Erfurt. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) spricht über sein Treffen mit den Amtskollegen und der Kanzlerin in Thüringen und die Frage, ob der Osten zusätzlicher Förderung bedarf.

Nach vier Jahren in der Thüringer Staatskanzlei ist Bodo Ramelow (Linke) erkennbar in seinem Amt als Ministerpräsident angekommen. Was aber fehlte: Ein gemeinsamer öffentlicher Presseauftritt mit der Bundeskanzlerin. Am Mittwoch, in Neudietendorf bei Erfurt, kann Angela Merkel (CDU) nicht länger Abstand wahren. Nach der Sitzung mit der Konferenz der ostdeutschen Ministerpräsidenten, die Ramelow leitet, wird sie mit dem Thüringer Regierungschef vor die Kameras treten. Es dürfte, das lässt sich schon jetzt sagen, vor allem um Geld gehen.

Herr Ramelow, es wird wieder über Ostdeutschland gestritten und darüber, was anders zu machen sei. Bleibt die Frage an Sie: Wann wird es anders?

Tut mir leid, das frage ich mich auch. Es nützt wenig, die immer nächste Ost-Konferenz zu veranstalten. Und es nützt meines Erachtens auch nichts, immer noch ein weiteres Ost-Papier zu schreiben, in dem dann Allfälliges steht, das schon seit Jahrzehnten gefordert wird.

Aber die Ost-Regierungschefs tagen doch auch und produzieren unentwegt Papiere?

Ja, seit fast drei Jahrzehnten, und nicht deshalb, weil gerade Landtagswahlen anstehen. Ansonsten sollte man die Ministerpräsidentenkonferenz Ost als machtpolitisches Instrument nicht unterschätzen. Das Fundament unserer Arbeit ist unter anderem der Einigungsvertrag. Indem wir geschlossen auftreten, können wir unsere spezifischen Interessen effektiv vertreten und in Berlin durchdringen.

Und trotzdem werden Sie ständig vertröstet. Was ist, nur zum Beispiel, mit der Finanzierung der DDR-Zusatzrenten?

Gute Frage. Diese Renten für hauptamtliche Feuerwehrleute, Polizeibedienstete, Veterinärmediziner oder frühere Direktoren und Ingenieure sind eine Hinterlassenschaft der DDR. Die Rechtsnachfolge zur DDR hat die Bundesrepublik abgelehnt, aber die Kosten all dieser Rentenverpflichtungen einfach den neuen Ländern zugeordnet. Das summiert sich auf einen gewaltigen Betrag. In Thüringen sind das 400 Millionen Euro, Jahr für Jahr. Tendenz steigend.

Im Koalitionsvertrag hatten CDU, CSU und SPD vereinbart, dass der Bund „schrittweise einen höheren Anteil“ übernehmen wird. Fühlen Sie sich getäuscht?

Erst einmal bin ich enttäuscht, dass immer noch keine Zahl genannt wurde. Diese Bundesregierung ist jetzt ein gutes Jahr im Amt – und nichts ist dazu bisher passiert. Wir werden das bei der Ministerpräsidentenkonferenz in Neudietendorf gegenüber der Kanzlerin deutlich ansprechen. Dasselbe gilt auch für den versprochenen Härtefallfonds für die in der DDR geschiedenen Frauen, bei denen die Versorgungsansprüche des alten Bundesrechts nicht greifen. Ihnen droht Altersarmut.

Der Osten ist auch ein Thema in der neuen Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse . . .

. . . die inzwischen aber thematisch völlig überfrachtet ist. Sie soll jetzt irgendwie alles klären, von den Folgen des demografischen Wandels über die Digitalisierung bis zur Zukunft der ländlichen Räume. Das ist alles richtig und wichtig, aber ursprünglich sollte sich die Kommission darüber Gedanken machen, was mit strukturschwachen Regionen nach dem Auslaufen des Solidarpaktes II passiert. Der Solidaritätszuschlag wird ja vorerst von den Bürgern weiter gezahlt, und ich finde, dass die Einnahmen in benachteiligte Regionen fließen sollten. Dies, ganz konkret, sollte die Kommission klären und nicht einen bunten Blumenstrauß von Themen.

Sie wollen also einen Solidarpakt III?

Ich will einen Fonds für die strukturschwachen Regionen, finanziert aus dem Solidaritätszuschlag. Es kann doch nicht sein, dass die Zusatzsteuer, die für den Aufbau Ost gedacht war, künftig komplett im Bundeshaushalt verschwindet. Das Geld muss dann in alle strukturschwachen Regionen fließen, in Ost wie West, nach Bremerhaven wie nach Artern.

Hat das nicht schon Ihre CDU-Vorgängerin Christine Lieberknecht 2013 gefordert?

Ja. Und es war damals schon richtig. Leider ist sie damit bei ihrer eigenen Partei und Kanzlerin aufgelaufen. Und jetzt drängt die Zeit: Dieses Jahr läuft der Solidarpakt II aus.

Glauben Sie, dass es ab 2020 eine neue Regelung gibt?

Ich hoffe es, aber ich bin nicht allzu optimistisch. Ich habe zuweilen den Eindruck, in Berlin bereitet man sich insgeheim schon auf das Ende der Koalition und den nächsten Wahlkampf vor. Die Union versucht, der SPD und ihrem Bundesfinanzminister die Schlecht-Laune-Karte zu geben: Olaf Scholz soll sagen, dass kein Geld da ist. Hinzu kommt der Kohleausstieg, in dessen Zusammenhang auch Milliarden Euro nach Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt fließen werden. Da wird uns dann gesagt werden, seht, was wir für den Osten tun. Dabei hat das alles mit dem Pariser Klimaabkommen zu tun – und nichts mit Ostförderung.

Herr Ramelow, mal ehrlich, wie praktisch ist es für Sie, dass Sie im Wahljahr die Ost-Ministerpräsidentenkonferenz leiten und sich als Ost-Kämpfer profilieren können?

Erstens: Thüringen war einfach mit dem Vorsitz dran. Und zweitens: Gerade hat ja wieder eine Umfrage festgestellt, dass meiner Partei in Thüringen mit großem Abstand die höchste Lösungskompetenz beim Thema ostdeutsche Interessenvertretung zugesprochen wird. Insofern muss ich mich gar nicht besonders profilieren.

Für die Fortsetzung Ihrer Koalition reicht es aber immer noch nicht. Da fehlen einige Prozentpunkte.

Ich bin da ganz entspannt. Die Werte aller drei Koalitionsparteien sind in den Umfragen gestiegen. Es geht also in die richtige Richtung. Zudem ist die Zufriedenheit mit der Landesregierung sehr hoch, wir liegen mit 55 Prozent unter den ostdeutschen Ländern auf Platz 1 . . .

. . . und im bundesweiten Vergleich eher im Mittelfeld. Ganz hinten liegt übrigens die Hauptstadt Berlin, wo die andere rot-rot-grüne Koalition regiert. Was machen Ihre Genossen bloß falsch?

Na, da wurde zuletzt schon einiges verschossen, und damit meine ich ausdrücklich nicht die Linke. Aber ich will keine Noten verteilen.

Und sie wollen auch keine Wohnungen enteignen, wie es die Berliner diskutieren?

Das ist nicht unsere Diskussion, wir enteignen im Wohnungsmarkt nichts. Wir kaufen. Ziel ist, in Thüringen den staatlichen Bestand an Wohnungen auszubauen – und einen staatlichen Wohnungsbau anzuschieben. In diesem Ziel sind wir uns in der Koalition inzwischen einig. Die öffentliche Hand, Land und Kommunen, muss mehr für den sozialen Wohnungsbau in den Städten tun. Und sie muss mehr dafür tun, dass im ländlichen Raum barrierefreie Wohnungen für die Älteren entstehen. Bei der Aufbaubank stehen etwa 200 Millionen Euro aus zurückgeflossenen Fördermitteln bereit, die wollen wir aktivieren.

Wird es eine Wohnungsbaugesellschaft des Landes geben?

Warum nicht? Aber wir gehen da Schritt für Schritt. Zum einen haben wir die Landesentwicklungsgesellschaft, die schon Immobilien und Wohnungen verwaltet. Das wird ausgebaut. Zum anderen prüfen wir Beteiligungen an kommunalen Gesellschaften. Modellprojekt könnte die Wohnungsbaugesellschaft „Elstertal“ in Gera sein, die wir jetzt gemeinsam mit der Stadt zurückkaufen wollen.

Also keine Enteignungen in Thüringen?

Ich halte diese Debatte in unserem Freistaat für völlig überflüssig. Ja, auf dem Wohnungsmarkt in Berlin wurde über Jahrzehnte von windigen Investoren in übler Weise Monopoly gespielt. Da kann man über Rückkauf und ein Vorkaufsrecht der Stadt diskutieren. Aber mit einem Überbietungswettbewerb mit dem Begriff Enteignungen, den im Übrigen der Regierende Bürgermeister von der SPD und nicht meine Partei begonnen hat, kommt man nicht weiter.

Sagt der Mann, dessen Regierung erstmals in der bundesdeutschen Geschichte ein Schloss enteignete?

Ja. Ich bin sogar ein wenig stolz darauf, denn eine Enteignung nach Denkmalschutzrecht wurde in Deutschland noch nie probiert. Schloss Reinhardsbrunn können wir nur auf diesem Weg vor dem Verfall retten. Das sehen alle so, Bürger, Denkmalschützer, andere Parteien. Es ist doch mal schön, wenn ich als Linker überall Applaus dafür bekomme, weil ich ein Schloss enteigne.

Hessen unterstützt Thüringen beim Kalistreit gegenüber dem Bund

Auch der alte Streit um die Kosten für die stillgelegten Kali-Gruben in Thüringen wird die Ministerpräsidentenkonferenz in Neudietendorf beschäftigen. Es könne nicht sein, dass dafür nur das Land allein an den Konzern K+S zahle, sagte Ramelow. Er werde das Thema gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ansprechen.

Hilfreich für Ramelow: Die Kanzlerin hat erst vor einigen Tagen Post vom hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier bekommen. In dem Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt, pflichtet der CDU-Politiker dem Linken bei, „dass das Ausmaß der fortlaufenden Kosten der Kalialtlasten-Sanierung für Thüringen alleine so nicht tragbar sein“ könne. Weiter heißt es: „Angesichts der Bedeutung des Kalibergbaus für unsere beiden Bundesländer – und nicht zuletzt vor dem Hintergrund unserer gemeinsamen Verantwortung für die Minimierung der Auswirkungen dieses Industriezweiges auf die Umwelt – ist auch Hessen an einer Klärung der Problematik und finanziellen Unterstützung Thüringens durch den Bund gelegen.“

Die Beseitigung ökologischer Altlasten aus der DDR-Wirtschaft, schrieb Bouffier, sei grundsätzlich eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Das betreffe auch die Hinterlassenschaften aus der Kaliwirtschaft.