Tel Avivi. Islamisten feuern Hunderte Raketen auf Israel ab – auch Vororte von Jerusalem werden getroffen. Die Regierung steht vor einem Dilemma.

In den Morgenstunden des Freitags sieht in der israelischen Stadt Sderot nahe der Gazagrenze alles nach einem ruhigen Wochenende aus. Die Einwohner gehen ihren Schabbat-Einkäufen nach, Kinder spielen auf den Spielplätzen. Nur wenige Stunden später ist die Stadt wie leer gefegt.

Die Verhandlungen über einen möglichen Waffenstillstand mit Israel, die der Mediator Ägypten mit den Terrorgruppen in Gaza führt, wurden abgebrochen. Offiziell war es Israel, das sich aus den Verhandlungen zurückgezogen hat. Die Terrorgruppe Palästinensischer Islamischer Dschihad (PIJ), die seit Beginn der jüngsten Eskalation mehr als 800 Raketenauf Israel abgefeuert hat, hatte aber schon davor klargemacht, dass sie nicht an eine Feuerpause denkt: Bereits in den Morgenstunden wurden die Raketenwerfer aktiviert.

Gegen Mittag griff die Terrorgruppe Vororte von Jerusalem und jüdische Siedlungen im Westjordanland an. Dabei wurde niemand verletzt, es gab aber Gebäudeschäden – und vor allem war jetzt klar: Diese Provokation kann Israel nicht ignorieren. Zumal ein Raketeneinschlag in der zentral-israelischen Stadt Rechovot am Vortag das erste israelische Todesopfer gefordert hatte.

Israel: Hamas hat kein Interesse an militärischer Eskalation – anderer Terrorgruppe schon

„Von jetzt an betreten wir unbekanntes Territorium“, sagt Tamir Hayman, früherer oberster Kommandant des israelischen Militärgeheimdienstes. „Eine Eskalation mit dem Islamischen Dschihad hat noch nie länger als drei Tage gedauert.“ Eigentlich gilt die vom Iran gesteuerte Terrorgruppe als schlecht ausgerüstet und im Vergleich zur in Gaza regierenden Hamas als untergeordneter Faktor. Das dürfte sich aber nun ändern.

In Beit Lahin im Gazastreifen geht ein Gebäude durch einen Raketeneinschlag in Flammen auf.
In Beit Lahin im Gazastreifen geht ein Gebäude durch einen Raketeneinschlag in Flammen auf. © AFP | Bashar Taleb

Während Hamas kein Interesse an einer militärischen Eskalation hat, weil sie den Wiederaufbau im Gazastreifen nicht gefährden will, hat der PIJ weniger Skrupel, sagt Sicherheitsexperte Kobi Michael vom Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv.

In der letzten größeren Eskalation im Frühjahr 2021 entstanden in Gaza enorme Schäden, die immer noch nicht vollständig behoben wurden. Mit Geldern aus Ägypten und Katar soll die Infrastruktur wieder hergestellt werden. Es geht daher auch um die Sicherheit ägyptischer Investitionen, wenn Kairo jetzt zwischen den Konfliktparteien vermittelt.

Weitere Gewalteskalation zwischen Israelis und Palästinensern

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    Israels Militäreinsätze reagiert auf Angriffe – doch nicht so punktgenau wie erhofft

    Israel stehe vor einem schweren Dilemma, sagen Sicherheitsexperten: Reagiert man zu sachte, ist die Abschreckungswirkung zu schwach. Sollten sich die Bombardements in Gaza aber noch über mehrere Tage hinziehen, steigt das Risiko, dass auch die Hamas in die Auseinandersetzung hineingezogen wird – „etwa dann, wenn unbeabsichtigt einer ihrer Kämpfer zu Tode kommt“, sagt Michael.

    Israels Taktik beschränkt sich derzeit darauf, gezielt Kommandanten des PIJ zu töten. So punktgenau wie die Militärführung das gerne halten würde, läuft es in der Praxis aber nicht immer ab: Unter den bisher 31 Toten fanden sich laut israelischen Armeeangaben vierzehn Zivilisten, auch Kinder – wobei vier der zehn Zivilisten an Fehlabschüssen des PIJ gestorben seien.

    Dazu kommt, dass langsam auch Strom, Treibstoff, Nahrung und Medikamente knapp werden: Seit vier Tagen hält Israel die Grenzübergänge geschlossen, die Vorräte neigen sich dem Ende zu.