Erfurt. Vor den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg wirbeln zwei neue Parteien die politische Architektur durcheinander. Ausgeschlossen scheint bislang nichts. Kommt bald eine Vierer-Koalition?

Thüringen gilt schon lange als schwer regierbar und eine starke AfD in Sachsen und in Brandenburg würde Koalitionen erschweren. Nun wirbeln zwei Neulinge in der Parteienlandschaft vor den Wahlen in Ostdeutschland alles durcheinander. Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und der Werteunion um Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen könnten sich neue Bündnisoptionen ergeben oder die Parteienlandschaft im Parlament zerfransen – wenn sie denn den Einzug in die Landtage schaffen.

Wagenknecht etwa signalisierte, dass sie in Sachsen und in Thüringen Chancen für eine Regierungsbeteiligung sieht. Andersherum bleiben die anderen Parteien in den beiden Bundesländern betont offen bei der Frage, ob sie sich eine Zusammenarbeit mit BSW vorstellen können. Am Freitag wird sich in Eisenach ein Thüringer BSW-Landesverband gründen, in Sachsen gibt es schon einen. Die Werteunion will ihren Thüringer Ableger in den nächsten Wochen aus der Taufe heben. Doch wie koalitionsfähig sind die beiden Neuen?

Kommen Vierer-Koalitionen?

Als Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) vor ein paar Wochen Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf einen Ministerposten anbot und sie vom Wechsel zum BSW abbringen wollte, signalisierte er zugleich weit geöffnete Türen: Es komme darauf an, bei der Landtagswahl am 1. September die Demokratie in Thüringen zu stärken – unabhängig vom Parteibuch, sagte Ramelow im Eisenacher Landestheater. Wenig später schrieb Staatskanzleichef und Ramelow-Vertrauter Benjamin-Immanuel Hoff, ein BSW mit Personen wie Wolf an der Spitze sei „ein denkbarer Gesprächspartner für die Verständigung über Ziele, mit denen Thüringen seine erfolgreiche Entwicklung fortsetzen kann“. Abgrenzung sieht anders aus. Kommt womöglich bald eine Vierer-Koalition?

Auch in Sachsen und Brandenburg stellt sich diese Frage. In allen drei Ländern hatten in den jüngsten Umfragen politisch mögliche Dreierbündnisse mit bereits im Parlament vertretenen Parteien keine Aussichten auf eine Mehrheit. In Brandenburg kam BSW in einer Erhebung vom Januar auf 13 Prozent, in Sachsen wenig später auf 8 und in Thüringen auf 17 Prozent.

Kein Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU

„Was es ja nicht gibt, ist ein Abgrenzungsbeschluss der CDU zum BSW“, sagt der Jenaer Politikwissenschaftler Sven Leunig. Ein Unvereinbarkeitsbeschluss verbietet es den Christdemokraten, mit der AfD oder den Linken zusammenzuarbeiten. In Thüringen war das bei der schwierigen Regierungsbildung 2019/2020 Teil des Problems, weil sich ohne Beteiligung von Linken oder AfD keine Mehrheiten fanden.

Inhaltlich liegen CDU und BSW nach Leunigs Einschätzung „ein gutes Stück auseinander – gerade was die Wirtschaftspolitik angeht“. Die Wagenknecht-Partei sei da noch eher links. Ausnahme: Migrationspolitik. „Da zeigt sich diese sehr interessante Schere beim BSW, dass es beide Pole gleichzeitig vertritt – auf dem ökonomischen Pol eher eine linke Position und auf dem kulturellen Pol eher die rechte Position“, erklärt der Experte von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Eine solche Koalition wäre aber gar nicht so ungewöhnlich, sagt er. „Also machbar wäre es schon.“

CDU hält BSW für eine Blackbox

Die im Parlament vertretenen Parteien in Sachsen sehen hinter dem BSW und der Werteunion noch ein großes Fragezeichen. CDU-Generalsekretär Alexander Dierks hält das Bündnis Sahra Wagenknecht für eine Blackbox. „Keiner weiß so richtig, wofür sie steht.“ Schließlich habe das Bündnis noch kein landespolitisches Programm und „noch einen weiten Weg, in den Landtag einzuziehen“. Ähnlich äußerte sich Thüringens CDU-Chef Mario Voigt: „Man kennt bisher weder die Personen noch das Programm“, sagt er. Er schaue sich sehr genau an, mit wem er welche Ziele erreichen könne.

Politische Sonderwege sind Thüringen nicht fremd: Im Freistaat entstand einst die erste rot-rot-grüne Koalition auf Landesebene und seit 2020 müht sich hier eine Minderheitsregierung ohne Tolerierungspartner ab – ein Novum in der Bundesrepublik. „Es ist einfach Mist“, sagte Ramelow Ende Januar im „Spiegel“ dazu. Zumindest ein fester Tolerierungspartner müsste her, so sagen es mehrere Vertreter von Rot-Rot-Grün in Thüringen.

Inhaltliche Stolperfallen

SPD-Chefin Saskia Esken sagte kürzlich in einem Interview, aus jetziger Sicht sehe sie in Thüringen „keine Grundlage“ für eine Zusammenarbeit mit dem BSW, betonte aber zugleich, dass dies der Thüringer Landesverband entscheiden würde. Dessen Chef Georg Maier nannte das BSW kurz vorher „eine sehr stark populistische Partei“, die auf eine Person zugeschnitten sei, was er befremdlich finde. Ausgeschlossen hat Maier damit aber nichts. Thüringens FDP-Chef Thomas Kemmerich sagte, er könne noch nicht sagen, ob die beiden neuen Parteien koalitionsfähig wären. Für die FDP sei eine Koalition mit der AfD ein „No-Go“. „Also wir werden uns jetzt auch nicht über eine Werteunion der AfD annähern.“ Mehrere Parteien in Sachsen und Thüringen monieren, dass BSW in den Ländern noch kein Programm habe.

Als inhaltlich kontrovers gilt etwa das Thema Außenpolitik und Waffenlieferungen an die Ukraine. Bei ihrem Auftritt in Thüringen sagte Wagenknecht, auch wenn solche Dinge nicht in Thüringen entschieden würden, wünsche man sich, dass „eine Landesregierung im Bundesrat und auch öffentlich hier eine andere Position vertritt“. Das werde bei Gesprächen, sollte es sie geben, eine Rolle spielen. Von Thüringer BSW-Mitstreitern dagegen hört man, Außenpolitik sei auf Landesebene kein Thema.

Die sächsische BSW-Vorsitzende Sabine Zimmermann – eine enge Vertraute von Sahra Wagenknecht – stellt klar, dass man nur eine Koalition eingehen wolle, „wenn sich spürbar für die Bevölkerung was verändert“: „Deshalb werden wir keine Mehrheitsbeschaffer für eine Partei sein, zum Beispiel CDU. Überschneidungen haben wir sicherlich mit der SPD und den Linken. Mit der AfD wird es keine Koalition geben.“ Auch in Thüringen schließt das BSW eine Koalition mit der AfD aus, die in beiden Ländern vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird.

BSW: Keine Koalition mit der AfD

Und was denkt die AfD über die Neuen? Sachsens AfD-Landes- und Fraktionschef Jörg Urban begrüßt es ausdrücklich, wenn „durch neue Parteien neue Bündnisse möglich werden“. Man zeige sich „generell gesprächsbereit mit allen demokratisch gewählten Parteien.“

Nach Einschätzung von Leunig eröffnen die neuen Parteien aber nicht nur neue Optionen, sondern bergen die Gefahr einer Zersplitterung. „Wenn alle knapp reinkommen, dann wird die Regierungsbildung extrem schwer“, sagt der Experte mit Blick auf Thüringen. Zugleich würde aber auch die absolute Mehrheit für die AfD in noch weitere Ferne rücken. In Thüringen hatten zuletzt führende Thüringer AfD-Politiker wie Höcke oder Stefan Möller davon geträumt, alleine regieren zu können.

Das könnte Sie auch interessieren: