Erfurt. Warum Linke-Spitzenkandidat Martin Schirdewan auch ein bisschen für den Freistaat im Europa-Parlament bleiben will.

Ob je zuvor ein Thüringer EU-Kandidat in eine der großen Talk-Sendungen im nationalen Fernsehen eingeladen wurde? Wohl nicht.

Martin Schirdewan aber schon. Er durfte sich am vorvergangenen Sonntag bei „Anne Will“ zum Atom-Streit zwischen den USA und Iran äußern und einigen Sätze aufsagen, die auch auf einem Parteitag gut klingen würden. Einer lautete: „Wir als Linke, als Friedenspartei, fordern die Bundesregierung auf, die Parteien wieder an einen Tisch zu bringen“ – so als könne dies Angela Merkel mal eben aus dem Bundeskanzleramt administrieren.

Ob er denn glaube, dass Donald Trump auf die Forderungen der deutschen Linken eingehe, fragte denn auch Anne Will nach und versuchte dabei trotzdem, ernst zu schauen. Schirdewan blieb unbeeindruckt. Der US-Präsident wäre „gut beraten“, sagte er, ein Krieg mit dem Iran könnte einen Flächenbrand in der Region auslösen. Da nickte sogar Alexander Graf Lambsdorff von der FDP.

Klar, Schirdewan nicht als Thüringer Kandidat im Studio, sondern als Spitzenkandidat seiner Partei. Gemeinsam mit der Gewerkschafterin Özlem Alev Demirel führt er die Linke in den Europawahlkampf.

Ein Parteimann, durch und durch

Zumal, er wohnt ja in Berlin. Es ist die Stadt, in der er geboren wurde, in der sein Großvater Karl Schirdewan im SED-Politbüro saß, bevor ihn Walter Ulbricht verstieß und in der seine Tante Rosemarie für die PDS der letzten, frei gewählten DDR-Volkskammer angehörte.

Für den Spiegel, der dem Kandidaten eine große Geschichte widmete, gehört darum Schirdewan zum „roten Adel“. Er selbst hört das nicht gerne. Er sieht sich als „pragmatischem Visionär“, der die Weltkonzerne dazu zwingen will, in Europa ordentlich Steuern zu zahlen, damit es mehr Geld für die Armen und Arbeitslosen gibt. So wie seine Partei möchte er die Umverteilung des Reichtums von unten nach oben endlich umkehren.

Doch was macht dann Martin Schirdewan zu einem Thüringer Kandidaten? Die Antwort hat, unter anderem, mit Strategie und Taktik zu tun. Als er 2017 als Nachrücker ins EU-Parlament kam, war klar, dass er jenseits der parteiintern umkämpften Hauptstadt eine Machtbasis gebrauchen könnte, um bei der nächsten Wahl einen guten Listenplatz zu bekommen.

Da die thüringische Abgeordnete Gabi Zimmer, die im Parlament die Fraktion der europäischen Linken leitet, nach drei Wahlperioden ihren Abschied vorbereitete, bot sich eine Gelegenheit. Schirdewan teilte sich mit ihr das Wahlkreisbüro im Weimar, trat in den hiesigen, durchaus wirkmächtigen Landesverband ein – und wurde auch deshalb diesmal ganz vorne auf der Liste platziert.

Der Abgeordnete ist Parteimann, durch und durch. Nach dem Studium der Politikwissenschaft und der Promotion arbeitete er bei der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung, der früheren Parteizeitung „Neues Deutschland“, der linken Fraktionsvorsitzendenkonferenz, diversen Magazinen und für den Bundestagsabgeordneten Roland Claus. Im Bundesvorstand der Partei sitzt er seit 2012.

„Wirtschaftlich ist Thüringen gut aufgestellt“

So ist es nur folgerichtig, dass Schirdewan die Parteilinie ohne besondere Abweichungen nach links oder rechts vertritt – womit er in den realpolitisch auftretenden Thüringer Verband auch inhaltlich gut passt. Tatsächlich versucht der Kandidat, sich im Land zu zeigen, auf den Wahlkampfbühnen, aber auch bei Gesprächen mit Betriebsräten.

Wirtschaftlich, sagt Schirdewan, sei Thüringen gut aufgestellt. Dennoch bedrohe der globale Strukturwandel Arbeitsplätze, ob nun bei Opel in Eisenach oder Siemens in Erfurt. Hier sei Europa gefordert, um mit besseren Rahmenbedingungen Arbeitnehmer zu schützen. Auch von einem EU-weiten Mindestlohn würden vor allem Ostdeutsche profitieren.

Selbstverständlich, das gehört zur Arbeitsbeschreibung eines Abgeordneten aus den neuen Ländern dazu, will sich der Abgeordnete bei den laufenden Verhandlungen über den nächsten, siebenjährigen Finanzrahmen dafür einsetzen, dass die Fördermittel weiter fließen.

Was ist das hier?

Es dürfe nicht sein, sagt er, dass Gelder aus den Struktur- und Sozialfonds in den Aufbau einer europäischen Armee gesteckt würden. „Das wäre völlig falsch, dagegen werden wir mit aller Kraft kämpfen.“

Neben den sozial- und wirtschaftspolitischen Zielen ist für Schirdewan die Klimapolitik zentral. „Wir müssen 2020 die schmutzigsten 20 Kohlekraftwerke in Europa abschalten“, lautet einer der wahlkampfkompatiblen Sätze, die er dazu sagt.

Und dann ist da natürlich das allgegenwärtige Flüchtlingsthema: „Wir brauchen ein ziviles Seenotrettungsprogramm, damit das Sterben im Mittelmeer endlich ein Ende hat.“

In Thüringen, sagt der Abgeordnete, werde er auch nach der Wahl am Sonntag präsent bleiben – da könne die CDU noch so darüber lästern, dass er ja eigentlich ein Berliner sei. So werde er das bisher mit Gabi Zimmer geteilte Büro in Weimar allein weiter betreiben. Und wahrscheinlich komme noch die eine oder andere Außenstelle hinzu.