Arnstadt. Tony Fiedler war hoher Funktionär in rechtsextremen Parteien. Jetzt stellt sich der Thüringer für die Linke in Arnstadt zur Wahl, für die Partei seines Vaters, Frank Kuschel.

Tony Fiedler, geboren in Ilmenau, ist mit größter Wahrscheinlichkeit der einzige ehemalige Rechtsextremist, der für die Partei Die Linke in Thüringen kandidiert: am Sonntag bei der Kommunalwahl in Arnstadt.

„Ich war ein Parteisoldat“, sagt der 30-Jährige. „Ich wurde immer dahin geschickt, wo Hilfe nötig war. Meinen Vater habe ich vermutlich ein paar Jahre seines Lebens gekostet.“

Der Vater, Frank Kuschel, sitzt seit fast 15 Jahren für die Linke im Landtag, war nach der Wende Bürgermeister von Großbreitenbach, davor SED-Kader und Stasi-IM. 2007 hatte Frank Kuschel selbst ungewollt Neonazi-Kontakte. Er geriet in die Schlagzeilen, weil es der NPD zweimal gelang, Rechtsextremisten in Kuschels politisches Nahfeld zu schleusen.

„Ich hatte damit nichts zu tun“, sagt Tony Fiedler. „Meine politische Vergangenheit ist mir allerdings peinlich. Aber ich gehe offen damit um. Mein Vater ist auch offen mit seiner Vergangenheit umgegangen. Ich habe mir von ihm ein bisschen abgeschaut.“ Außerdem, sagt Fiedler: „Über das Internet lässt sich sowieso alles herausfinden.“

Republikaner, DVU, Pro NRW, Die Linke

Tony Fiedler, seit Ende 2015 parteilos, saß bereits im Alter von 20 Jahren als jüngstes Mitglied im Bundesvorstand der 1983 von ehemaligen CSU-Politikern gegründeten Partei Die Republikaner. 2009 wechselte Fiedler zur rechtsextremen Deutschen Volksunion (DVU). Anschließend war er bei den vom Verfassungsschutz beobachteten Extremisten von Pro Köln und Pro NRW aktiv, sogar in einem Spitzenamt. Von 2014 bis zu seinem Parteiaustritt im Oktober 2015 war Fiedler Generalsekretär von Pro NRW.

Es ist ein Gespräch am Telefon, es dauert länger als eine Stunde. Zwei Personen aus Arnstadt, die Fiedler persönlich gut kennen, werden telefonisch gebeten, Tony Fiedler den Gesprächswunsch unserer Zeitung zu übermitteln. Eine halbe Stunde später ruft Fiedler zurück. Keiner Frage weicht er aus.

Wie aus einem jungen Mann aus dem Ilm-Kreis, dessen Mutter Andrea Kuschel in den 1990er-Jahren Bürgermeisterin von Pennewitz war und dessen Vater eine politische Karriere bei der Linken machte, ein Rechtsextremist geworden ist?

„Ich denke, wenn ich in Thüringen geblieben wäre und ein normales politisches Umfeld gehabt hätte, wäre ich nicht abgerutscht“, sagt Fiedler. „Ich habe mich immer schon gern für Menschen eingesetzt und geholfen.“

Tony Fiedler war 16 Jahre alt, als er nach der Trennung der Eltern Thüringen verließ. „Ab 2005 habe ich in Hessen gelebt“, sagt er. „2008 habe ich mein Abitur am Albert-Einstein-Gymnasium in Maintal abgelegt.“ Die Stadt mit 37.000 Einwohnern ist die zweitgrößte im Main-Kinzig-Kreis und liegt vor den Toren von Frankfurt am Main.

Thüringer Landesverband der Jungen Rechten gegründet

2009 ist ein wegweisendes Jahr: Fiedler nimmt in Frankfurt ein Jura-Studium auf. Rechtsgeschichte und -philosophie als Nebenfächer sollen den Horizont weiten. Auch im Privaten ist der Blick nicht verengt. „Mein bester Freund in Frankfurt war ein Linker“, sagt Fiedler. „Mein politisches Umfeld war bunt gemischt.“

Zu der Zeit war Fiedler längst auf rechtsextremem Kurs. Im Mai 2009 wechselte er von den Republikanern zur DVU. Die kooperierte damals bereits über eine strategische Allianz deutschlandweit mit der rechtsextremen NPD.

Der im Januar 2009 gewählte neue DVU-Parteivorsitzende Matthias Faust, ein ehemaliges Mitglied der CDU-Nachwuchsorganisation Junge Union (JU) aus Hamburg, beauftragte Fiedler sofort mit der Gründung der Jungen Rechten, einer Kaderschmiede für 14- bis 35-jährige Jungextremisten.

Etwa 20 Personen, erinnert sich Fiedler, hätten an der privaten Gründungsveranstaltung in Michendorf bei Potsdam teilgenommen. Nach Auskunft des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags fand das Treffen am 5. Juli 2009 statt, zwei Monate nach Fiedlers Wechsel in die DVU.

Kurz darauf, sagt Fiedler, habe er im Landkreis Hildburghausen den Thüringer Landesverband der Jungen Rechten gegründet. Bevor weitere Landesverbände etabliert werden konnten, ging die DVU in der NPD auf. Die Fusion, 2010 beschlossen, wurde am 1. Januar 2011 vollzogen. Nach diesem weiteren Rechtsdreh der DVU schied Fiedler für zwei Jahre aus der aktiven Parteipolitik aus.

Im Hintergrund jedoch wirkte er weiter an der Vernetzung rechtsextremer Strukturen. Im Jahr vor den Kommunalwahlen in Hessen, die am 27. März 2011 stattfanden, gründete er 2010 gemeinsam mit dem ehemaligen CDU-Politiker Herbert Gassen den Arbeitskreis „Einigkeit, Recht und Freiheit“.

Gassen, inzwischen verstorben, gilt als Mentor des ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann aus Fulda, der nach einer als antisemitisch interpretierten Rede 2004 aus der CDU ausgeschlossen wurde und seit 2017 für die AfD im Bundestag sitzt.

„Herr Gassen sollte Kontakte zur CDU herstellen. Ich sollte meine Verbindungen beispielsweise zu den Republikanern nutzen“, berichtet Fiedler. „Ziel des Arbeitskreises war es, verschiedene politische Organisationen zu vernetzen, um bei der Kommunalwahl in Hessen antreten zu können.“

Sicherheitsabstand Thorsten Heise (NPD) gewahrt

Mit von der Partie war, wie Fiedler auf Nachfrage mitteilt, auch ein ehemaliger Schuldirektor und Mitarbeiter des hessischen Bildungsministeriums mit besonderen Beziehungen nach Thüringen: der im April 2018 verstorbene Heiner Hofsommer aus der hessischen Stadt Friedlos, der sich selbst gern als Entdecker des Politikers Björn Höcke sah. Es war Heiner Hofsommer, der Björn Höcke im Jahr 2013 zum Gründungstreffen der AfD Thüringen begleitet hat.

„Herr Hofsommer war Teil des Arbeitskreises“, sagt Tony Fiedler. Dabei gewesen sei auch der ehemalige hessische FDP-Landtagsabgeordnete Heiner Kappel, der sich 1997 von den Liberalen abwandte, sich danach dem Bund freier Bürger (BfB) anschloss und 1998 in einem Brief an den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, die ablehnende Haltung des BfB zum Holocaust-Mahnmal in Berlin zum Ausdruck brachte.

„Die mit etwa 50 Gästen größte Veranstaltung des Arbeitskreises fand 2011 im Main-Kinzig-Kreis statt“, sagt Tony Fiedler. „Mitglieder der NPD wurden nicht förmlich eingeladen.“ Aber zu dem amtierenden NPD-Bundesvorsitzenden Frank Franz, der von 2005 bis 2012 NPD-Chef im Saarland war und seit November 2011 dem Bundesvorstand angehört, habe es lose E-Mail-Kontakte gegeben.

Eine Nähe zu Thorsten Heise aus Fretterode im Eichsfeld, seit 2017 NPD-Chef von Thüringen, habe der Arbeitskreis hingegen stets vermieden. „Zu Thorsten Heise habe ich wegen dessen Verbindung zur rechtsextremen Kameradschaftsszene immer einen gehörigen Sicherheitsabstand gewahrt“, sagt Fiedler.

Reaktionen auf „Flüchtlingskrise“ führten zum Umdenken

2012 war für Tony Fiedler ein weiteres Jahr der Weichenstellung. Er brach sein Studium in Frankfurt ab und zog nach Köln. Er arbeitete hauptberuflich als Fraktionsreferent von Pro Köln, wurde Jugendbeauftragter der rechtsextremen Gruppierung und deren stellvertretender Vorsitzender. Von 2014 bis Oktober 2015 war Fiedler zeitgleich Vizechef und Generalsekretär bei Pro NRW, der Dachorganisation, die aus dem Verein Pro Köln entstanden war.

2015 erreicht die „Flüchtlingskrise“ den Höhepunkt. Mehr als eine Million Menschen kommen ins Land. Der Meinungsstreit darüber zieht sich wie ein Riss durch die Gesellschaft.

„Ich habe erlebt, wie man feiert, wenn es Übergriffe auf Flüchtlingsheime gibt, und wie man sich freut, wenn Frauen und Kinder um ihr Leben fürchten müssen“, sagt Fiedler. „Auch gemäßigte Leute hatten kein Problem damit. Wenn so etwas gutgeheißen wird, ist Schluss für mich.“ Dem Pro-NRW-Vorsitzenden Markus Beisicht schickte Fiedler seine Kündigung per E-Mail „Danach habe ich das Parteitelefon zurückgeschickt und neue E-Mail-Konten angelegt.“ Nun war Tony Fiedler für seine politischen Weggenossen nicht mehr erreichbar. Im Herbst 2015 ging er nach Thüringen zurück. „Ich habe Abstand gesucht.“

Es war ein Zufall, dass in Arnstadt zu derselben Zeit das von CDU und Linken unterstützte Abwahlverfahren gegen den parteilosen Bürgermeister Alexander Dill auf seinen Höhepunkt zusteuerte. Das lokalpolitische Ereignis weckte Fiedlers Interesse. Er absolvierte bei den Linken ein Praktikum. „So ist eins zum anderen gekommen.“

„Wenn ihr einen braucht, kandidiere ich.“

Fiedler gründete dann noch die Arnstädter Tiertafel und wurde Nachwuchstrainer beim Fußballclub SV Arnstadt 09.

Irgendwann, sagt Tony Fiedler, hätten die Linken ihn gefragt, ob er für sie zur Wahl antrete. „Wenn ihr einen braucht, kandidiere ich.“

Jetzt steht für die Wahl zum Stadtrat von Arnstadt auf der Liste der Linken auf Platz 12: Kuschel, Frank, geboren 1961, Beruf Verwaltungsbetriebswirt. Auf Platz 22: Fiedler, Tony Xaver, 1989, Student. „Ich habe nie ein Hehl gemacht, wer mein Vater ist, ich wollte auch schon seinen Namen wieder annehmen.“ Doch das sei kompliziert. Vielleicht sogar komplizierter als ein politischer Wandel.

Zur Sache: Die AfD und der Fall Friedrichroda

Auf Seite 7, in der Mitte der umfangreichen „Unvereinbarkeitsliste“ der AfD steht: „Bürgerbewegung Pro NRW, Pro Köln e.V.“ Dazu ein Kürzel: RE für Rechtsextremismus. Tony Fiedler hätte bei der AfD weder Mitglied werden können noch für die Partei kandidieren dürfen. Das gilt grundsätzlich für jeden, der jemals einer Organisation angehörte, die in dem Katalog gelistet ist.

Ein Streit darum hat vor wenigen Wochen zur Zwangsauflösung des AfD-Ortsverbands Friedrichroda geführt. Dieser wollte den mehrmaligen NPD-Bundestagskandidaten Timo P. aus Iserlohn in Nordrhein-Westfalen als parteilosen Bewerber nominieren. P., der zuletzt bei der Bundestagswahl 2013 für die NPD antrat, gehört der Partei seit Jahren nicht mehr an.

Der Kreisverband Ilm-Kreis-Gotha ließ dies nicht zu und schaltete den Landesverband ein. Parteichef Björn Höcke kümmerte sich persönlich um den Fall. Als alle Krisengespräche nichts halfen, wurde der Ortsverband aufgelöst.

P. habe die NPD „vor mittlerweile fünf Jahren verlassen“ und habe sich „als parteiloser Unterstützer in unserem Ortsverband seit gut zwei Jahren engagiert“, teilte der einstige Sprecher des inzwischen aufgelösten Ortsverbands, Walter Dawidowicz, mit. „Diese Person hat von Anfang an mit offenen Karten gespielt und glaubhaft versichert, sich inzwischen von jeglichem rechtsextremen Gedankengut gelöst zu haben.“ Er habe keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Mannes. „Ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen, auch wenn sie in früheren Zeiten einen politischen Irrweg eingeschlagen haben, eine zweite Chance verdient haben“, sagt Dawidowicz. „Voraussetzung hierfür ist, dass sie diesen Irrweg als solchen erkannt haben.“