Berlin/Moskau. Selbst einen direkten Konflikt mit der Nato will Putin inzwischen nicht mehr ausschließen – ein schlechtes Zeichen für die Ukraine.

Wladimir Putin sendet nach der Wahl ein klares Signal: Der Ukraine-Krieg wird mit massivem Einsatz fortgesetzt, Russland sieht sich klar im Vorteil und der Präsident durch die haushoch gewonnene Abstimmung als Kriegsherr legitimiert. „Die Initiative geht ausschließlich von den russischen Streitkräften aus, in einigen Gebieten mähen unsere Leute den Feind gerade einfach nur nieder“, erklärte Putin nach der Abstimmung triumphierend zur Lage in der Ukraine. Zugleich gibt sich der Kremlherrscher dialogbereit: Er ist sei aufgeschlossen für Gespräche über eine Waffenruhe während der Olympischen Spiele in Frankreich vom 26. Juli bis 11. August.

Eine solche Waffenruhe schlägt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dem Kremlherrscher vor, die Erfolgsaussichten gelten als gering. Denn Putin fordert, dass die Interessen des russischen Militärs an der Front berücksichtigt werden müssten. Was immer das heißt. Und: Mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj darüber zu verhandeln, dazu ist Putin offenbar nicht bereit – umgekehrt gilt das wohl auch. Der Kremlchef fühle sich „sehr sicher und gestärkt“, sagt die Russland-Expertin Sabine Fischer, die am Berlin Think-Tank „Stiftung Wissenschaft und Politik“ forscht.

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Offen erklärt der Kremlherrscher es nun zur wichtigsten Herausforderung seiner Amtszeit, die Ziele im Ukraine-Krieg – er spricht weiter von „Spezialoperation“ – zu erreichen. Westliche Militärbeobachter rechnen damit, dass die russische Armee eine neue Offensive im Frühsommer vorbereitet, in einer Zeit, in der es der Ukraine noch an Munition mangeln dürfte; doch sind die russischen Reserven begrenzt, während die Ukraine längst ihre Verteidigungsstellungen stärkt.

Ukraine-Krieg: Neue Spannungen mit dem Westen

Befürchtet wird in Russland, dass Putin eine neue Mobilisierungswelle anordnet, um den dramatischen hohen Blutzoll in der Armee auszugleichen. Sie macht in dem Stellungskrieg im Osten und Süden der Ukraine derzeit nur kleine Geländegewinne mit enormen Verlusten – die ukrainische Seite spricht von aktuell 800 bis 1000 gefallenen russischen Soldaten täglich. Putin hat Pläne für eine breite Mobilisierung bislang bestritten. Russland-Expertin Sabine Fischer hält das für plausibel: Die Wahl habe ein Protestpotenzial gezeigt, deshalb sei eine offene Mobilmachung unwahrscheinlich.

Sabine Fischer, Osteuropa-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, glaubt nicht an eine offene Mobilmachung.
Sabine Fischer, Osteuropa-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, glaubt nicht an eine offene Mobilmachung. © picture alliance / SZ Photo | Jürgen Heinrich

„Das Regime wird eine Bleidecke über das Land legen und die US-Präsidentschaftswahl abwarten.“ Erst danach dürfte Putin entscheiden, ob er auf die Fortsetzung des Krieges setzt oder sich verhandlungsbereit zeigt. Die Spannungen zwischen Russland und dem Westen dürften eher noch zunehmen. In markiger Drohgebärde wollte Putin nach der Abstimmung sogar einen direkten, umfassenden Konflikt zwischen Russland und der Nato nicht ausschließen: Alles sei möglich in der heutigen Welt, bei einem solchen Konflikt sei die Welt aber nur einen Schritt vom Dritten Weltkrieg entfernt.

Russland: Putin will Konfrontation mit Nato vermeiden

Indizien, dass es so weit kommen könnte, gibt es nicht. Tatsächlich ist Putin nach Einschätzung von Nato-Militärs bislang sehr bemüht, im Ukraine-Krieg eine Konfrontation mit der Nato zu vermeiden – und die Nato-Staaten scheuen umgekehrt, rote Linien wie die Entsendung von Boden-Kampftruppen in die Ukraine zu überschreiten.

Führende Politiker in Europa und den USA machen aber am Montag klar, dass sie Putins angeblichen Triumph nicht ernst nehmen: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verzichtete wie andere Staatsoberhäupter auf ein Glückwunschschreiben an Putin. Der Kremlherrscher sei aufgrund von „Unterdrückung und Einschüchterung“ wiedergewählt worden, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Die EU-Außenminister bereiteten in Brüssel neue Sanktionen gegen Russen vor, vor allem jene, die in den mutmaßlichen Mord an Alexej Nawalny verstrickt sind.