Weimar. Bewegende Reden beim 79. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald. Erinnerung an die Schicksale von 28.000 Zwangsarbeiterinnen.

So unmittelbar überschattet von aktuellen Ereignissen in der Welt und in Thüringen wie an diesem Sonntag war das Gedenken in Buchenwald schon länger nicht. Obwohl es sich beim 79. Jahrestag der KZ-Befreiung um einen unrunden Jahrestag handele, stehe er unter einem besonderen internationalen öffentlichen Interesse, zum einen wegen der Krieg in der Ukraine und in Nahost, zum anderen wegen der in diesem Jahr anstehenden Wahlen und der historischen Bezüge zu den 1920er- und 1930er-Jahren, sagte Stiftungschef Jens-Christian Wagner zum Auftakt der Gedenkfeier auf dem ehemaligen KZ-Appellplatz . „Das antisemitische Massaker vom 7. Oktober 2023 und der darauf folgende Krieg in Gaza liegen als Schatten über dem heutigen Gedenken“, so Wagner. In der Nacht zuvor hätten die nach Weimar angereisten israelischen Überlebenden mit Bangen auf ihre von iranischen Drohnenangriffen heimgesuchte Heimat geschaut. Der fast 100-jährige Michael Urich konnte an diesem Morgen erst nach der Freigabe des israelischen Luftraums die erste Maschine nach Deutschland besteigen und schaffte es so gerade noch pünktlich zum Gedenken.

Michael Urich, Überlebender aus Israel, schaffte es nach dem iranichen Drohnenüberfall auf sein Land gerade noch rechtzeitig zum Gedenken. .  
Michael Urich, Überlebender aus Israel, schaffte es nach dem iranichen Drohnenüberfall auf sein Land gerade noch rechtzeitig zum Gedenken. .   © Hanno Müller | Hanno Müller

Die Todesangst noch einmal erlebt

Urich ist einer von acht Überlebenden, die zum Gedenken auf den Ettersberg kommen konnten. Angereist sind sie aus Israel, Rumänien, Polen, Weißrussland und Frankreich. Wie sehr sie die Kriege in Europa und Nahost bewegen, machte auch Naftali Fürst, Präsident des Internationalen Häftlingskomitees Buchenwald und Mittelbau-Dora in seiner Ansprache deutlich. Nach Weimar gekommen ist er mit Lebenspartnerin, Tochter und Enkelin, zu dritt standen sie dem 91-Jährigen, der das Lager 12-jährig überlebte, auf dem Appellplatz zur Seite. Fürst schilderte die Todesängste, die Angehörige seiner Familie beim Hamas-Überfall ausstanden. „Ich hätte nie geglaubt, dass meine Enkelin in Israel den gleichen Alptraum erleben würde wie jüdische Mütter vor 80 Jahren. Auch sie hielten ihre zerbrechlichen Kinder in den Armen, um sie vor der Hölle zu schützen. Ich hätte nie gedacht, die Todesangst noch einmal wieder zu erleben und zu empfinden, die wir während des Zweiten Weltkrieges erlebt hatten, während unsere Kindheit, unsere Familien verwüstet wurden, weil wir Juden sind. Vier Generationen derselben Familie versammeln sich hier heute, und wir alle sagen Nein zum Antisemitismus, Nein zum Antiziganismus, Nein zu Negativismus, Rassismus und Revisionismus“, sagte Fürst in seiner eindrücklichen Rede. In ebenfalls sehr persönlichen Worten erinnerte Aurelie Filipetti, Kulturdirektorin der Stadt Paris und ehemalige französische Kulturministerin, an ihre Angehörigen in Buchenwald und Dora.

Reymond Renaud, Überlebender aus Frankreich, denkt an die Gequälten im KZ-Bunker von Buchenwald .
Reymond Renaud, Überlebender aus Frankreich, denkt an die Gequälten im KZ-Bunker von Buchenwald . © Hanno Müller | Hanno Müller

Erinnerung an 28.000 Zwangsarbeiterinnen

Ein Thema des Gedenkens in diesem Jahr war die NS-Zwangsarbeit, die Tausende im Dritten Reich leisten mussten. Stellvertretend erinnert wurde an 28.000 Häftlingsfrauen, denen zunächst in den Außenlagern sogenannter Frauen-KZ wie Ravensbrück und später unter der Leitung des Konzentrationslagers Buchenwald schwerste, schmutzigste und gefährlichste Arbeiten aufgeladen wurden. Am härtesten habe es Jüdinnen sowie Sinti- und Roma-Frauen getroffen, für die das Ziel der Vernichtung durch Arbeit gegolten habe. Auch deshalb seien die Sterbeziffern bei Frauen zwischen 16 und 40 Jahren in den Außenlagern besonders hoch.

Andrei Moisenko, Überlebender aus Weißrussland trifft sich am Montag mit Weimarer Schülern.
Andrei Moisenko, Überlebender aus Weißrussland trifft sich am Montag mit Weimarer Schülern. © Hanno Müller | Hanno Müller

Der älteste unter den Überlebenden ist mit 100 Jahren der Franzose Reymond Renaud. Im Rollstuhl sitzend zog es ihn am Sonntag besonders zum ehemaligen Bunker, wo er Blumen zum Gedenken an die niederlegte, deren Schreie er einst mit anhören musste, ohne ihnen helfen zu können. Nicht zum ersten Mal kam Andrei Moisenko aus Weißrussland zum Gedenken. Anfang Mai wird er 98 Jahre alt. Er wird sich am Montag in Weimar mit Schülern zum Austausch treffen. Das Gedenken wird am Montag im ehemaligen Konzentrationslager Mittelbau-Dora fortgesetzt.

Aurelie Filipetti, Kulturdirektorin der Stadt Paris und ehemalige französische Kulturministerin, erinnerte an ihre Angehörigen in Buchenwald und Dora. 
Aurelie Filipetti, Kulturdirektorin der Stadt Paris und ehemalige französische Kulturministerin, erinnerte an ihre Angehörigen in Buchenwald und Dora.  © Hanno Müller | Hanno Müller