Schlangen bilden sich vor den Impfzentren wie hier in Eagle Rock (Kalifornien) aber nicht. © Los Angeles Times via Getty Images | Irfan Khan

Experten wie David Dowdy von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health erwarten nicht, dass es wie bei der Omikron-Variante im vergangenen Winter zu einer großflächigen Infektionswelle kommt. Ein Grund: An neue Virus-Varianten einschließlich BA.2.86 angepasste Booster-Impfungen zeigen nach Angaben von Herstellern wie Moderna und Pfizer gute Antikörper-Reaktionen. Das bestätigen auch Immunologen wie David Ho von Columbia-Universität.

Informationen über Corona-Infektionen stammen aus den Kläranlagen

Die Arzneimittelbehörde FDA bleibt bei ihrem bekannten Standpunkt, der im politisch rechts stehenden Spektrum nach wie vor angezweifelt wird: Impfungen sind im Kampf gegen Corona unverändert von großer Bedeutung und bieten Schutz vor Krankenhausaufenthalten und Tod. Die dazu modifizierten Impfstoffe erfüllten die strengen Anforderungen der Behörde an „Sicherheit, Wirksamkeit und Herstellungsqualität”.

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Weil die Bundesstaaten nicht mehr verpflichtet sind, regionale Corona-Zahlen zügig an die Seuchenschutzbehörde weiterzugeben, fehlt den Verantwortlichen nach eigenen Angaben allerdings ein „verlässliches Lagebild”. Man behilft sich unterdessen mit den Informationen von Kläranlagen. „Abwasser gibt uns einen ziemlich klaren Eindruck über das Covid-Geschehen”, sagt Prof. Marlene Wolfe. Sie leitet das Projekt „WastewaterSCAN”, das in 34 Bundesstaaten rund 175 Kläranlagen überwacht. Dort wurde zuletzt nicht durchgehend aber doch häufig eine erhöhte Konzentration von Coronaviren gemessen.

Die US-Corona-Wächter halten eine erneute Maskenpflicht derzeit nicht für geboten. Gleichwohl wird der Ratschlag bekräftigt, in größeren Menschenmengen in der kalten Jahreszeit individuell Vorsorge zu treffen; etwa in überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln.