Martin Debes schreibt diesmal über einen sehr besonderen Ministerpräsidenten.

Zu den Besonderheiten des besonderen Landes Thüringen gehört zweifellos der besondere Mensch Bodo Ramelow. Bei ihm bilden politische Überzeugungen, strategische Überlegungen und taktisches Geschick zusammen mit einem veritablen Instinkt und einer ungefilterten Emotionalität eine, nun ja, explosive Mixtur – die wiederum besondere Momente generiert.

Im Jahr 2009 etwa, Ramelow hatte gerade aus der PDS, die mal die SED war, die Linke mitgeformt, führte er die Partei in Thüringen mit 27,4 Prozent zum nächsten Rekord. Da sich die SPD mit 18,5 Prozent von ihrem Hartz-IV-Trauma etwas erholt hatte und die Grünen nach 15 Jahren Abstinenz wieder in den Landtag eingezogen waren, reichte es erstmals nach zehn Jahren zur Mehrheit gegen die CDU. Die Regierungspartei hatte nach der Unfalltragödie um Ministerpräsident Dieter Althaus ein Viertel ihrer Stimmenanteile verloren.

Ramelows Problem: Die SPD war zwar bereit für Rot-Rot-Grün – aber noch nicht unter einem linken Ministerpräsidenten. Er selbst müsse an der Spitze stehen, dekretierte Landesparteichef Christoph Matschie. Parallel bereitete er insgeheim mit der neuen CDU-Anführerin Christine Lieberknecht eine schwarz-rote Koalition vor.

Ramelow spürte, dass er in der Falle saß – und wollte sich brachial daraus befreien. Die SPD könne den Ministerpräsidenten stellen, sagte er zur Überraschung aller. Dafür müsse nur auch Matschie verzichten. Ein Dritter oder eine Dritte solle es werden.

Zwar wütete Gregor Gysi in Berlin ob des nie dagewesenen Zugeständnisses. Doch die sowieso gespaltene SPD war extrem verwirrt; alles schien wieder offen. Am Ende schaffte es Matschie nur dank grober Fouls, die rot-rot-grünen Verhandlungen platzen zu lassen und sich mit der CDU zu einigen.

Doch der nächste Ramelow-Moment folgte sogleich. Als Lieberknecht bei der Ministerpräsidentinnenwahl im Landtag trotz solider Mehrheit zweifach gescheitert war und es erstmals in der Thüringer Geschichte in den dritten Wahlgang ging, trat plötzlich Ramelow gegen sie an.

Sofort bildete sich um die Christdemokratin die Anti-Linke-Allianz, sie wurde mit großer Mehrheit gewählt. Es wirkte so, als habe Ramelow Lieberknecht gerettet.

Das alles wirkte nach. Fünf Jahre und eine Landtagswahl später entschied sich die SPD bedingungslos für Rot-Rot-Grün. Matschie wurde entmachtet und Ramelow Ministerpräsident. Noch einmal fünf Jahre und eine Landtagswahl später zeigte sich wiederum Lieberknecht erkenntlich. Als der von AfD, CDU und FDP abgewählte Bodo Ramelow sie im völlig verrückten Februar des Jahres 2020 bat, statt des unglücklichen FDP-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich eine Übergangsregierung bis zu einer raschen Neuwahl des Landtags zu führen, sagte sie prompt zu.

Die CDU-Spitze, die Ramelow nicht von seiner Wiederwahl hatte überzeugen können, wurde erst danach informiert. Sie wurde durch das gewagte Manöver geradezu paralysiert. Einerseits konnten sie nicht ihre eigene Ex-Ministerpräsidentin ablehnen. Andererseits wollte sie angesichts ihrer desaströsen Umfragewerte unbedingt eine Parlamentsneuwahl vermeiden. Und so half die CDU nach einigem Hin und Her dabei, Ramelow erneut ins Amt zu hieven: Sie enthielt sich bei seiner Wiederwahl.

Und damit sind wir bei Katja Wolf. Die Frau, die einst Ramelows Kollegin in der linken Landtagsfraktion war und seit 2012 als Eisenachs Oberbürgermeisterin amtiert, wechselte Mitte Januar zum Bündnis von Sahra Wagenknecht, um es mit in den Landtag zu führen.

Ramelows Mixtur brodelte. Erst beklagte er sich allüberall gar bitterlich über Wolf. Dann traf er sich mit ihr zur langen Aussprache. Und dann forderte er sie anlässlich des Neujahrsempfangs der Stadt Eisenach öffentlich auf, in seine Regierung einzusteigen.

Das Ergebnis der Wendung war allgemeine Irritation, zumal ausdrücklich offenblieb, ob Ramelow das aktuelle Kabinett gemeint oder ein vorsorgliches Koalitionsangebot an die Wagenknecht-Partei unterbreitet hatte. Die Oberbürgermeisterin schwieg höflich, um tags darauf wie erwartet abzulehnen.

Und so hatte Ramelow mal wieder eigene Linke düpiert – aber die neue Konkurrenz, die in Thüringen noch nicht einmal einen Landesverband besitzt, maximal verunsichert. Außerdem gibt es jetzt wieder eine Frau, die er in der Not nach der Landtagswahl anrufen könnte…